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Interview: Alexej Gerassimez bei #deinconcertiabend

Entschleunigung in der Krise

Schlagzeuger Alexej Gerassimez hat aufgrund der Krise seit 10 Jahren erstmals längere Zeit frei. Die Zeit nutzt er für seine Familie und einen Livestream am 21.4. bei #deinconcertiabend.

vonJakob Buhre,

Alexej Gerassimez gehört zu den Musikern, die immer unterwegs sind. Und das nicht alleine: Immer Gepäck hat der Schlagzeuger seine Instrumente, die er im eigenen Van von Konzert zu Konzert fährt. Für seinen Livestream bei #deinconcertiabend entfällt die Logistik des Ein- und Auspackens, des Auf- und Abbauens: Aus seinem Studio in Berlin meldet sich der Musiker gemeinsam mit seinem Freund, dem Kontrabassisten Haggai Cohen-Milo, für ein Digital-Konzert mit Eigenkompositionen. Wir haben Alexej Gerassimez im Vorfeld am Telefon gesprochen.

Herr Gerassimez, viele Ihrer Konzerte mussten abgesagt werden. Wie schwer trifft Sie das als Solist?

Alexej Gerassimez: Mich trifft das nicht nur alleine, im Prinzip habe ich ja ein kleines Unternehmen, mit Sekretärin und einem Kollegen, der sich um die Logistik kümmert. Das sind Menschen, für die ich verantwortlich bin, die von meiner Karriere auch leben. Und um die mache ich mir momentan etwas mehr Sorgen. Ich selbst unterrichte zum einen noch an der Musikhochschule in München, zum anderen habe ich etwas vorgesorgt, weil ich vorhatte, nächstes Jahr für drei Monate eine Auszeit zu nehmen.

Daraus ist jetzt die Corona-Auszeit geworden…

Alexej Gerassimez: Ja, zum Teil schon. Wobei leider niemand sagen kann, wie lange diese Auszeit noch dauert.

Viele Musiker streamen nun aus den eigenen vier Wänden. Wie gut sind Sie für so etwas ausgerüstet?

Alexej Gerassimez: Ich habe in meinem Studio tatsächlich sehr viel Technik. Ich komponiere am Laptop, ich habe eine Kamera und Mikrofone. Viele Solisten-Kollegen sind da, glaube ich, noch nicht so gut aufgestellt, weil im Gegensatz zum Pop die Klassikwelt noch sehr analog ist. Da werden sich jetzt vermutlich einige ein gutes Mikrofon besorgen.

Könnten Sie mit Live-Übertragungen bzw. Videos im Netz die finanziellen Ausfälle ein Stück weit kompensieren?

Alexej Gerassimez: Das ist sehr schwierig, denke ich. Natürlich werden manche Streams, die jetzt zum Beispiel von Institutionen organisiert werden, bezahlt. Aber wenn man sich zum Beispiel Youtube anschaut, dort verdient man pro 1000 Videoaufrufe nur ein bis zwei Euro. Eine bessere Möglichkeit ist vermutlich, ein konkretes Projekt mit Spenden zu finanzieren.

Sie haben Anfang April für den RBB einen Livestream aus Ihrem Studio heraus gespielt. Wie erging es Ihnen dabei, so ganz alleine mit der Kamera?

Alexej Gerassimez: Ehrlich gesagt ist es für mich eher unangenehm. Einerseits soll der Stream ein Konzert darstellen, andererseits fehlen die Menschen und mit ihnen die Atmosphäre. Wenn wir Musiker auf die Bühne treten und das Scheinwerferlicht geht an, legt sich in unseren Köpfen ein Schalter um, so sind wir das gewohnt. Das jetzt ohne Publikum genauso zu schaffen, so dass Magie entsteht – das ist sehr schwierig.

Wofür haben Sie im Moment mehr Zeit?

Alexej Gerassimez: Ich genieße es, so viel Zeit mit meiner Familie zu verbringen wie sonst nie. Und ich kann mich jetzt mehr dem Komponieren widmen. Dazu gehört auch, mehr mit der Technik zu spielen, Dinge auszuprobieren, jetzt, wo das Spiel mit Ensembles ausfällt. Wobei ich im Moment zumindest ein Duo mit dem Bassisten Haggai Cohen-Milo plane, der in meiner Nachbarschaft wohnt. Da kann ich mir auch gut vorstellen, dass wir regelmäßig ein neues Stück live streamen.

Im RBB-Stream haben Sie die Zuschauer auch angeregt, die Corona-Zeit zum Nachdenken zu nutzen…

Alexej Gerassimez: Richtig, man hat jetzt zum Beispiel Zeit, zurückzuschauen. Ich selbst habe die letzten zehn Jahre nie mehr als zehn Tage am Stück Urlaub gehabt. Denn wenn du als Solist auf diesem Niveau in der Klassik bestehen willst, musst du ständig am Ball bleiben. Du kannst dir kaum eine längere Auszeit leisten. In einer Welt wo sonst alles immer schneller wird, schneller verfügbar sein muss, tut diese Entschleunigung vielen Menschen gut. Ich merke das, wenn ich mit Kollegen oder Studenten spreche: Die sind im Moment sehr erleichtert, dass der Druck weg ist, dass sie mal nicht von morgens bis abends liefern müssen. Insofern glaube ich, dass diese Auszeit auch etwas Heilsames haben kann.

#deinconcertiabend

Di. 21.04.2020, 19:30 Uhr
Alexej Gerassimez (Schlagzeug)
Haggai Cohen-Milo (Kontrabass)

Hier geht’s zum Livestream

Programm:

Gerassimez:

Spiraton
Afreim
Asventuras
Enni

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