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Blind gehört Juliane Banse

„Exzentrisch, hoch interessant“

Die Sopranistin Juliane Banse hört und kommentiert CDs von Kolleginnen, ohne dass sie erfährt, wer singt

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Dießen am Ammersee. Völlig entspannt steht Juliane Banse am Bahnhof des beschaulichen Ortes, obwohl sie gleich ihre kleine Tochter vom Kindergarten abholen muss. Dann heißt es für die dreifache Mutter kochen und sich um die beiden Jungen kümmern, die auch bald aus der Schule kommen. Außerdem gilt es, den Auftritt in der nächsten Woche in Moskau vorzubereiten, wo sie den Fidelio singen wird, dazwischen ein Liederabend in Zürich … Und obendrein ist Banses Ehemann, der Dirigent Christoph Poppen, derzeit im Ausland. Dennoch nimmt sie sich Zeit für unser „Blind gehört“-Interview – auch wenn sie ein bisschen Bammel habe, denn im Erkennen von Stimmen sei sie ziemlich schlecht. 

Wagner: Lohengrin, „Einsam in trüben Tagen“

Gundula Janowitz (Sopran), Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks, Rafael Kubelik (Leitung)

1971/1996, DG 

  

Ich kenne die Stimme, ich denke, sie stammt aus der Generation Jurinac. Es ist schon hochinteressant, wie sich stilistische Ansprüche und Geschmack in den Jahren verändern: Sie singt extremes Legato, die Sprache ist ihr nicht so wichtig, das ginge heute weniger – heute erwartet man es eher im Sinne einer dramatischen Erzählung. Sie singt auch sehr langsam und ich bin froh, dass ich es nicht so langsam singen musste. Toll finde ich, dass es eine lyrische Stimme ist und keine typische Wagner-Stimme. Ich hoffe, dass es wieder mehr dahin geht, weg von den „Wagner-Vollgas-stimmen“ zu diesen lyrischen Qualitäten. Vor 40 Jahren durften das Sänger singen, die lyrisch und nicht unbedingt Wagner-Spezialisten waren.

Reimann: Nightpiece für Sopran und Klavier

Christine Schäfer (Sopran), Axel Bauni (Klavier)

1996, Orfeo

 

Das sind Christine und Axel und das Stück von Aribert! Mit den Sängern im Blick hat er quasi maßgeschneidert auf die Stimme geschrieben, für viele Kollegen und auch für mich. Er schreibt für die Stimme, kennt sich mit Gesang sehr gut aus – andere Komponisten kommen eher vom Instrumentalen. Zu Heinz Holliger, der auch für mich komponierte, habe ich mal gesagt, das könne ich nicht singen, er solle dies lieber mit seiner Oboe spielen. Trotzdem ist es nicht einfach, Reimann zu interpretieren – wobei: Kaputt machen kann man sich die Stimme mit zeitgenössischer Musik nicht mehr als mit irgendeiner anderen Musik, auch wenn man sprechen, schreien, rufen oder schnalzen müsste. Wagner und Händel haben halt andere Klippen und Hürden. Man muss einfach gucken, ob man geeignet ist und die Technik hat.

Beethoven: Fidelio, „Abscheulicher, wo eilst du hin“

Charlotte Margiono (Sopran), Chamber Orchestra of Europe, Nikolaus Harnoncourt (Leitung)

1995/2009, Teldec 

Absolut keine Ahnung … Naturhörner, aber keine alte Stimmung. Könnte einer der Fischers sein … Ah! Ist das Harnoncourt? Dann ist das Charlotte Margiono. Das ist wirklich wunderbar: Das Rezitativ, diese vielen Farben, die flexiblen Tempi … hier geht es nicht nur um Schönklang, sondern um Ausdruck: Der hat oberste Priorität.

Whitney Houston: I will always love you

The Ultimate Collection

1992/2009, Sony

  

 

 Whitney Houston! Sie war ein Phänomen, sie konnte mit ihrer Stimme alles machen, mit  beiner Leichtigkeit. Popsänger haben mehr Freiheit, sie dürfen immer Repertoire singen,  das  ihnen auf den Leib geschneidert wird. Sie sind nicht so vielen Regeln unterworfen wie  wir,  wo es heißt: Da darfst du viel Vibrato, da wenig, da die Vorschläge lang, da kurz – diese Zwänge fallen für Popsänger weg. Ob Houston auch eine große Opernsängerin hätte werden können, vermag ich nicht zu beantworten: Man singt ja mit einer völlig anderen Technik als Popsänger. Für sie ist es leichter kreativ zu sein als für uns, die wir uns in diesen Grenzen bewegen müssen. Trotzdem müssen wir innerhalb dieser Grenzen eine eigene persönliche Interpretation liefern. Außerdem werden wir verglichen mit anderen, die die Rolle bereits gesungen haben. Doch zweifellos könnten wir uns von Pop- wie Jazzsängern eine Scheibe abschneiden: Ich habe da keine Scheuklappen.

Strauss: Vier letzte Lieder, „Beim Schlafengehen“

Elisabeth Schwarzkopf (Sopran), Radio-Symphonie-Orchester Berlin, George Szell (Leitung)

1966/2011, EMI

  

Das ist aus den 60er Jahren … die Ästhetik, die die Schwarzkopf unterrichtet hat, dieses extreme Abdecken der Stimme, aber dann plötzlich helle Vokale herausschleudern … Ich war Anfang Zwanzig, sie hat nette Dinge über mich gesagt und mir auch den Schubert-Preis überreicht. Irgendwann war ich in einem Kurs bei ihr in Stuttgart und wollte mich bedanken, worauf sie über mich herfiel und sagte, es sei alles falsch, was ich machen würde. Ich fühlte mich wie ein begossener Pudel und sah, dass innerhalb dieser zwei Stunden sieben Mädels heulend hinaus gerannt sind: Das wollte ich mir nicht antun. Ich hörte allerdings von Kollegen, dass sie zuhause, ohne Publikum, sehr gut unterrichtet hat.

Strauß: Die Fledermaus, „Klänge der Heimat“ 

Kiri Te Kanawa (Sopran), Wiener Philharmoniker, André Previn (Leitung)

1991/2012, Decca

  

… sehr exzentrisch. Die Partie ist eh schon so hoch, warum setzt man das noch höher? Jetzt ist‘s wieder normale Lage. Seltsam. Total exzentrisch, hoch interessant. Edda Moser? Julia Migenes? Das ist Kiri Te Kanawa? Ich habe eine DVD mit ihr gesehen: Sie hat Witz, und man muss es nicht so puristisch sehen – es muss ja nicht immer wienerisch sein. Sie hat auch Musicals gemacht, ist offen für viele Genres. Ich bin immer ein bisschen frustriert, dass wir so festgelegt sind auf das klassische Repertoire. Ich würde gerne mehr Ausflüge machen, finde die Arbeit mit Film- oder Schauspielregisseuren interessant, die gestalterisch noch anderes aus einem herauskitzeln als manche Opernregisseure.

Schubert: Gretchen am Spinnrade

Elly Ameling (Sopran), Jörg Demus (Klavier)

1970/2012, Warner Classics 

 

Schweizer Dialekt …? Ach nein, das ist Elly Ameling! Sie ist eine Koryphäe, in Fachkreisen hochangesehen, eine ganz wichtige Figur aus den Jahren, wo noch nicht jeder Sänger fand, dass Liedgesang zu einer Karriere gehört. Die Generation von Fassbaender, Ameling, Schreier, Dieskau machte Liederabende ,sexy‘. Heute finde ich es bedauerlich, dass so viele große Veranstalter ihre Liederabende eingestellt haben. Das ist ein schlimmer Verlust, weil ein großer Teil der Kultur, der Lyrik wegfällt und verlorengeht, Kinder in der Schule auch keine Gedichte mehr lernen. Man sollte dem kommerziellen Druck nicht so nachgeben, denn all dies wieder aufzubauen, wenn die Zeiten besser werden, ist sehr schwer.

 Brahms: Sapphische Ode

 Jessye Norman (Sopran), Daniel Barenboim (Klavier)

 1987/2000, Deutsche Grammophon 

   

 

Jessye Norman! Man hört, dass das eine Riesen-Röhre ist, die sich wahnsinnig diszipliniert.  Im Hintergrund lauert das Raubtier, das gezähmt wird. Einfach klasse! Das Gutturale, die  kleinen phonetischen Fehler im Deutschen stören mich nicht. Ja, es gibt schon so etwas wie  eine „schwarze Stimme“ – bei Männern ist das noch stärker ausgeprägt. Ich bin neidisch auf diesen ganz spezifischen sexy Klang, den nur die Dunkelhäutigen haben und der schwer zu beschreiben ist. Keine Ahnung, woran das liegt. 

 Mozart: „Basta, vincesti … Ah non lasciarmi“

Diana Damrau (Sopran), Le cercle d’harmonie, Jérémie  Rhorer (Leitung)

 2007, Virgin 

   

 

Das ist Diana, nicht ganz aktuell, da die Stimme jetzt noch gereifter und größer ist. Wir sind  viel gemeinsam aufgetreten, wir mögen uns sehr, sie ist eine ganz tolle Sängerin. Leider  sehen wir uns nicht so oft. Ich bewundere sie sehr, sie kann so Verschiedenes: Sie kann  nicht nur das Virtuose, extrem Hohe, sie kann auch ganz warm und ausdrucksvoll sein. Außerdem ist sie ein absolutes Bühnentier. Ihre Sonnambula an der Met 2014 war einfach göttlich! Sie steht mit beiden Beinen auf der Erde, das ist sehr wichtig. Es ist gut für sie gewesen, dass sie ihre Karriere Stück für Stück aufgebaut hat und  nicht  ,hochgeshootet’ wurde. Sie ist klug, weiß Dinge einzuordnen  

 Johann Ludwig Bach: Trauermusik, „Da, da will ich dir  bezahlen“

 Anna Prohaska (Sopran), Akademie für Alte Musik  Berlin, Hans-Christoph Rademann (Ltg.)  2011, harmonia mundi 

  

 Das ist Anna! Ein unglaubliches Talent: Toll auf der Bühne, sehr ausdrucksvoll. Ich drücke  ihr die Daumen, dass sie den Hype stimmlich und persönlich übersteht. Sie hat eine zarte  Stimme und einen sehr engen Kalender. Man ist am Anfang einer Karriere sehr  geschmeichelt und will alles machen. Aber eine Stimme in den Zwanzigern ist nicht so belastbar wie in den Vierzigern. Doch wenn sie klug ist, schafft sie es.

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