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Blickwinkel: Claudia Janet Birkholz

„Neue Musik macht einfach viel Spaß“

Claudia Janet Birkholz möchte mit dem Festival „realtime – internationales festival für neue musik“ ihre Liebe und Begeisterung zur Neuen Musik teilen.

vonIrem Çatı,

Sie sind künstlerische Leiterin und Initiatorin von „realtime – internationales festival für neue musik“ in Bremen. Woher kam die Idee, ein Festival zu gründen?

Claudia Janet Birkholz: Als Konzertpianistin bin ich überall auf der Welt mit Neuer Musik unterwegs. In den letzten Jahren habe ich immer ein offenes und interessiertes Publikum erreicht und mir irgendwann gedacht: Warum reise ich eigentlich so viel und mache das alles nicht in Bremen? Daraufhin habe ich 2012 mit Gleichgesinnten den Verein „realtime – Forum Neue Musik“ gegründet und als erstes Event den Cage-Tag zum 100. Geburtstag von John Cage in der Kunsthalle Bremen durchgeführt.  Seitdem veranstaltet der Verein regelmäßig Konzerte und Workshops zum Thema Neue Musik und hat 2014 das erste Bremer Jugendensemble für Neue Musik gegründet. Unser Anspruch ist, diese Musik mehr Menschen näherzubringen und aus der elitären, verkopften Ecke herauszuholen. Wir haben in Bremen ja schon zwei große Festivals, die klein angefangen und dann internationale Sogkraft entwickelt haben: das Jazzahead! Festival und das Musikfest Bremen. Wir haben uns gesagt, dass genau so ein großes Festival für Neue Musik in Bremen noch fehlt.

Wie sind Sie zur Neuen Musik gekommen?

Birkholz: Ich habe ganz klassisch Klavier studiert und schon währenddessen alle möglichen Genres ausprobiert, denn man darf sich meiner Meinung nach nicht auf eine Sparte fixieren. Die zeitgenössische Musik ist für uns Musiker nur richtig zu interpretieren, wenn wir auch die Musik der vorherigen Jahrhunderte kennen. Es fängt an bei Rameau und führt über Bach und Beethoven bis ins Heute. Das muss man alles wissen und gelernt haben. Während meines Studiums hatte ich schon mehrfach Gelegenheit, mich mit Neuer Musik zu beschäftigen. Ich habe sowohl in einem Ensemble für zwei Klaviere und zwei Schlagzeuge sowie im Klavierduo gespielt. In diesen Besetzungen habe ich das klassische Repertoire, aber auch Neue Musik gespielt, und die hat mich immer am meisten interessiert. Man darf da einfach so viele Sachen machen, experimentieren, improvisieren! Die Neue Musik macht einfach viel Spaß und ist viel spektakulärer, aufregender und unerwarteter als klassische Musik. Es gibt so viele neue Möglichkeiten, Klang zu erzeugen, und was da gerade mit künstlicher Intelligenz ausprobiert wird, ist auch höchst spannend!

Viele haben ja immer noch Berührungsängste mit der Neuen Musik. Was erhoffen Sie sich von dem Festival?

Birkholz: Ich erhoffe mir mehr Reaktionen der Art, wie ich sie oft bei meinen Konzerten erlebt habe. Dieses „das hätte ich nie erwartet, das war so toll“. Mein Ziel ist es also, Menschen in unsere Konzerte zu locken und sie zum Staunen zu bringen. Viele unterstellen Neuer Musik immer noch, sie habe keinen Unterhaltungswert, sei anstrengend und mache keinen Spaß. Das möchte ich ändern.

Auf Ihrer Website schreiben Sie: „Kein klassisches Festival. Ein spielerisches Fest für neue Klänge.“ Was bedeutet das konkret?

Birkholz: Wir wollten uns von Anfang an nie darauf beschränken, nur Konzerte aufzuführen. Unser Festival hat das Motto „Begegnungen“. Wir möchten die Menschen zusammenbringen. Es gibt Meet&Greets, bei denen man die Künstler kennenlernen kann, aber auch alle ehrenamtlichen Macher des Festivals, Pop-up-Aktionen in der Bremer Innenstadt sowie Gespräche über zeitgenössische Musik. Ein Highlight ist auch unser Musikvideo-Preis, den wir ausgerufen haben und der in dieser Form einzigartig ist. Wir haben Filmschaffende dazu eingeladen, sich mit zeitgenössischer Musik auseinander- und Töne in Bilder umzusetzen. Bei den Konzerten selbst lassen wir das Publikum nie allein, sondern bieten eine Zugang über verschiedene Moderationen an. Außerdem bieten wir Paten an, die den Zuhörer, der vielleicht noch nie in so einer Veranstaltung war, durch den Abend begleiten. Ein Kinderkonzert haben wir natürlich auch im Programm. Denn es ist ganz wichtig, an das Publikum der Zukunft zu denken und es schon früh für Neue Musik zu begeistern. Kinder haben viel weniger Hemmschwellen als Erwachsene und sind neuen Dingen gegenüber sehr offen.

Der Musikvideo-Preis legt den Fokus mehr auf die Videos als auf die Musik. Warum?

Birkholz: Es war von Anfang an klar, dass wir einen Preis ausschreiben wollen. Ursprünglich sollten Musiker und Filmschaffende gemeinsam arbeiten, das war aber aus zeitlichen Gründen nicht möglich. Deswegen haben wir fertige Werke genommen, die verfilmt werden sollten. Für die nächste Ausgabe unseres Festivals gibt es bereits eine Ausschreibung zur Entwicklung neuer Aufführungskonzepte. Da sollen Musiker und Künstler zusammenarbeiten, sich gegenseitig inspirieren und frei austoben.

Ein Land wird bei Ihrem Festival ganz besonders in den Fokus gerückt.

Birkholz: Ja, wir haben Polen als Gastland. Das ist durch meine Kontakte und meine Bewunderung für das Festival „Warschauer Herbst“ gekommen. Immer wenn ich dort war, hat es mich fasziniert, dass die ganze Stadt auf den Beinen war und Menschen unabhängig von Alter und sozial-ökonomischer Schicht ihr Festival für zeitgenössische Musik gefeiert haben. Wir hatten schon die Idee zu unserem Festival, als ich den Kontakt zu zwei Leitern des „Warschauer Herbst“ gesucht habe, die mich bei der Realisierung unterstützt haben. So ist die Kooperation entstanden, und ich freue mich sehr, dass hervorragende polnische Künstler nach Bremen kommen, die viel zu selten in Deutschland auftreten. Eine von ihnen ist eine echte Ausnahmekünstlerin: Agata Zubel, Sängerin und Komponistin.

Gibt es schon Ideen für die nächste Ausgabe?

Birkholz: Sehr viele! 2023 wollen wir den Schwerpunkt auf das Thema „Mensch und Maschine“ legen. Das ist im Moment aber nur der Arbeitstitel. Ich finde es spannend, was gerade mit künstlicher Intelligenz passiert, weil diese nicht nur gesellschaftlich, sondern auch in der Musik immer wichtiger wird. Mich persönlich interessieren die technischen Erweiterungen der Instrumentalklänge, bei denen das IRCAM in Paris führend ist. Ich habe schon seit Jahren den Wunsch, mir das genauer anzugucken und Künstler, die hier weltweit führend sind, nach Bremen zu holen.

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