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Musikstadt Leipzig: Interview Patrick Schmeing

„Wir wollen keine Gedenkstätte sein“

Patrick Schmeing, Direktor des Mendelssohn-Hauses und Vorstand der Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung, über die Pflege eines reichen Erbes.

vonSusanne Bánhidai,

Patrick Schmeing ist seit April Geschäftsführender Vorstand der Felix-­Mendelssohn-Bartholdy-­Stiftung und Direktor des Mendelssohn-Hauses. Das Haus in der Leipziger Gold­schmidt­straße 12 ist die letzte baulich erhaltene Privat­adresse des Komponisten, Kapellmeisters und Universal-Genies Felix Mendelssohn, dessen im kommenden November, aber insbesondere im nächsten Jahr, gedacht wird.

Im Jahr 2022 wird der 175. Todestag von Felix Mendelssohn begangen, die Stadt Leipzig wird ihren Bürger entsprechend würdigen. Wem genau gilt das Gedenken?

Patrick Schmeing: Mendelssohn war und ist einer der größten Leipziger. Durch seine Genialität, durch seine Menschlichkeit, durch seine Offenheit, durch seine Weitsicht im Sinne Europas, durch seine künstlerische Vielseitigkeit ist er ein Weltstar und hat Leipzig zur Weltstadt der Musik gemacht. Die besondere Beziehung zu seiner Schwester Fanny, die auch eine große Künstlerin war, gab seinem Leben einen tragischen Schluss, denn sie starb früh und er kurz nach ihr. Insgesamt war sein Leben jedoch von Erfolgen und Glück gekennzeichnet. Das Mendelssohn-Haus ist die letzte Wohnung der Familie. Am 4. November 1847 ist ­Felix Mendelssohn hier in der Beletage, wo wir das Museum eingerichtet haben, im Alter von nur 38 Jahren verstor-
ben.

Damit kommt dem Mendelssohn-Haus eine besondere Bedeutung zu.

Schmeing: Wir feiern 2022 auch das 25-jährige Bestehen des Mendelssohn-Hauses. Das ganze Jahr über begehen wir auch dieses Jubiläum, unter anderem mit einer Podcast-Reihe, einer Sonderausstellung, Sonder-Publikationen – und mit besonders intensiven Mendelssohn-Festtagen im November.

Musiksalon der Familie Mendelssohn im Mendelssohn-Haus
Musiksalon der Familie Mendelssohn im Mendelssohn-Haus

Wie genau hat Felix Mendelssohn die Stadt Leipzig geprägt?

Schmeing: Mendelssohn hat in Leipzig in seiner Funktion als ­Gewandhauskapellmeister durch zahlreiche Uraufführungen Musikgeschichte geschrieben. Außerdem hat er das Musikleben institutionell modernisiert, zum Beispiel das Gewandhaus­orchester der wirtschaftlichen Verantwortung der Stadt übergeben und das erste Konservatorium in Leipzig gegründet. Er war ein guter Manager und hat Leipzig so auf die musikalische Landkarte gesetzt. Und natürlich ist ihm die Wiederentdeckung der Werke Johann Sebastian Bachs zu verdanken.

Was für eine Rolle spielte seine familiäre Abstammung?

Schmeing: Mendelssohn hatte von Haus aus die Mittel dazu, viel zu reisen. So wurde er zum Weltbürger, der neue Impulse nach Leipzig brachte. In einer Zeit, in der das alles andere als selbstverständlich war, reiste er durch Europa. Zehn Mal war er in seinem kurzen Leben in England und schaffte es bekanntlich bis nach Schottland. Und er genoss eine sehr vielseitige Ausbildung, die nicht nur musikalisch ausgelegt war. Er konnte wunderbar zeichnen, wie wir hier im Mendelssohn-Haus auch zeigen können, und schrieb hinreißende Briefe.

Das Mendelssohn-Haus war damals schon mehr als eine Wohnung …

Schmeing: Die Wohnung ist etwa 300 Quadratmeter groß, das Musikzimmer ist der größte Raum darin. Dort gingen die Leipziger Kultur-Elite und europäische Gäste ein und aus. Die Mendelssohns luden vormittags oft zur musikalischen Matinee. Die Schumanns waren da, Louis Spohr, die Sängerin Jenny Lind, Hans Christian Andersen. Es war kultureller Mittelpunkt Europas. Ab den Mendelssohn-Festtagen im November möchten wir den Salon-Gedanken des 19. Jahrhunderts wieder aufleben lassen. Wir planen eine Reihe mit Gesprächen im Salon als Ort für Musik, aber auch für Austausch und Diskussion, wo unsere neue Präsidentin Elena Bashkirova als Gastgeberin fungiert.

Ölporträt Felix Mendelssohn Bartholdys, gemalt 1846 von Eduard Magnus
Ölporträt Felix Mendelssohn Bartholdys, gemalt 1846 von Eduard Magnus

Wie hat sich die Rolle des Mendelssohn-Hauses entwickelt?

Schmeing: Die Trägerin des Hauses ist die Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung, aber man muss den Namen Kurt Masur nennen: Ohne ihn gäbe es dieses Haus nicht. Er trug eine große Mendelssohn-Bewunderung in sich. Er war entsetzt, als das Gebäude nach der Wiedervereinigung abgerissen und durch einen Hotel-Komplex ersetzt werden sollte, und kämpfte leidenschaftlich für den Erhalt. 1997 konnte das Haus eröffnet werden, und das Museum ist Schritt für Schritt gewachsen. Zuerst gab es nur die Beletage mit dem Museum, dann kamen der Ausbau des Erdgeschosses und 2017 die dritte Etage, die Ausstellung „Fannys Welt“. Digital präsent zu sein, ist für uns eine große Chance, als kleines Haus viele Menschen in der Welt zu erreichen. Wir wollen keine Gedenkstätte sein, kein historischer Ort, der nur zurückblickt. Wir beschäftigen uns mit der Bedeutung Mendelssohns in der Gegenwart und Zukunft. Durch die Diffamierung seiner Person und seines Werkes in der Nazi-Zeit bietet er einen aktuellen Bezugspunkt für die jüngere Generation, sich mit Antisemitismus auseinanderzusetzen.

Wie sieht das Mendelssohn-Haus in hundert Jahren aus?

Schmeing: Ich hoffe, wir bleiben ein Erlebnisraum. Als Beispiel dafür möchte ich auf unser „Effektorium“ im Haus hinweisen, in dem man an einem Dirigentenpult elektronisch Musiker-Stelen dirigieren kann – das ist sehr beliebt, nicht nur beim jüngeren Publikum. Mendelssohn bedeutet Jugendlichkeit, Helligkeit und Leichtigkeit, und das ist unser Ansatzpunkt gemäß unserem Motto: „Felix macht glücklich“. Auch das Haus selbst in den Biedermeier-Farben strahlt dies aus. Die Vermittlung bereitet hier sehr viel Freude. Selbst Kurt Masur sagte: „Dies soll ein offenes Haus in Bewegung sein, das den Geist Mendelssohns in die Welt trägt.“ Auf leichte und glückliche Art und Weise.

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