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Blind gehört Andreas Martin Hofmeir

„Ein Artist auf der Tuba!“

Der Tubist Andreas Martin Hofmeir hört und kommentiert CDs von Kollegen, ohne dass er erfährt, wer spielt

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Am liebsten wäre Andreas Hofmeir Fußballer geworden, aber der Sohn eines Rechtsanwalts und einer Sinologin hat sich dann doch der Musik zugewandt. Der Bruder spielte bereits in der Blaskapelle, und da es zu viele Schlagzeuger gab, entschied sich der Bayer für die Tuba – heute ist er dem Instrument regelrecht verfallen. Vor kurzem ist er aus den USA zurückgekommen, dort konzertierte Hofmeir auf der ITEC (der internationalen Tuba-Konferenz), die diesmal in Bloomington ausgetragen wurde. „85 Tuba-Solo-CDs gab es im Angebot!“, schwärmt er – „mit jeweils unterschiedlichem Repertoire“. 

20th Century Tuba Concertos

Øystein Baadsvik (Tuba), Singapore Symphony Orchestra. 2008, BIS Records

Daraus John Williams: Tubakonzert – 1. Satz

Das ist John Williams! Die Aufnahme von Øystein Baadsvik mit dem Singapore Symphony Orchestra. Die habe ich einmal gehört im Internet. Sehr sauber gespielt. Aber die Artikulation? Das könnte spritziger, pointierter sein. Das Legato ist wunderbar. Können wir noch mal den Anfang hören? Ja! Ich finde, da sollte man mehr Staccato spielen (singt nach). Steht sogar in den Noten! Es müsste mehr Artikulationsvielfalt her, sonst wirkt es langweilig. Die größte Spannung in der Musik ist doch zwischen den langen lyrischen und den kurz angerissenen, spritzigen Noten.

Paul Hindemith: Complete Sonatas Vol. 7

Ensemble Villa Musica, Walter Hilgers (Tuba)
1997, MDG

Daraus: Sonate – 2. Satz

Hindemith, 2. Satz, aber halbes Tempo! Ich tippe auf … keine Ahnung … Was? Das ist Walter Hilgers? Walter Hilgers galt lange als Maßstab. Aber das würde man heute nicht mehr so spielen (klatscht und klopft im Rhythmus). Wir brauchen Leute wie Nigel Kennedy, der zwar alles übertreibt, aber dadurch die Musik für ein neues Publikum öffnet. Am allerwichtigsten ist, dass man gepackt wird von der Musik. Ich bin längst nicht so perfekt wie Hilgers und spiele auch nicht immer absolut fehlerfrei, aber auf der Tuba-Konferenz in Amerika habe ich jetzt dann doch mit Abstand die meisten CDs verkauft. Also muss es ein bisschen interessant sein, denke ich. Das Problem bei den meisten Tubisten ist, wenn sie als Solist auftreten, dass sie meist aus dem Ensemble geholt werden, aber nicht per se Solisten im Bewusstsein sind. Ich selbst muss hinaus vorne auf die Bühne, bin nicht so für das Ensemble geschaffen. Ich will die Musik modellieren wie ein Töpfer eine Vase. Das ist der wahre Zauber!

 

Wagner: Der Ring des Nibelungen

Bayreuther Festspielorchester, Pierre Boulez (Leitung)
1981, Philips

Daraus: Das Rheingold – 2. Szene (Walhall-Motiv)

Ja! (singt mit) Das habe ich oft gespielt. Wenn man da nicht wüsste, dass da unten eine Tuba rumwerkt, das würde kaum auffallen. Das dadrüber sind ja auch keine echten Tuben, sondern sogenannte Wagner-Tuben, klein mensurierte, dem Tenorhorn nachempfundene, linksgriffige Instrumente mit Hornmundstück. Eine lustige Spinnerei von Wagner. Mit normalen Tenorhörnern hätte er auch komponieren können, das wäre vielleicht einfacher gewesen … Oje, jetzt fängt die Sängerin an zu singen! Dabei war es so schön! Die Wagner-Opern sind dann am schönsten, wenn nicht gesungen wird. Die Texte sind schon etwas dämlich, die ewigen Phrasen der Sänger, dieses Vibrato. Naja, wer’s mag … Aber die Instrumentation ist einfach toll.

 

philBLECH

philBLECH Wien, Paul Halwax (Tuba)
2013, Universal Music

Daraus Mozart: Ouvertüre zu „Die Zauberflöte“

German Brass! Nein? Das Philblech-Ensemble? Die Trompeten sind zu tief, naja, normal ist es andersherum … Also, ich habe nichts gegen Arrangements. Im Barock waren sie ja da wenig eitel. Auch die Solowerke waren fakultativ besetzt. Die strikte Instrumentierung kommt erst in der Klassik. In einem Arrangement kann man das Stück neu erleben. Es ist wie eine Oper, immer wieder neu inszeniert. Kinder wollen die eine Geschichte ja auch nicht immer von der Mutter vorgelesen bekommen.

The Virtuoso Tuba

Michael Lind (Tuba), Schwedisches RSO
1995, Caprice Records

Daraus Lundquist: Landschaft für Tuba und Streicher

Landscape von Lundquist mit Michael Lind. Lind war mein Lehrer, ein Genie, der uns alle für das Instrument begeistert hat! Ein Artist auf der Tuba! Dass jemand so auf der Tuba singen konnte, war für uns damals nicht vorstellbar. In diesem Stück kann er es gar nicht so zeigen. Alles klingt recht „tubistisch“, dieses tattattatta, so „Weißer Hai“-mäßig. Aber es ist ein cooles Stück. Ich glaube, ich würde es trotzdem nicht in einem normalen Konzert spielen, weil es viele ausgrenzt. Es ist nicht so einfach verdaulich. Solche Stücke haben wir viele. Aber leider keine Tschaikowskys mehr, die für die Tuba schreiben könnten. Dabei ist die Tuba ein freundliches und angenehmes Instrument. Sie nimmt einen in den Arm. Man hört einfach nur reinen, vollen Klang.

UnterBayern

Biermösl Blosn, Michael Well (Tuba)
2003, Mood Records

Daraus: Moschee in Riad

Das sind die Biermösl. Mit denen habe ich mal etwas gespielt. Ja, es gab Zeiten, da wollte ich das machen, was die machen. Ich war ja mal der Schulkasper und hab viel Kabarett gemacht, eine Mischung aus Comedian Harmonists und Kabarett-Pop. Sogar ein Kabarett mit Renaissance-Motetten haben wir gemacht. Aber jetzt nicht mehr. Diese Nummer da kenne ich übrigens nicht, und ich kenn von denen eigentlich fast alles. Die Spielqualität spielt natürlich keine Rolle bei so etwas. Das Grobe und Ungehobelte ist hier Programm. So etwas macht schon mal Spaß, aber eigentlich will ich schön spielen und zeigen, was möglich ist. Bei den Biermösl würde ich eher singen.

TubaTuba

Michel Godard & Dave Bargeron (Tuba)
1995, enja

Daraus Coltrane: Giant Steps 

Das ist auch Bob Stewart! Nicht? Michel Godard? Ein wirklich Großer! Das ist unglaublich virtuos. Das Zweistimmige hier kommt dadurch zustande, dass er gleichzeitig ins Instrument spielt und singt. Das Singen in das Instrument hinein ist in den wenigsten Fällen schön. Aber es ist lustig!

High Society

Canadian Brass, Chuck Daellenbach (Tuba)
2005, Opening Day Records

Daraus: Sugar Blues

Ist das Philip Jones? Und wenn nicht, dann Canadian Brass. Und Chuck Daellenbach. Canadian Brass war eine Riesen-Marke! Die sind auf der ganzen Welt getourt und haben eine Lanze gebrochen, lustige Bühnenshow … Ich habe sie in der Münchner Philharmonie gesehen. Jeder Blechbläser hat ihre CDs. Die haben alles von Bach bis zu den Beatles gespielt. Bach ist unglaublich wichtig, auch für die Jazzer. Bei uns Blechbläsern kommt sowieso immer Jazz hinein. Das ist anders als bei den Streichern. Diese Trennung zwischen Jazz und Klassik gibt es bei den Blechbläsern kaum, und eigentlich liegt es sowieso nahe beieinander – man denke an Komponisten wie Bernstein oder Gershwin.

Spirits in the Field

Arthur Blythe Trio, Bob Stewart
2000, Savant Records

Daraus: One Mint Julep

Wer ist das? Bob Stewart? Ach, der war jetzt auch auf der Tuba-Konferenz. Im Jazz geht es weniger um die Klangqualität. Man will Dreck in der Musik haben. Man will ja nicht, dass es in der Kneipe riecht wie im Bad einer schönen Frau. Die Unsauberkeit ist hier wichtig. Das Saxophon klingt ja auch nicht wirklich schön. Dieser gequetschte Klang. Das ist leider nicht so meine Stärke. Man muss kreativ sein bei den Improvisationen. Ich kann das nicht so gut, aber ich will das unbedingt lernen und können. Das ist ein langer Prozess.

Bläserkonzerte des 20. Jahrhunderts

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Richard Nahatzki (Tuba). 1999. Capriccio. Daraus Vaughan Williams: Konzert – 3. Satz 

Oje, das weiß ich nicht, wer das aufgenommen hat. Wo haben Sie denn die Aufnahme her? Die kenne ich nicht. Der Klang ist okay, sehr hell, es glänzt ein bisschen. Aber die Tuba ist etwas schwerfällig, kommt nicht mit den anderen Instrumenten mit. Da … das müsste leichter sein! Und nicht so auf der Erde liegen. Tuba kann in Wirklichkeit genauso spritzig artikulieren wie andere Instrumente. Und was die Tempi angeht: In der Regel kämpft der Solist in der Probe gegen das Orchester um seine Vorstellung, beim Auftritt fügt er sich im Zweifel doch, wenn er denn muss. Solokonzerte sind das schwierigste für die Dirigenten. Er muss ständig auf Ausgleich bedacht sein.

Easy Winners

Philip Jones Bläserensemble, John Fletcher (Tuba)
1979, Decca

Daraus Mozart: Tuba Serenade

Das ist John Fletcher! Das hat der alles nacheinander selbst aufgenommen – vierstimmig! Nein, nein, der Elefant tanzt hier kein Ballett. Das klingt gar nicht nach Ulk-nummer, denn Fletcher artikuliert wunderbar. Die Tuba hat etwas Großes, Würdevolles. Das Stück ist so bekannt, aber das funktioniert super! Das war damals Pionierarbeit und der hat das nicht lustig gemeint. Man muss sich das vorstellen: alles ganz allein!

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