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INTERVIEW KHATIA BUNIATISHVILI

„Auf der Bühne kann ich nicht lügen“

Die Pianistin Khatia Buniatishvili über Karriere, kreative Einsamkeit und den Einfluss der georgischen Volksmusik

vonArnt Cobbers,

Vor der Pause Liszts h-Moll-Sonate, als Finale Prokofjews Sonate Nr. 7. Bei ihrem Konzert auf der Wartburg beeindruckte die 24jährige Khatia Buniatishvili das Publikum nicht nur durch ihre Virtuosität, sondern auch den Tiefgang ihrer Deutungen. Hinterher setzten wir uns, nach einer kurzen Rundfahrt durch die Bach-Stadt Eisenach, zum Gespräch ins Restaurant ihres Hotels. Mehrfach kamen Gäste von den Nachbartischen mit Autogrammwünschen vorbei. Dass sie zum Dank manchmal ein russisches „Spassiba“ hörte, störte die polyglotte Georgierin, die gut Deutsch spricht, überhaupt nicht. 

Frau Buniatishvili, wie fühlen Sie sich?

Ein bisschen müde. Und glücklich, weil ich gespürt habe, dass das Publikum emotional dabei war.

Wie wichtig ist Ihnen das Publikum während des Konzerts?

Sehr wichtig, wenn ich auf die Bühne gehe. In der ersten Sekunde fühlt man, welche Energie vom Publikum kommt. Aber während des Spiels versuche ich, alles um mich herum zu vergessen – auch wenn ich das Publikum höre und sehe. Hinterher ist es natürlich schön zu sehen, wenn man den Menschen etwas gegeben hat. Weil das bedeutet, dass man nicht nur für sich selbst gearbeitet und geübt hat.

Wieweit lassen Sie sich im Konzert forttragen?

Die Dramaturgie eines Stückes, die großen Linien des Charakters bleiben. Aber ansonsten ist es totale Improvisation. Es ist wie ein magischer Moment, wie wenn man hypnotisiert ist und nicht mehr lügen kann. So geht es mir auf der Bühne. Ich kann nicht nur abrufen, was ich geplant habe. Alles gerät in Fluss. Ich mache, was ich in diesem Moment fühle.

Auch Sachen, die Sie selbst überraschen?

Überraschungen gibt’s – angenehme und unangenehme. Manchmal finde ich eine Lösung, die ich mir fürs nächste Konzert merke. Oder ich entdecke etwas, was ich nie zuvor bemerkt habe und frage mich: Warum machst du das so? Da ist das Klavier, da bin ich, da ist die Musik, und da ist noch etwas anderes, was ich nicht wirklich erklären kann und für das ich auch keine Erklärung suche. Da könnte man lange philosophieren.

Genießen Sie die Konzerte?

Manchmal denke ich: Was ist es für ein Glück, auf der Bühne zu sein. Und manchmal fühle ich mich da nicht so wohl. Es gibt stabile Pianisten, die immer dieselben Reflexe in Konzerten haben – was ich so höre von Kollegen. Ich bin ein Mensch, der von seinen Gefühlen bestimmt ist. Ich habe noch keine Regel, kein Muster gefunden. Vermutlich gibt es keines, wie in der Liebe, wie im Leben. Manchmal ist man enttäuscht, manchmal glücklich, manchmal freue ich mich wie verrückt, manchmal bin ich weniger enthusiastisch. Generell aber denke ich, dass ich ein Mensch für die Bühne bin. Ich mag, was das Adrenalin auf der Bühne mit mir macht. Dann wieder denke ich, ich habe eine künstlerische Seite, die in einem Kontrast zu meiner Bühnenmensch-Seite steht, aber nicht in Dissonanz, das ist wichtig.

Der Wunsch des Künstlers nach Einsamkeit?

Man braucht Einsamkeit, auch schwere Momente, um kreativ zu sein. Künstlerische Dinge kommen nicht einfach so, da gibt es Kämpfe auszutragen. Es ist wie bei einer Skulptur, die mit den Händen gearbeitet werden muss. Das ist eine Arbeit, die man mit Liebe tun muss, aber es ist doch eine schwere Arbeit. Ich fühle mich in erster Linie als Künstlerin, dann als Musikerin, dann als Pianistin, die Konzerte gibt.

Machen Sie auch Kammermusik?

Mit Liebe. Nach den schweren einsamen Momenten brauche ich Kontakt mit Menschen in der Musik.

In jedem Text über Sie, auch im heutigen Programmheft, liest man, das Klavier sei für Sie „das schwärzeste Instrument“. Warum?

Das habe ich einmal in einem Interview gesagt, und seitdem lese ich es überall. Es ist auch das weißeste Instrument, das Klavier kann alles. Es ist ein Saiteninstrument, aber auch ein perkussives Instrument. Es ersetzt ein ganzes Orchester, man kann auf ihm alles machen. Allerdings ist das Klavier weniger sensibel. Die Streichinstrumente wirken unmittelbar emotional, das Klavier kommt von der intellektuellen Seite, es strahlt zunächst Kälte aus. Wir halten es nicht am Körper, sondern spielen es auf Distanz. Erst wenn man in die Tasten greift, öffnet sich die „Streicher-Seite“, dann kann man auch mit dem Klavier enorm berühren.

Wie sind Sie zum Klavier gekommen?

Ich wollte schon immer Klavier spielen. Mit drei saß ich zum ersten Mal am Klavier, mit fünf habe ich nach Noten gespielt. Mit sechs war mir klar, ich wollte Musikerin werden – und ich habe nie daran gedacht, aufzuhören. Ich habe aber manchmal gedacht, ich sollte auch etwas anderes machen.

Was wäre das? 

Ich habe zum Glück nicht nur ein Talent fürs Klavier. Und ich mache alles, was ich mache, hundertprozentig – ich bin so ein Mensch. Ob ich einen Text zur CD schreibe oder ein Video  drehe – wenn ich etwas mache, mache ich es mit ganzem Herzen. Ich bin noch jung, ich kann noch vieles tun. Aber im Moment fühle ich mich gut, ich habe kein Verlangen nach etwas anderem.

Sie haben mit sechs Jahren angefangen zu konzertieren.

Meine Schwester und ich waren in einer Schule für talentierte Kinder. Eine Jury hat vier Mal im Jahr ausgewählt, wer in Konzerten spielen darf, und ich war immer dabei, es war für mich normal, auf die Bühne zu gehen. Aber jedes Mal wurde auch das Verantwortungsgefühl stärker. Ich habe mich immer gewissenhaft vorbereitet.

Ihre Mutter war Programmiererin und hat aufgehört, um mehr Zeit für Sie und Ihre Schwester zu haben. Hat sie große Erwartungen in Ihre Karriere gesetzt?

Nein, Sie wollte einfach Zeit für uns haben und ist Hausfrau geworden, das hatte nichts mit der Musik zu tun. Sie war nie streng, es gab nie Druck. Sie hat sich gefreut für uns.

Es gibt im Moment eine ganze Reihe interessanter junger Musikerinnen aus Georgien. Gibt’s dafür eine Erklärung?

Die Volksmusik spielt eine ganz wichtige Rolle. Die ist unglaublich, eine reiche Polyphonie, sehr eigenständig. Georgien ist ein kleines Land, aber jede Region hat ihre eigene authentische Musik. Fast jede Familie hat Instrumente zu Hause, jeder singt. Auch wir haben in der Familie gesungen und gespielt.

Sie befinden sich gerade in einer spannenden Phase, nach der ersten CD bei einem Major-Label und den ersten großen Konzerten.

Irgendwie war mir immer klar, dass ich Erfolg haben werde. Ich hatte immer ein gewisses Grundvertrauen. Dabei bin ich absolut kein Karrieremensch. Ich habe schon als Kind Menschen gesehen, denen die Karriere wichtiger war als der Mensch – das habe ich gehasst. Es ist wie mit der Technik in der Musik: Eine gute Technik hilft, Ideen auszudrücken. Die Karriere gibt einem mehr Möglichkeiten, das zu tun, was man wirklich machen will.

Warum sind Sie nach vier Jahren Studium in Wien nicht zurück nach Tiflis gezogen – sondern nach Paris?

Georgien ist mein Land, ich bin voll und ganz eine georgische Frau, aber ich liebe Paris. Und ich denke, ein Künstler, der in Paris verliebt ist, sollte zumindest ein Jahr in Paris leben. Georgien ist einfach zu weit weg. Mit politischen Gründen hat das nichts zu tun. Georgien entwickelt sich sehr gut. Es ist nicht mehr gefährlich, man kann überall herumreisen, ich fühle mich sehr wohl da. Aber wenn ich zwischendurch zwei, drei Tage frei habe, lohnt es sich nicht, nach Georgien zu fliegen. In Paris bin ich auch nicht häufiger als eine Woche pro Monat. Aber da kann ich meinen Koffer mal abstellen und Luft holen. Dann lieber Luft, die ich mag und die parfümiert ist, als andere Luft.

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