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Interview Christina Pluhar

„Ich mache vier Jobs auf einmal“

Christina Pluhar spricht über ihre zahlreichen Tätigkeitsfelder, die Herausforderungen eines freien Ensembles und darüber, was wahre Spielfreude ausmacht.

vonJulia Hellmig,

Will man die Interpretationen von Christina Pluhar und ihrem Ensemble L’Arpeggiata beschreiben, verfällt man schnell ins Vokabular des Jazz. Dann kommt man auf „groovende“ und „swingende“ Rhythmen zu sprechen, sinniert über Blue Notes und den Walking Bass, und überhaupt: Ist das noch Rhythmus oder schon ein Beat? Trotzdem: Was die gebürtige Grazerin mit Paris als Wahlheimat macht, ist Alte Musik auf dem neuesten Stand der Wissenschaft und gleichzeitig hochgradig sinnlich. Kein Wunder, dass Pluhar für ihre Projekte die schillerndsten und bedeutendsten Größen der Alte-Musik-Szene als Solisten gewinnen kann.

Ist Paris für Sie eine Inspirationsquelle?

Christina Pluhar: Ich lebe seit über 25 Jahren in Paris. Ich bin nach meinem Studium nach Frankreich gegangen und lebe seither dort. Es ist so eine geballte Energie von Kreativität hier, die sehr inspirierend auf einen Künstler wirkt.

Auf ihrem aktuellen Album präsentieren Sie ausschließlich Werke eines einzigen Komponisten, Luigi Rossi. Oft kombinieren Sie aber auch ganz verschiedene Genres miteinander.

Pluhar: Ich habe es nicht besonders gerne, wenn man mich in eine einzige Schublade und vor allem in die Schublade „genreübergreifend“ steckt. Das ist tatsächlich eine unserer Spezia­litäten, aber bei weitem nicht die einzige.

Wie hat sich Ihr Ensemble entwickelt?

Pluhar: Im Laufe der nunmehr zwanzig­jährigen Karriere von L’Arpeggiata habe ich immer wieder versucht, unsere Programme so viel wie möglich zu variieren und auch immer wieder zu zeigen, dass meine eigentliche Liebe und Leidenschaft der italienischen Musik des 17. Jahrhunderts gilt. Das ist die Musik, in der ich mich zu Hause fühle.

Wie proben Sie mit L’Arpeggiata?

Pluhar: Wir sind ein Ensemble, dessen Musiker in allen Ländern Europas wohnen. Die Mitglieder werden nicht nach Geografie, sondern nach künstlerischer Qualität ausgesucht, was manchmal dazu führt, dass wir wirklich von weit weg anreisen, wenn wir Konzerte haben. Das heißt aber auch, dass wir als freies Ensemble generell dort proben, wo wir unsere Konzerte haben.

Welche Eigenschaften sollte ein Musiker für Ihr Ensemble mitbringen?

Pluhar: Die Grundvoraussetzung ist, dass er ein ausgezeichneter Musiker ist. Es sind alles herausragende Solisten, die nicht nur interpretieren, sondern auch improvisieren. Dasselbe gilt natürlich auch für die Sänger. Aber wie es genau zur Auswahl kommt, ist sehr individuell, da gibt es keine Regeln. Da glaube ich sehr stark an die Resonanz, die der Esoterik ein Begriff ist.

Was bedeutet das genau?

Pluhar: Ich denke, man sucht sich seine Freunde und auch seine Musiker danach aus, ob sie einem selbst am ehesten entsprechen. Und auch wenn die Musiker vom Lebenslauf, der musikalischen Ausbildung und auch von der Persönlichkeit her sehr verschieden sind, gibt es doch immer sehr viele gemeinsame Anhaltspunkte. Es herrscht eine große Zuneigung zwischen allen Musikern und eine richtige Freude, mit der man auch gut zusammen proben und spielen kann. Außerdem haben alle unglaublich viel Respekt vor dem Können des jeweils anderen. Das alles charakterisiert unsere Zusammenarbeit.

Wer ist Ihr Publikum?

Pluhar: Wir sprechen viele Menschen an. Mir war es schon immer ein großes Bedürfnis, die Alte Musik einem größeren Publikum zu öffnen. Ich bin sehr froh, dass uns das gelungen ist, dass auch sehr viele junge Leute uns gut finden. Denn ich denke, eine Gefahr für die Alte Musik ist, dass das Publikum immer älter wird und es nicht genug Nachwuchs gibt. Dem haben wir versucht entgegenzuwirken, und offenbar ist diese Mission geglückt – zumindest teilweise.

Christina Pluhar
Christina Pluhar

Welche Reaktionen lösen Ihre Konzerte beim Publikum aus?

Pluhar: Die Besucher sind in der Regel sehr angetan von unseren Konzerten, wir feiern wirklich große Erfolge überall auf der Welt. Wir bemühen uns um die direkte Kommunikation mit dem Publikum, aber was die Leute wohl auch berührt, ist neben dem Können der Musiker auch die Spielfreude, die wir ausstrahlen, Spontaneität und Lust am Musizieren gepaart mit Virtuosität. Bei uns herrscht Gleichwertigkeit auf der Bühne. Ich stelle mich ja nicht vor die Musiker, sondern spiele gemeinsam mit ihnen, es sei denn, wir machen wirklich große Produktionen, bei denen wir über dreißig Leute sind.

Geben Sie ihr Wissen auch an Schüler weiter?

Pluhar: Unterrichten ist nicht meine Hauptaktivität, denn mir bleibt leider wenig Zeit neben meiner Konzerttätigkeit. Ich lehre Barock­harfe am Königlichen Konservatorium in Den Haag, welches mir glücklicherweise die Freiheit gibt, in Form einer monatlichen Masterclass zu unterrichten.

Haben Sie einen Ratschlag, den Sie Ihren Schülern besonders gerne mit auf den Weg geben?

Pluhar: Nein, das kann man nicht zusammenfassen. Eine Ausbildung ist immer etwas sehr Komplexes und individuell Abgestimmtes. Ich lasse die Studenten einfach sehr an meinem bisher erlangten Wissen teilhaben. Oft hole ich mir die begabten Studenten auch in mein Ensemble.

Und was war das Wichtigste, das Sie von Ihrem Lehrer mitbekommen haben?

Pluhar: Mein Lautenlehrer Hopkinson Smith hat einmal gesagt, man könne seinen Eltern nie genug danken für die durchwachten Nächte und die jahrelange Arbeit, die sie mit einem Kind gehabt haben. Das sollte man an seine eigenen Kinder weitergeben. Er meinte, so solle es auch zwischen Lehrer und Schüler sein. All das, was wir von unseren Lehrern mit auf unseren musikalischen Weg bekommen haben, müssen wir weitergeben.

Wie bekommen Sie so viele Projekte unter einen Hut?

Pluhar: Es ist ein extrem intensives Leben. Man muss sich vorstellen, dass das Herumreisen und Konzertieren an und für sich schon ein kompletter Job ist. Aber als Ensembleleiterin in der freien Szene ist man sehr auf sich allein gestellt. Das ganze Management, die Organisation und die künstlerische Arbeit der Programmgestaltung sowie die Recherche, das obliegt alles mir. Das heißt, ich mache eigentlich vier Jobs auf einmal.

Das klingt sehr anstrengend.

Pluhar: Das ist es manchmal auch. Aber ich möchte das wirklich nicht missen. Ich investiere mich zu 400 Prozent, damit ich dieses Leben führen und Musik machen kann, wie ich das möchte.

Was wünschen Sie sich für den Klassikbetrieb der Zukunft?

Pluhar: Ich beobachte, dass das Live­konzert unerwarteterweise wieder extrem wichtig wird für die Menschen. Trotz aller Verfügbarkeit der Musik schätzen es die Leute heute noch mehr, die Künstler wirklich live auf der Bühne zu sehen. Das ist ein sehr interessantes Paradoxon, weil es die Einzigartigkeit des gerade erlebten Moments bei Konzerten unterstreicht. Das finde ich spannend.

Was halten Sie von den ganzen Streaming-Angeboten?

Pluhar: Es wäre schön, wenn diese absurde Entwicklung, dass auch klassische Musik über Streaming-Plattformen quasi nichts mehr kostet, gestoppt wird. Ich finde es ganz schlimm, dass wir heute alle Musik, die es überhaupt auf der Welt gibt, zu einem unwürdigen Preis hören können. Darin sehe ich eine große Gefahr vor allem für die Qualität der CD-Aufnahmen.

Was würden Sie jemandem raten, der zum ersten Mal in seinem Leben klassische Musik hören möchte?

Pluhar: Hören Sie sich CDs und Konzerte von L’Arpeggiata an!

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