Im Jahr 1828 verfasste der Architekt und Baubeamte Heinrich Hübsch seine Schrift „In welchem Style sollen wir bauen?“ Darin stellte er den vorherrschenden Klassizismus in Frage und suchte nach einer stilistischen Erneuerung für seine Zeit. Rückblickend mag das vielleicht etwas zu grundsätzlich gedacht sein, doch ein ähnlicher Reflex lässt sich derzeit im Musiktheater beobachten – mit der Frage: Wie sollen wir Oper singen? Konzertant oder inszeniert?
Als die Staatsoper Hamburg im Februar Mozarts „Mitridate, re di Ponto“ zur Premiere brachte – ein ambitioniertes Unterfangen angesichts der Unbekanntheit des Werks –, war nicht damit zu rechnen, dass die Antwort auf diese Frage ein kompromissloses „sowohl als auch“ sein würde. Das Staatsorchester unter Ádám Fischer nahm auf der Bühne Platz, während die Sängerinnen und Sänger vor und zwischen den Musikern in einem wenig schmeichelhaften Pseudoszenario agierten. Schnell stellt sich da die These in den Raum: Lieber nicht inszenieren als falsch inszenieren.
Denn visueller Verzicht kann durchaus Gewinn bedeuten, besonders bei Opern, die aufgrund ihres Sujets konzeptionell und konventionell eng gebunden sind. Etwa eine „Madama Butterfly“, in der nur noch eine Materialschlacht – wer entwirft das exzeptionellste Bühnenbild, wer den großartigsten Bühnenzauber? – darüber hinwegblendet, ob die stereotype Asiensehnsucht und die Klischees der kulturellen Aneignung noch zeitgemäß sind oder nicht. Auch Mieczysław Weinbergs notwendigerweise eng im historischen Kontext gelesene „Passagierin“ wirft die Frage auf, ob es eine Alternative zum Lagerszenario geben darf oder – wie Tobias Kratzer in München unlängst deutlich zeigte – geben muss.
Lieber gar keine Bilder als schlechte Bilder
Der Rückzug ins Konzertante kann also bei musikalisch starken Werken durchaus funktionieren, zumal dem souveränen Zuschauer die bildliche Abstraktion eher zuzutrauen als das Zeigen schlechter Bilder zuzumuten ist. Pro-blematisch wird es erst, wenn sich das Konzertformat zur verdeckten Sparmaßnahme entwickelt. Dann beginnt die Abwärtsspirale: reduzierte Ausstattung, gesenkte Ansprüche. Am Ende steht die Frage, wofür es das Opernhaus überhaupt noch braucht.
Gleichzeitig glänzen Festivals regelmäßig mit hochkarätig besetzten konzertanten Produktionen. In Baden-Baden werden neben den traditionellen Neuinszenierungen der Osterfestspiele aufwendig besetzte Konzertfassungen gezeigt – etwa im Mai ein „Freischütz“ des RIAS Kammerchor und der Kammerakademie Potsdam mit Charles Castronovo und Golda Schultz in den Hauptrollen. Zwar bleibt fraglich, ob große Namen das Fehlen eines stimmigen Regiekonzepts ausgleichen können oder sollen. Doch das Modell funktioniert – vielerorts sind solche Reihen längst fest etabliert. Die Elbphilharmonie stellt gar die grundsätzliche Frage, ob der Konzertsaal nicht das geeignetere Haus für Oper ist – zumindest akustisch und im Idealfall auch untermauert durch aufwendige Kostüme?
Dennoch sind Opern handlungsgetrieben. Allein mit Musik lässt sich die innere Logik oft nicht vermitteln – barocke Liebeskonstellationen etwa, in denen sich personalreiche Verwechslungen ins Komische steigern, leben vom szenischen Spiel. Ob ein Stück ohne konkrete Darstellung noch verständlich ist, bleibt in vielen Fällen zu bezweifeln und gelingt vor allem dann, wenn das Publikum inhaltlich vorbereitet ist. Zwar bieten allegorische oder eigens für den Konzertrahmen geschriebene Werke oft günstigere Voraussetzungen. Doch auch hier gilt: Nur ein sinnstiftendes Werk ist ein gutes Werk – und Sinnstiftung bleibt letztlich auch eine Frage der Form.
So., 25. Mai 2025 16:00 Uhr
Konzert
Verdi: Simon Boccanegra (konzertant)
Stefan Hadžić (Simon Boccanegra), Don Lee (Jacopo Fiesco), Filippo Bettoschi (Paolo Albiani), Margrethe Fredheim (Maria Boccanegra/Amelia Grimaldi), Staatsorchester Kassel, Francesco Angelico (Leitung)
Termintipp
Fr., 06. Juni 2025 19:30 Uhr
Konzert
Verdi: Stiffelio (konzertant)
Klangvokal Dortmund
Termintipp
Sa., 07. Juni 2025 19:30 Uhr
Konzert
Händel: Poro, re dell’Indie (konzertant)
Händel-Festspiele Halle
So., 18. Mai 2025 15:00 Uhr
Musiktheater
Bellini: Beatrice di Tenda
Bogdan Baciu (Flippo Maria Visconti), Stacey Alleaume (Beatrice di Tenda), Maria Kataeva (Agnese del Maino), Konu Kim (Orombello), Henry Ross (Anichino), Duisburger Philharmoniker, Antonino Fogliani (Leitung)
So., 18. Mai 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Bernstein: Candide
David Butt Philip (Candide), Erin Morley (Cunegonde), Tichina Vaughn (Old Lady), Rosalia Cid (Paquette), Karen Kamensek (Leitung), Jan Josef Liefers (Rezitation)
Termintipp
Fr., 23. Mai 2025 20:00 Uhr
Konzert
Berg: Wozzeck (konzertant)
Internationales Musikfest Hamburg
Termintipp
Mo., 09. Juni 2025 17:00 Uhr
Konzert
Rossini: Rossini in Venedig (konzertant)
Salzburger Pfingstfestspiele
Di., 17. Juni 2025 19:00 Uhr
Konzert
Lully: Proserpine (konzertant)
Marie Lys (Proserpine & La Victoire), Oliver Gourdy (Pluton), Véronique Gens (Cérès & L’Abondance), Ambroisine Bré (Aréthuse & La Paix), Jean-Sébastien Bou (Crinise & La Discorde), Nick Pritchard (Mercure), Olivier Cesarini (Ascalaphe), David Witczack (Jupiter), Chœur de chambre de Namur, Les Talens Lyriques, Christophe Rousset (Leitung)
Termintipp
Sa., 14. Juni 2025 17:00 Uhr
Konzert
Wagner: Siegfried (konzertant)
Dresdner Musikfestspiele
Fr., 13. Juni 2025 19:30 Uhr
Premiere
Konzert
Bellini: I puritani (konzertant)
Luminita Andrei (Elvira), Titus Witt (Riccardo Forth), Feline Knabe (Henrietta Maria von Frankreich), Rungholt Ensemble Hamburg, Ettore Prandi (Leitung), Lutz Hoffmann (Moderation)