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Doppelinterview mit Arash Safaian und Sebastian Knauer

„Beethoven ist keine Statue, die wir beknien sollen“

Der Pianist Sebastian Knauer und der Komponist Arash Safaian sprechen über ihr Album „This is (not) Beethoven“, Traditionspflege, Plastikgeigen und die Frage, ob wir noch Neueinspielungen von Standard-Repertoire brauchen.

vonJakob Buhre,

Es ist eines der ersten Interviews, das wieder face-to-face stattfindet: Mitte Juni sitzen Sebastian Knauer und Arash Safaian mit reichlich Abstand in einer geräumigen Berliner Hotel-Lobby. Trotz gelockerter Corona-Maßnahmen ist die Unsicherheit groß, es habe sich „eine richtige Depression auf uns Musiker gelegt“, sagt Knauer. Noch rechtzeitig vor dem Lockdown hat der Hamburger Pianist mit dem deutsch-iranischen Komponisten Arash Safaian die zweite Kollaboration fertiggestellt: neue Variationen über Beethoven für Klavier und Orchester.

Arash Safaian, Sebastian Knauer, Sie haben 2016 gemeinsam die CD „Überbach“ veröffentlicht. Ist das Album „This is (not) Beethoven“ nun die Fortsetzung?

Sebastian Knauer: Es gab nach unserem Projekt „Überbach“ auf jeden Fall den Wunsch, wieder zusammenzuarbeiten. Und als das Jahr 2020 immer näher kam, haben wir überlegt, ob wir uns nicht gemeinschaftlich Beethoven nähern können – auf welche Art und Weise auch immer.

Arash Safaian: Der kompositorische Ansatz ist jetzt ein anderer. Bei „Überbach“ waren verschiedene  Bach-Kompositionen die Grundlage für verschiedene Stücke, hier ist es jetzt ein Variationssatz, bei dem sich ein Thema durch das gesamte Werk zieht, der 2. Satz aus Beethovens 7. Sinfonie. Der war für mich die Leitlinie, wobei ich in manchen Variationen auch andere Themen von Beethoven eingearbeitet habe.

Gibt es bestimmte Grenzen, die man sich als Variationskomponist setzt? Oder ist alles erlaubt?

Safaian: Beim Variieren habe ich ein Grundmodell, das mir der Satz von Beethoven vorgibt, darauf habe ich meine musikalischen Gedanken entwickelt. Da ist man schon relativ frei, der Kreativität steht nichts im Wege. Mir war aber wichtig, dass man immer einen Schimmer von Beethovens Urmodell aus dem zweiten Satz der 7. Sinfonie heraushört.

Steht der Kreativität manchmal auch der Respekt vor dem Original im Weg?

Safaian: Das kann passieren, insbesondere bei Beethoven. Die Strukturen bei Bach zum Beispiel sind viel offener, mathematischer, sie funktionieren oft wie ein Baukasten, den man universell gestalten kann. Beethoven dagegen hat einen starken Personalstil, es steckt viel persönlicher Ausdruck in den Kompositionen. Damit umzugehen ist keine leichte Aufgabe.

Knauer: Ich habe auch riesigen Respekt vor Beethoven, er gehört für mich zu den größten überhaupt. Gleichzeitig habe ich Respekt vor so einem neuen Variationswerk, wie Arash es geschrieben hat. Da stelle ich auch nicht die Frage, ob es „nah genug“ an Beethoven ist. Sondern wenn es ein gutes Stück ist, wovon ich in diesem Fall überzeugt bin, dann bin ich mit Leib und Seele dabei. Ich finde, durch diese Art von Auseinandersetzung hebt man Beethovens Opus noch eine Stufe höher – und bringt es vielleicht auch Menschen nahe, jenseits des traditionellen Publikums, das sich ein Abonnementprogramm anhört.

Was, glauben Sie, hätte der Original-Komponist zu Ihrem Projekt gesagt?

Knauer: Ich denke, er wäre offen gewesen für diese Art von Weiterdenken seiner Musik, er war für seine Zeit ja selbst revolutionär.

Safaian: Beethoven war ein absolut antiautoritärer Mensch, er hat die Strukturen der damaligen Klassik für viel zu langweilig empfunden und wollte sie weiterentwickeln. Für ihn war das Neue viel wichtiger als einzig die Pflege der Tradition.

Arash Safaian
Arash Safaian

Die heutige Traditionspflege hat im Jubiläumsjahr wieder zu zahlreichen Beethoven-Neueinspielungen geführt. Hand aufs Herz: Haben wir nicht schon genug Aufnahmen?

Knauer: Dass man sich mit dem Original auseinandersetzt, finde ich schon wichtig. Mir persönlich verschaffen seine Werke nach wie vor Gänsehaut. Ich würde auch niemandem die Berechtigung absprechen, eine neue Einspielung vorzulegen. Auf der anderen Seite muss man sich anschauen, wie sich die Welt verändert hat. Wie viele Neueinspielungen verträgt der Markt noch?

Sie selbst haben nie eine Gesamtaufnahme, zum Beispiel aller Beethoven-Sonaten, gemacht.

Knauer: Ich hatte mal diesen Kindheitstraum, alle Mozart-Klavierkonzerte aufzunehmen. Wer weiß, vielleicht mache ich das nochmal. Bei Beethoven würde ich mich fragen: Wollen die Leute das noch, dass jetzt jemand zum x-ten Mal die „Sturmsonate“ oder die Diabelli-Variationen aufnimmt? Wir haben davon in der Tat schon sehr viel, in sehr guter Qualität, auch von der jüngeren Pianisten-Generation. Auch deswegen hatte ich große Lust, mit „This is (not) Beethoven“ ein Projekt zu machen, das dem Strom etwas entgegenschwimmt.

Safaian: Interpreten sind immer Botschafter der Musik. Und wenn die Botschaft, die sie überbringen, immer die gleiche ist, kann das auch irgendwann zu einer Stagnation führen. Dann wird aus der Traditionspflege ein Brauchtum, eine Art Denkmalshuldigung. Beethoven ist aber kein Götze, keine Statue, die wir beknien sollen. Sondern es geht darum, ihn aus der heutigen Zeit zu betrachten, seine Musik mit neuen Botschaften zu füllen, anstatt nur die Botschaften aus dem 19. Jahrhundert zu reflektieren.

Wo hat das Ihrer Meinung nach kompositorisch gut geklappt, mit der neuen Botschaft, mit einer neuen Deutung?

Safaian: Thomas Adès hat zum Beispiel Stücke von Couperin für Streichorchester „umkomponiert“, Hans Zender hat Schuberts „Winterreise“ kompositorisch wundervoll in unsere Zeit geholt – da gibt es viele Beispiele.

… und vermutlich genauso viele Puristen, die darüber die Nase rümpfen.

Safaian: Denen würde ich sagen, dass Musik etwas Lebendiges ist – und eben keine Kultstätte. Es heißt ja immer: „Respekt vor Beethoven!“ Ja, man kann nicht mehr Respekt vor Beethoven haben, als dass man sich aktiv mit ihm auseinandersetzt.

In einem Gespräch über Crossover-Projekte sagte eine deutsche Geigerin einmal, man würde doch auch ein Selbstporträt von van Gogh nicht mit Hello Kitty-Ohren versehen. Wie sehen Sie das?

Safaian: Man kann natürlich versuchen, das Alte zu schützen, indem man alles, was neu gedacht und kreativ gemacht wird, ablehnt. Für mich ist das Akademismus. Und das Naturgesetz der Welt funktioniert anders: Der Mensch ist das kreativ begabteste Wesen auf dieser Erde, die Schönheit unseres Daseins besteht darin, dass wir unsere Kreativität ausleben. Musik lebt durch Kommunikation, von Komponist zu Komponist. Beethoven hat sich von Diabelli inspirieren lassen, Brahms von Haydn usw.

Knauer: Ich finde diese Haltung „was darf man mit der Klassik machen, und was nicht?“ heute nicht mehr zeitgemäß. Bei Joachim Kaiser wurde früher noch diskutiert, ob man im Konzert die Augen schließen darf, oder ob man eine Thielemann-Interpretation gut finden darf. Diese Zeiten sind, denke ich, vorbei.

Sebastian Knauer

Sie sagten vorhin, dass Sie mit den Beethoven-Variationen ein anderes Publikum erreichen können…

Knauer: Ja, davon bin ich überzeugt. Wir haben das schon bei „Überbach“ festgestellt, und ich erlebe es auch jetzt beim neuen Projekt, zum Beispiel bei Spotify, wo man analysieren kann, aus welcher Altersklasse die Hörer kommen. Ich habe die Erfahrung auch in meinem Freundeskreis gemacht, wo Leute, die sonst mit Klassik nicht viel zu tun haben, zu mir sagten: „Oh, das ist ja schön!“ Da erreicht man zumindest das Interesse – ob es dann dabei bleibt, sie sich vielleicht das Original anhören und später in die Philharmonie gehen, weiß ich nicht, aber es besteht eine größere Chance. Wir müssen ja auch eines bedenken: Die Vermittlung von klassischer Musikgeschichte verliert an Priorität.

Wie meinen Sie das?

Knauer: Wenn ich an die Schulen gucke: Was wird da noch über Klassik gelehrt? Ich habe selbst zwei Kinder auf dem Gymnasium und bin froh, wenn sie dort zumindest noch lernen, wann ungefähr Beethoven gelebt hat und, dass Bonn seine Geburtsstadt ist. Ein normaler Musikunterricht findet ja kaum mehr statt. Deswegen müssen wir Musiker uns darum kümmern, die Generationen zu erreichen, die klassische Musik nicht von zu Hause und auch nicht aus der Schule mitkriegen. Da schaffen wir, glaube ich, etwas Positives, mit einem Werk, das einerseits sehr an das Original angelehnt ist, andererseits aber auch eine Klangwelt eröffnet, die in die heutige Zeit passt.

Stichwort Klangwelt: Herr Safaian, Sie nutzen für Ihre Musik sowohl das klassische Instrumentarium als auch Elektronik. Ist es für einen Komponisten heute notwendig, in beiden Welten zuhause zu sein?

Safaian: Für mich sind das gar nicht zwei Welten, für mich gehört das zusammen. Alles, was dem künstlerischen Ausdruck dient, ist für mich spannend und reizvoll. Und sicher ist es von Vorteil, wenn man sich mit vielen Möglichkeiten der Klangproduktion auskennt. Bei „This is (not) Beethoven“ haben wir jetzt auch Synthesizer verwendet. Die hört man nicht so direkt, aber sie reichern den Klang etwas an, stellen eine andere Dichte her. Solche Möglichkeiten werden zunehmen, und ich sehe keinen Grund, sie nicht zu nutzen, wenn es der Komposition dient.

Sie arbeiten auch im Bereich Filmmusik, wo nicht selten die sogenannten „Plastikgeigen“ zum Einsatz kommen: Streicher aus der Computer-Konserve. Ihr früherer Lehrer Enjott Schneider sagte 2004 dazu: „Echte Musiker schwingen sensibler als Midi-Elektronik.“ 

Safaian: Das ist auch heute noch so und es wird, glaube ich, immer so sein. Die Technologie hat sich natürlich entwickelt, deshalb brauchen wir den echten Orchesterklang aber um so mehr. Denn viele Menschen hören den Unterschied zwischen einer echten und einer synthetischen Geige nicht mehr.

Weil unser Ohr schlechter geworden ist?

Safaian: Nein, weil viele Leute nicht präzise genug hören können. Wenn man den Fernseher anschaltet, läuft dort so viel durch den Computer simulierte Musik, woran sich das Ohr bereits gewöhnt hat. Jemand, der sich nicht mit klassischer Musik befasst, nimmt kaum wahr, dass das kein echtes Instrument ist – was ich traurig finde. Die Lebendigkeit der Musik entsteht ja dadurch, dass sie von echten Menschen interpretiert wird. Streicher aus der Konserve sind dazu überhaupt kein Vergleich.

Die echten Musiker haben es nun in der Corona-Zeit besonders schwer. Herr Knauer, wie erleben Sie die aktuelle Situation?

Knauer: Seit Beginn der Krise sind bei mir über siebzig Konzerte entweder abgesagt oder verschoben worden. Der gesamte Konzertbetrieb ist weltweit zum Erliegen gekommen. Es ist wirklich dramatisch. Abgesehen von erheblichen finanziellen Ausfällen hat sich zudem gefühlt eine richtige Depression auf uns Musiker gelegt, aus der man sich nur schwer befreien kann. Ein zaghafter Wiederbeginn ist zwar in Aussicht, aber es wäre wichtig, dass wir bald einen Impfstoff haben, damit sich die Menschen wieder in einen Saal begeben können, und der Konzertbetrieb wieder auf volle Touren kommt. Denn wenn der momentane Zustand zu lange anhält, mache ich mir große Sorgen um die Existenz der gesamten Musikbranche.

Weitere Infos zum Album „This is (not) Beethoven“ gibt es hier.

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