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Blickwinkel: 60 Jahre Deutsche Stiftung Musikleben

„Die Stiftung begleitet mich in jeder musikalischen Lebenslage“

Mit einem Jubiläums-Benefiz-Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie feiert die Deutsche Stiftung Musikleben ihr 60-jähriges Jubiläum. Auf der Bühne zu erleben sind neben vielen anderen Stipendiaten die Cellistin Ildikó Szabó (29) und der Dirigent Aurel Dawidiuk (22). Geschäftsführerin Bettina Bermbach betont die Gestaltungsmöglichkeiten in ihrer neuen Position.

vonSören Ingwersen,

Frau Bermbach, fünfzehn Jahre lang haben Sie die Pressestelle der Hamburgischen Staatsoper und danach sechs Jahre lang ihre eigene Künstleragentur Bermbach Communications geleitet. Seit Anfang des Jahres sind Sie Geschäftsführerin der Deutschen Stiftung Musikleben. Was hat Sie zu diesem Wechsel bewogen?

Bettina Bermbach: Mit meiner Agentur habe ich Künstler wie Klaus Florian Vogt, Simone Young oder Anne Schwanewilms betreut. Ich fand es immer schon spannend zu sehen, wie solche großen Karrieren beginnen. Auch an der Staatsoper, wo wir mit dem Opernstudio den Sängernachwuchs gefördert haben, habe ich gelernt, was junge Künstler eigentlich brauchen. Ich habe den Eindruck, alles, was ich bisher gemacht habe, kommt in dieser neuen Aufgabe zusammen, und über die vielen Gestaltungmöglichkeiten in meiner Position freue ich mich. Vielleicht sehen die Anforderungen an eine Förderung heute anders aus als noch vor zwanzig Jahren.

Das klingt nach Veränderung.

Bermbach: Mit unserem Team haben wir schon neue Ideen auf den Weg gebracht, zum Beispiel, was die PR der Künstler und Kooperationen betrifft. Es gibt etliche Bereiche, in denen man über Stipendien, Instrumente und Auftritte hinaus noch zusätzliche Förderprogramme aufbauen kann. Das können auch Themen sein, die Künstler interessieren: Wie sieht das Steuerrecht für selbständige Künstler aus? Wie gelingt eine gute CD-Aufnahme? Wie lassen sich Musikerkrankheiten vorbeugen?

Wird das Förderangebot dadurch verschoben?

Bermbach: Es erweitert sich. Unsere etablierten und erfolgreichen Förderungsstrukturen mit den drei großen Standbeinen bleiben erhalten: Das sind der Deutsche Musikinstrumentenfonds mit inzwischen 250 herausragenden Streichinstrumenten, die Förderung durch Stipendien und Patenschaften und die Vermittlung von Auftrittsmöglichkeiten. In diesem Bereich veranstalten wir eigene Konzerte – wie jetzt zum Beispiel unser Jubiläumskonzert am 17. Oktober im Großen Saal der Elbphilharmonie – und ermöglichen unseren Stipendiaten auch Auftritte bei unseren Kooperationspartnern wie Orchestern und Festivals.

Beim Jubiläumskonzert wirst du, Aurel, ein Streicherensemble dirigieren. Welche Förderungen der Stiftung nimmst du in Anspruch?

Aurel Dawidiuk: Seit ich 2015 den Sonderpreis bei „Jugend musiziert“ bekommen habe, begleitet mich die Stiftung praktisch in jeder musikalischen Lebenslage. Dreißig bis vierzig Konzerte wurden mir in den letzten Jahren durch die Stiftung vermittelt. Zudem gibt es die wunderbaren Patenschaften, durch die wir Musiker während unserer Ausbildung mit monatlichen Stipendien unterstützt werden. Ein besonderes Bonbon ist natürlich der Auftritt in der Elbphilharmonie.

Hat ein junger Dirigent es schwerer, sich in der Musikwelt zu behaupten, als ein Instrumentalist?

Dawidiuk: Ich würde sagen, alle Musiker haben es nicht leicht. Bisher hatte ich ja den Schwerpunkt Klavier und Orgel. Seit ich im letzten Jahr vom Deutschen Musikrat ins Forum Dirigieren aufgenommen wurde, kann ich auch diesen Bereich noch professioneller ausbauen. Für das Jubiläumskonzert wurde ich das erste Mal von der Stiftung als Dirigent angefragt und freue mich riesig auf diesen Auftritt.

Bermbach: Es ist auch für die Stiftung eine Premiere, die hier zum ersten Mal einen Stipendiaten als Dirigenten präsentiert.

Stipendiatin Ildiko Szabó spielt bei Weinbergs Concertino für Cello und Orchester den Solopart
Stipendiatin Ildiko Szabó spielt bei Weinbergs Concertino für Cello und Orchester den Solopart

Ildikó, was bedeutet das Stipendium der Deutschen Stiftung Musikleben für dich?

Ildikó Szabó: Im Februar 2013 habe ich für eine Cello-Leihgabe vorgespielt. Seitdem ist die Stiftung mein loyaler Partner in guten wie in schlechten Zeiten. Es fällt mir schwer, die Bedeutung der Stiftung für mich als Musikerin auf wenige Sätze zu reduzieren, weil ich eine so große Dankbarkeit empfinde, dass ich als Ungarin mit einem starken Glauben an Europa in Deutschland studieren und leben kann. Ich habe hier immer offene Türen vorgefunden, werde für meine Arbeit geschätzt und unterstützt und sehe meine berufliche Zukunft in diesem Land. Die Möglichkeit, plötzlich auf einem so hochwertigen Instrument zu spielen, ist unglaublich toll. Aber fast noch mehr bedeuten mir die emotionale Ebene und das Zugehörigkeitsgefühl.

Dawidiuk: Das Besondere dieser Stiftung ist die langjährige Begleitung. Auch wenn meistens jeder für sich auftritt, sind wir doch ein Team. Bei Konzerten wie dem Jubiläumskonzert kommen viele Stipendiaten zusammen. Dadurch entwickelt sich über Jahre eine regelrechte Gemeinschaft. Das ist sehr wertvoll.

Bermbach: Nicolas Altstaedt hat auf meine Anfrage, ob er als Gastmusiker beim Jubiläumskonzert auftreten möchte, sofort zugesagt. Daran sieht man: Auch die ehemaligen Stipendiaten fühlen sich der Stiftung oft noch zugehörig. Das freut uns sehr, und wir planen, unseren Ehemaligen mit einem Alumni-Programm ein weiteres Angebot zu machen.

Wie genau findet die Vergabe der Geigen, Bratschen und Celli im Rahmen des Instrumentenwettbewerbs statt? Haben die Preisträger die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Instrumenten zu wählen, oder wird ihnen von der Jury eines zugeteilt? Die Beziehung von Musiker und Instrument ist ja eine sehr persönliche.

Bermbach: Das war für mich das größte Mysterium, als ich angefangen habe, für die Stiftung zu arbeiten. Beim Wettbewerb lagen vierzehn Violinen auf dem Tisch, geordnet nach ihrem Versicherungswert. Die Mitglieder der Jury, bestehend aus Hochschulprofessoren und ehemaligen Stipendiaten, haben jedes Instrument angespielt, sich Notizen gemacht, und dann wurden die Geigen neu sortiert. Nach dem Vorspiel haben die Jury-Mitglieder besprochen, welches Instrument zu welchem Stipendiaten passt, und sie zugeordnet. In 98 Prozent der Fälle sind die Musiker mit dieser Zuordnung sehr glücklich.

Szabó: Natürlich wäre es besser, wenn wir die Instrumente vorher ausprobieren könnten, aber das ist logistisch und organisatorisch einfach nicht möglich. So hat die Vergabe etwas von einem Blind Date. Manchmal ist der Funke von Anfang an dabei, und es ist Liebe auf den ersten Blick. Manchmal braucht es auch mehr Arbeit, aber dafür hält die Beziehung dann länger – mit allen Höhen und Tiefen. Man wächst zusammen und kann von jedem Instrument etwas lernen.

Bermbach: Die Stipendiaten müssen spätestens alle zwei Jahre wieder vorspielen, wenn sie das Instrument nach dieser Zeit noch behalten möchten. Wir haben also bei jedem Wettbewerb Neubewerber und Leihverlängerer. Durch den Ausfall wegen Corona werden wir nächstes Jahr für diese beiden Gruppen sogar getrennte Wettbewerbe veranstalten, weil es über siebzig Vorspiele für Leihverlängerer geben wird.

Wie viele Stipendiaten hat die Stiftung zurzeit?

Bermbach: Ungefähr 300. Einige spielen ein Instrument aus dem Fonds, andere haben längerfristige Patenschaften und manche beides. Einige haben ein Bucerius-Stipendium, das wir zusammen mit der ZEIT-Stiftung vergeben, für Studium und Wettbewerbe im Ausland.

Wer übernimmt die Patenschaften für die Stipendiaten?

Bermbach: Privatpersonen oder Stiftungen. Beim letzten Wettbewerb wurde eine Guadagnini-Geige mit einem Versicherungswert von einer Million Euro vergeben. Jetzt muss der Student 4.000 Euro Versicherungsprämie im Jahr bezahlen. Also habe ich eine Stiftung gesucht, die eine Patenschaft für ihn übernimmt, mit dem Stipendium kann er nun die Prämie bezahlen.

Wird die Stiftungsarbeit durch die hohe Inflation und aktuelle Krise an den Finanzmärkten beeinträchtigt?

Bermbach: Bisher haben wir noch keine Einbrüche verzeichnet, auch weil viele Förderer sich bei uns langfristig engagieren. Wir finanzieren uns vollständig durch Spenden und Förderungen. Wie alle anderen auch wollen wir den Kreis unserer Spender natürlich erweitern.

Beim Jubiläumskonzert mit ganz unterschiedlich besetzten Kammermusikwerken steht auch Mieczysław Weinbergs Concertino für Violoncello und Orchester auf dem Programm. Hier spielt Ildikó das Solocello und Aurel dirigiert. Wer hat dieses Werk ausgesucht?

Bermbach: Die Programme stellen wir zusammen. Diesmal war es uns wichtig, ergänzend zum Streichorchester der Deutschen Stiftung Musikleben auch noch Stipendiaten mit anderen Instrumenten auftreten zu lassen. So ergibt sich ein breit gefächertes, spannendes Programm.

Szabó: Beim Schleswig-Holstein Musik Festival und den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, wohin mich die Stiftung vermittelt hat, konnte ich meine Programme selbst gestalten. Aber hier wurde ich explizit für dieses Stück angefragt. Das Concertino von Weinberg ist gut gewählt. Es ist kein großes Cellokonzert, in dem ich als „alter Hase“ der Stiftung meine „Shining Moments“ ausleben kann, sondern ich bin Teil dieser großen Familie, die ein vielfältiges Programm auf die Bühne bringt. Ich werde das Werk zum ersten Mal spielen und bin sehr neugierig, was wir da zusammen mit Aurel auf die Beine stellen.

Dawidiuk: Ich bis ganz deiner Meinung. Das Concertino bietet eine Chance, sich intensiv mit einem Werk auseinanderzusetzen, dass man vorher nicht kannte. Weinberg komponierte es 1948 und verarbeitete darin Themen wie Freiheit und menschliches Schicksal. Es ist ein Kammermusikwerk, das gut in die heutige, vom Krieg gezeichnete Zeit passt.

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