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Opern-Kritik: Madama Butterfly – Theater Lübeck

Emanzipatorische Frauenpower

(Lübeck, 28.1.2022) Ergreifend und wirkungsvoll ist die Lübecker Neuinszenierung von Puccinis „Madama Butterfly“ vor allem dank eines starken Ensembles und Orchesters, das GMD Stefan Vladar zu Bestform inspiriert. Regisseur Ezio Toffolutti meidet die Kitschgefahr der Handlung geschickt.

vonAndré Sperber,

Noch lange nach Verklingen des letzten Tons hallt das Echo ihres Gesangs im Kopfe herum: Während des gut zweieinhalbstündigen Puccini-Taumels steigert sich die voluminöse Durchschlagskraft von Sängerin María Fernanda Castillo ins Maßlose und versetzt sämtliche Trommelfelle im Saal in ekstatische Oszillation. Wohl selten ergießt sich aus der sonst so zärtlich angelegten Cho-Cho-San alias Butterfly eine derartige stimmliche Kraftdemonstration.

Selbstbestimmt und resolut

Regisseur Ezio Toffolutti, der sich als Universalkünstler auch für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnet, setzt bei der Inszenierung von Maestro Puccinis eigener Lieblingsoper „Madama Butterfly“ am Theater Lübeck vor allem auf emanzipatorische Stärke seiner Protagonistin. Butterfly, die als Ehefrau an den ausschließlich an sporadischem Vergnügen, Exotismus und Sextourismus interessierten amerikanischen Marineoffizier B.F. Pinkerton verkauft wurde, gibt sich mitnichten devot ihrem neuen Gatten gegenüber. Dem Mann, dem blind ihre Liebe zu schenken sie sich verheerender Weise entschieden hat, begegnet sie ohne jegliche Scheu und ohne bescheidene Sanftmütigkeit. Vielmehr durchzieht etwas Bestimmendes, Resolutes und in gewisser Weise auch – man bedenke, sie ist bei der Verheiratung gerade einmal 15 Jahre alt – launenhaft Pubertäres ihren Charakter.

Szenenbild aus „Madama Butterfly“
Szenenbild aus „Madama Butterfly“

Ohne viel Kitsch

Verstärkt wird dieses Bild, das sich mit dem Fortgang der Handlung weiter manifestiert, durch María Fernanda Castillos eindrucksvoll übersprudelnden Sopran, dessen Präsenz den gesamten Bühnenraum für sich beansprucht und der sich auch von den lautesten tonalen Aufgüssen des heißlaufenden Orchesters im Graben nicht verdrängen lässt. GMD Stefan Vladar lässt es ordentlich wummern und fährt mit den Instrumental- wie auch mit den Gesangsstimmen eine gerade, schnörkellose Linie ohne unnötigen Kitsch und Schmachten. Was an strotzendem Temperament obendrauf gepackt wird, fehlt hin und wieder an Subtilität in den zarteren Passagen und hält damit die Sensibilität der Emotionen mitunter auf einem etwas grobmaschigeren Level – doch das ist Meckern auf hohem Niveau; das Orchester zeigt sich in Bestform.

Szenenbild aus „Madama Butterfly“
Szenenbild aus „Madama Butterfly“

Die Brücke zwischen der westlichen und östlichen Kultur

Besonders detailverliebt ist überdies die Kostümierung. Ezio Toffolutti legt hier sehr großen Wert auf historical correctness und Authentizität. Die Handlung des Stücks belässt er entgegen vieler heutiger Inszenierungs-Moden dort, wo sie ursprünglich angelegt ist, im Japan zur Zeit der Jahrhundertwende um 1900. Vom liebreizend säuselnden Chor der Geishas über den Fürsten Yamadori (eine wirklich eindrucksvolle Erscheinung, wenngleich gesanglich leider etwas zurückhaltend gegeben von Owen Metsileng), bis hin zum unheilvoll prophetischen Hochzeits-Partycrasher Onkel Bonze (Rúni Brattaberg) – sie alle tragen die ansehnliche traditionelle japanische Kleidung ihrer Stände. Butterfly, die Teile ihrer Tracht ablegt, sich legerer frisiert und später den blauen Marinemantel ihres Mannes, auf den sie so sehnsüchtig wartet, über ihrem Kimono trägt, bildet die Brücke zwischen der westlichen und östlichen Kultur.

Szenenbild aus „Madama Butterfly“
Szenenbild aus „Madama Butterfly“

Zu den aufwändigen Kostümen steht die Schlichtheit des Bühnenbilds in hartem Kontrast. Von weißen Wänden und meist grellem Licht umrahmt, bildet die einzige Kulisse ein nach Origami-Art zum Hausumriss gefaltetes Papier in Sandfarben. Als es sich zum Schluss aufklappt, zeigt es das schemenhafte Gemälde einer Frau (Butterfly) – ein Bild, das der ausgebildete Maler Ezio Toffolutti in jungen Jahren selbst angefertigt hat und das ihn zu seiner hiesigen Inszenierung inspirierte.

Entschärfung des finalen Schockmoments

Sehr viel dramatische Lebendigkeit erhält der Abend nicht nur von der allgegenwärtig brillierenden Butterfly, sondern auch durch eine durchweg vereinnahmende gesangliche wie auch schauspielerische Leistung des gesamten Ensembles. Der despektierliche Unsympath Pinkerton gelingt Yoonki Baek mit seinem ungekünstelten Tenor genauso gut wie der reumütige Feigling Pinkerton. In den hochschaukelnden Duetten mit María Fernanda Castillo ist er der Sopranistin allerdings deutlich unterlegen – was jedoch wiederum gut mit der Charakterisierung der beiden Figuren einhergeht. Baritongutmütig kann sich Gerard Quinn als wohlwollender, doch stets zwischen den Stühlen stehender Konsul Sharpless beweisen. Wioletta Hebrowska verkörpert als Butterflys Dienerin Suzuki mit warm-fürsorglichem Mezzo die gute Seele der Oper. Gegensätzlich dazu strahlt Pinkertons amerikanische, „richtige“ Ehefrau Kate (Mezzosopranistin Iris Meyer) die angemessene Kälte aus, als sie Butterflys Kind – verkörpert durch eine goldlockige Puppe – bei Suzuki einfordert. Herrlich schmierig gibt sich auch Tenor Noah Schaul als voyeuristisch veranlagter Heiratsvermittler Goro.

Szenenbild aus „Madama Butterfly“
Szenenbild aus „Madama Butterfly“

Da Regisseur Ezio Toffolutti den düsteren Höhepunkt des Dramas, den tragischen Selbstmord Butterflys, nicht vor den Augen der Zuschauer geschehen lässt, bleibt deren Schicksal offen; der finale Schockmoment und die Schwere von Puccinis musikalischem Mahlwerk finden durch diesen Clou eine gewisse Entschärfung. Ergreifend und wirkungsvoll ist die Lübecker Inszenierung von „Madama Butterfly“ vor allem dank eines starken Ensembles und Orchesters jedoch allemal.

Theater Lübeck
Puccini: Madama Butterfly

Stefan Vladar (Leitung), Ezio Toffolutti (Regie & Ausstattung), Licht Falk (Hampel), Jan-Michael Krüger (Chor), Judith Lebiez (Dramaturgie) María Fernanda Castillo, Wioletta Hebrowska, Yoonki Baek, Iris Meyer, Gerard Quinn/Johan Hyunbong Choi, Noah Schaul, Owen Metsileng, Rúni Brattaberg/Youngkug Jin, Youngkug Jin/Mark McConnell, Beomseok Choi, Tomasz Myśliwiec, Birgit Macziey, Simone Tschöke, Seung-Yeon Stella Ryu, Statisterie des Theater Lübeck, Chor des Theater Lübeck, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

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