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INTERVIEW SEBASTIAN KNAUER

„Beeindrucken und Berühren sind zwei völlig verschiedene Dinge“

Sebastian Knauer über Äußerlichkeiten in der Musik­branche, Musikalität – und Skateboardfahren

vonGregor Burgenmeister,

Noch bevor wir an einem der letzten spätsommerlichen Abende in einer Eppendorfer Szene-Bar unser Essen bestellt haben, kommt sein zehnjähriger Sohn auf dem Nachhauseweg vom Frisör auf dem Skateboard bei uns vorbei gefahren. Es ist nicht zu übersehen: Der Pianist Sebastian Knauer ist Hamburger durch und durch. Sogar eine Straße ist nach einem seiner Vorfahren benannt. Trotzdem hat er nicht hier, sondern in Augsburg neben seiner Tätigkeit als Solist und leidenschaftlicher Kammermusiker mit mozart@augsburg ein eigenes Festival gegründet.

Herr Knauer, wie fühlen Sie sich als frisch gebackener Festival-Intendant?

(lacht) Ich bezeichne mich selbst nicht als Intendant, sondern als künstlerischen Leiter. Bei fünf Konzerten fände ich als sachlicher Hamburger „Intendant“ übertrieben. 

Wie kam es dazu, ausgerechnet in Augsburg ein neues Festival zu gründen?

Ich bin schon zwei Mal bei der Mozartiade in Augsburg aufgetreten und war letztes Jahr wie viele Kollegen von deren finanziellen Problemen voll betroffen. Es war letztlich wie eine Blase, die plötzlich platzte. Ich kam dadurch schnell in direkten Kontakt mit einem bestehenden Freundes- und Förderkreis, der gar nicht wusste, dass es so schlecht um die Mozartiade steht. Wir haben dann überlegt, was wir nun machen könnten und ich habe vorgeschlagen, mit ihrer Hilfe ein neues Festival mit einem neuen Namen und mit mir als künstlerischem Leiter zu gründen. Schließlich ist Augsburg eine sehr schöne Stadt mit einer unglaublichen Historie und zudem die Geburtsstadt von Leopold Mozart. Auch Wolfgang Amadeus Mozart hat dort viel Zeit verbracht. Mit der Historie im Hintergrund, mit meinen eigenen Verbindungen, mit den tollen Barock- und Rokkoko-Sälen und Kirchen in Augsburg kann man etwas Tolles aufbauen! Erfreulicherweise war der Freundeskreis schnell einverstanden. Also hatte ich sofort eine bestehende Augsburg-Connection und tolle Leute vor Ort an der Seite. Ich gehe dort als Außenstehender natürlich auch viel unbefangener an die Sache heran, das wissen die Augsburger auch sehr zu schätzen. Denn Augsburg ist kein leichtes Pflaster und ich habe gelernt, dass die Menschen dort zu Anfang durchaus ein sehr skeptisches, abwartendes und beobachtendes „Völkchen“ sind. 

Um damit richtig umzugehen, müssten Sie als Hamburger ja die richtigen Voraussetzungen mitbringen…

(lacht) Ja, so sind wir auch, aber nicht ganz so „schlimm“. Es heißt, dass viele Unternehmen ihre neuen Produkte in Augsburg testen, weil sie sich sagen, wenn das Produkt dort gut ankommt, dann läuft es überall. Soll also heißen, wenn mein neues Festival dort funktioniert, dann werden mir jetzt die Intendanzen hinterher geworfen! (lacht) 

Also wird es bald in ganz Deutschland Sebastian Knauer & Friends-Festivals geben?

Nein, das glaube ich nicht. Natürlich habe ich auch immer wieder darüber nachgedacht, in Hamburg etwas zu machen, schließlich bin ich Hamburger durch und durch. Außerdem liebe ich es, zu organisieren. Aber Sie wissen ja: Der Prophet im eigenen Lande hat es schwer. Abgesehen davon ist Hamburg musikalisch wirklich gut versorgt. Mir reicht es, wenn ich ab und zu in meiner geliebten Heimatstadt spielen darf. 

Sie machen viele verschiedene Dinge, spielen solistisch, aber auch viel Kammermusik, verbinden Musik und Literatur, leiten jetzt ein eigenes Festival – woher kommt die Neugier, sich in so vielen Bereichen auszutoben?

Ich habe unheimlich viele Interessen und bin nicht auf eine Sache festgelegt. Vielleicht bin ich auch einfach nicht die Art von Pianist, der immer nur Klavier solo spielt wie beispielsweise ein Grigory Sokolov. Das ist ein Pianist, wie man ihn sich eigentlich vorstellt, der nur Recitals spielt, nur die Programme macht, die er vorgibt und Ende. Da wird nicht diskutiert, aber wenn er dann spielt, knien alle nieder. Zu Recht. Abgesehen davon, dass ich nicht der Typ dafür bin, wäre mir das jedoch zu einseitig. Als Pianist ist man allein auf weiter Flur, aber mit Freunden gemeinsam auf der Bühne zu sein, bringt mir großen Spaß. Wenn ich keine Kammermusik spielen würde, hätte ich auch nicht wie zuletzt bei meinem Festival einen so bedeutenden Moment in meinem Leben genießen dürfen, wie das Brahms-Quintett mit dem Emerson String Quartet zu spielen. Gerade durch meine Vielseitigkeit gibt es viele Erlebnisse, die ich nicht missen möchte, wie auch beispielsweise meine Auftritte mit Stewart Copeland, dem Drummer von The Police. Für solche unüblichen Dinge bin ich sehr aufgeschlossen. 

Reine Tasten-Virtuosität scheint Sie also nicht wirklich zu interessieren?

Nein. Obwohl Virtuosität natürlich auch dazu gehört. Aber ich bin sicherlich keines der Technik-Genies wie ein Lang Lang, die ohne technische Limits einfach alles spielen können, was sie wollen. Ich erarbeite mir das hart und muss entsprechend Zeit dafür aufbringen. Deswegen spiele ich nicht die ganze Zeit Liszt oder Rachmaninow. Was nicht heißt, dass ich das überhaupt nicht tue. Es macht mir aber mehr Spaß, mich voll und ganz der Musik zu verschreiben. Das Handwerk gehört dazu, das brauche ich ja, aber ich bin zum Beispiel kein Fan von Liszt-Paraphrasen, das ist einfach nicht mein Ding. Jeder hat so seine Schwerpunkte und besonderen Fähigkeiten. Wieso sollte ich Werke spielen, die vielleicht anderen besser liegen? Ich suche mir das Repertoire aus, mit dem ich mich auf der Bühne wohl fühle. 

Was macht für Sie einen guten Pianisten aus?

Ein guter Pianist ist derjenige, der sowohl das Handwerk beherrscht, als auch musikalisch die Seele des Publikums berührt und in seinen Bann ziehen kann. Technik kann im Moment beeindrucken, aber sie erzeugt keine bleibende Wirkung. Natürlich beeindruckt das, wenn jemand noch schneller spielen kann, als alle anderen, aber auf Dauer ist das nicht sehr spannend. Mich faszinieren viel mehr Menschen, die einerseits durch ihr Können beeindrucken, vor allem aber durch ihre Ausstrahlung berühren. Beeindrucken und Berühren sind zwei völlig verschiedene Dinge.

Kann man das Berühren überhaupt erlernen?

Ich würde sagen, es ist schwierig zu lernen, Musik so zu machen, dass man Menschen wirklich berührt. Dazu muss man schon etwas in sich haben, was zwar geweckt und intensiviert werden kann. Es ist aber nicht erlernbar. Wenn jemand hochmusikalisch und sensibel ist, kann man damit etwas formen. Jemandem mit einer rein technischen Begabung hingegen und ohne Gespür für die Musik kann man noch so viel zeigen. Er wird es vielleicht perfekt nachmachen, aber es wird nicht das sein, was die Menschen wirklich mitnimmt. 

Provokativ könnte man also sagen, dass selbst ein Affe das Klavier-Handwerk, aber ein Mensch, der die Technik beherrscht, keine Musikalität lernen kann?

Ja, streng ausgedrückt, ist das so. Aus einem musikalisch begrenzt begabten Menschen kann man keinen großen Musiker machen. Man kann eine große Show daraus entwickeln, die beeindruckt, aber nicht berührt. Da bin ich sehr streng! Von Technik ist man beeindruckt, auch ich, aber es ist nicht für die Ewigkeit. Rubinstein ist für die Ewigkeit, oder Horowitz. Bei ganz großen Pianisten wie Gilels, Fischer, auch bei Brendel ist eine so große Persönlichkeit vorhanden, die Zeit braucht, sich zu entwickeln. Zeit, die man den Musikern heute oft gar nicht mehr gibt. Zugespitzt gesagt ist es heute so, dass Plattenlabels zu Siebzehnjährigen kommen und sagen: Ab morgen bist Du ein Superstar. Natürlich sind da teilweise unglaubliche Begabungen dabei, sowohl technisch wie musikalisch. Aber die werden gar nicht gefragt, ob sie schon dafür bereit sind, die große Welt zu bereisen und man gibt ihnen nicht die Zeit, ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Letztlich geht es aber doch darum, dass man auf der Bühne etwas erzählen muss. Und wenn man mit siebzehn die letzte Schubert-Sonate spielt, weiß ich nicht, was so ein junger Musiker seinem Publikum erzählen will. Der hat doch noch gar nichts erlebt! 

Welche Rolle spielen dabei Äußerlichkeiten?

Es ist schon eine Tendenz gerade in den letzten Jahren, dass die Labels großen Wert auf gute Cover-Motive gelegt haben. Natürlich steckt da oft musikalisch auch etwas dahinter. Trotzdem ist es auffällig, dass immer häufiger gut aussehende, junge Frauen auf dem Cover zu sehen sind, die schon auch gut sind, aber das Aussehen auch den Verkauf fördert. Auch beim Live-Auftritt spielen Äußerlichkeiten eine immer größere Rolle. Man sagt zwar zurecht, „das Auge isst mit“ und im Konzert möchte man auch ein visuelles Erlebnis haben. Mir persönlich geht es allerdings manchmal schon etwas zu sehr um die Oberfläche.

Wie kann man als Musiker stattdessen  Hemmschwellen beim Publikum abbauen?

Indem man zum Beispiel von der Bühne aus einmal den Mund aufmacht. Das mache ich ja relativ oft und versuche dem Publikum dadurch auch das Gefühl zu geben, der ist ja ziemlich entspannt und ein „ganz normaler Mensch“, der sich freut, dass die Zuhörer da sind. Oder man macht es wie mein Freund Daniel Hope, der ein Buch dazu geschrieben hat, um den Menschen zu zeigen, es ist alles gar nicht so schlimm, wie ihr vielleicht denkt. Natürlich kann ich mich bei einem Konzert mit Orchester nicht hinstellen und lange Reden schwingen, weil dann wahrscheinlich der Orchestervorstand aufsteht und sagt, wir haben tarifvertraglich geregelte Arbeitszeiten, der Knauer redet schon seit einer halben Stunde… Das geht natürlich nicht. Musik ist eine unglaubliche Konzentrationsangelegenheit. Trotzdem sind Musiker ganz normale Menschen. Wenn man mich hier sieht, würde man auch nicht unbedingt sagen, dass ich professioneller Klavierspieler bin. (lacht)

Welche Rolle wird die klassische Musik in fünfzig Jahren spielen? 

Klassische Musik wird es genauso geben wie heute. Vielleicht müssen wir die Ansprüche teilweise etwas zurück schrauben, völlig horrende Gagenforderungen werden sich ein bisschen einstellen, was ich im Übrigen auch gut finde. Es gibt diese Extremfälle, da werden sechsstellige Summen gezahlt für einen Auftritt, was sich vor allem auch im Kartenpreis negativ bemerkbar macht. Klassik sollte auch dem breiten Publikum zugänglich bleiben und keine elitäre Sache sein. Jeder sollte die Chance haben, Konzerte zu besuchen. Ich bin aber sicher, im Grunde ist der Bedarf an klassischer Musik in fünfzig Jahren mindestens so groß wie jetzt. Wir müssen nur etwas dafür tun, dass auch die Kinder und die Jugend in der heutigen Zeit mit Klassik in Berührung kommen, weil die älteren Generationen, für die das früher normal war, irgendwann nicht mehr da sein werden. 

Wenn man wie eben Ihren Sohn auf einem Skateboard vorbei fahren sieht, prallen da durchaus auch Generationen und verschiedene Welten aufeinander…

Ich bin einfach ein Lebe-Mensch und selbst ziemlich normal (lacht). Zum Leben gehört für mich auch Familie dazu, aber auch Skateboardfahren, gemeinsames Wii-Spielen mit meinem Sohn, was ich ihm gerade für nachher noch versprochen habe. Ich bin sehr froh, das alles auch machen und genießen zu können. Wenn ich etwas intensiv ausdrücken will, muss ich es auch erlebt haben, sei es das Fröhliche oder das Traurige und Schicksalhafte. Das muss alles einmal passiert sein. Nur dann, kann man auf der Bühne auch entsprechend etwas darstellen. Sich ganz introvertiert nur der Musik hinzugeben und außen herum nichts geschehen zu lassen, das wäre mir zu einseitig. Dazu ist das Leben viel zu aufregend und zu schön. Man muss nur immer wieder die Disziplin aufbringen, sich hinzusetzen und zu arbeiten. So lang das funktioniert und Leben und Arbeit miteinander im Einklang sind, bin ich happy. 

Album Cover für
Bach & Sons
Klavierkonzerte von J. S. Bach, C. P. E.
Bach & J. C. Bach
Sebastian Knauer (Klavier), Zürcher
Kammerorchester, Roger Norrington
(Leitung). Berlin Classics

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