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OPERN-KRITIK: STAATSTHEATER MEININGEN – DON GIOVANNI

Das Buch mit den vielen Namen

(Meiningen, 30.5.2025) Killian Farrell und Hinrich Horstkotte landen in Meiningen mit Mozarts „Don Giovanni“ einen musikalischen und szenischen Volltreffer.

vonRoberto Becker,

Wo der aufmüpfig schlaue Figaro heiratet, da ist auch der Wüstling vom Dienst Don Giovanni nicht weit. Die Mozart-Opern, zu denen Lorenzo Da Ponte die Libretti verfasst hat, kommen selten allein auf eine Bühne von Häusern, die ihre Geschmeidigkeit in Sachen Mozart wachhalten und den Bedarf ihres Publikums bedienen wollen. Vor über zwanzig Jahren glänzte Roland Schwab in Meiningen mit einer „Cosí fan tutte“ und mit einem „Figaro“, sozusagen aus einer Hand. „Don Giovanni“ gab es hier das letzte Mal vor 19 Jahren. Es wurde also Zeit. Einen aktuellen „Figaro“ hatte Philipp M. Krenn vor zwei Jahren als Blick in einen Firmenalltag von heute geliefert. Der charismatische Meininger GMD Killian Farrell, seine Hofkapelle und das fabelhafte hauseigene Ensemble sind diesmal das Mozart-Kontinuum.

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„Don Giovanni“ bringt mit Hinrich Horstkotte ein Regisseur auf die Bühne, der auch die Ausstattung seiner Inszenierung gleich mitliefert. Er hatte in Meiningen schon mit Händels „Amadigi di Gaula“ und mit Bizets „Ivan IV“, also zwei selten zu sehnenden Opern überzeugt. Jetzt hat er sich das Werk vorgenommen, dem E.T.A. Hoffmann nicht umsonst das nachhaltige Label „Oper der Opern“ verpasst hat.

Szenenbild aus „Don Giovanni“ am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Don Giovanni“ am Staatstheater Meiningen

Giovanni als Gravitationszentrum des Personen-Universums um ihn herum

„Don Giovanni“ ist ein Exempel dafür, wie Moral am Beispiel eines Egomanen verhandelt wird, der nur sich selbst und seine Bedürfnisse im Blick hat. Abgesehen davon, dass Antihelden dieses Zuschnitts allemal die ergiebigeren Bühnenfiguren sind, ist er das Gravitationszentrum des Personen-Universums um ihn herum. Hat er doch auf alle Frauen (und auch Männer), mit denen er in Berührung kommt, eine Wirkung zwischen unerklärlicher Anziehungskraft, empörter Zurückweisung und Mordlustgefühlen. Wenn Masetto und seine Truppe ihn in der Verkleidung seines Dieners tatsächlich finden, dann meinen sie ihre Absicht, Don Giovanni nicht nur die Knochen zu brechen, sondern ihn umzubringen, durchaus ernst. Andererseits bringt der mit seinem „Viva la libertà!“ sein ambivalentes Charisma selbst auf den Punkt. Ein Libertin, der es sich leisten kann, gegen alle geltenden Regeln zu verstoßen und zu machen, was er will. Exponent der Feudalgesellschaft und zugleich Revoluzzer gegen deren Moral-Regelwerk. Und es bleibt immer spannend, der atemlosen (und aus seiner Sicht erfolglosen) Jagd an seinem letzten Abend auf Erden zu folgen. Wenn er Leporello von der Begegnung mit einer von dessen „Bräuten“ berichtet, dann dürfte das kaum der 1004. Eintrag in das Kapitel mit seinen spanischen Eroberungen sein.

Szenenbild aus „Don Giovanni“ am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Don Giovanni“ am Staatstheater Meiningen

Vertuschung einer Straftat als Mordmotiv

Die Geschichte beginnt ja nicht nur mit einem Mord, sondern auch zu einem Zeitpunkt, wo Don Giovanni sein „Erfolg“ verlassen hat. Zum Mord an Donna Annas Vater kommt es hier, nachdem der Komtur Don Giovanni die Maske vom Gesicht gerissen und somit den Eindringling ins Schlafzimmer seiner Tochter erkannt hat. Vertuschung einer Straftat als Mordmotiv. Am Ende erscheint der Komtur mit wallender Perücke als rächender Richter im Kreise vieler Kollegen.

Ein riesiges aufgeschlagenes Buch als starke Einheitsmetapher

Als große Einheitsmetapher beherrscht ein riesiges aufgeschlagenes Buch die Drehbühne. Das berühmte Register ist hier mal kein elektronisches Handgerät für eine digital geführte Liste oder eine Videoshow mit den Verflossenen, sondern ein entstehungszeitgemäßes Buch. Zwischen dessen Seiten man verschwinden und wieder auftauchen kann. Eins, das im zweiten Teil aufgeschlagen auf der Seite liegt und für wunderbare atmosphärische Nachtbilder unter der leuchtenden Mondscheibe sorgt. Don Giovannis Tun ist so in gebundener Form allgegenwärtig. Das lässt der perfekten Personenführung genau den Raum, in dem der Regisseur die historisch kostümierten Protagonisten zu Hochform auflaufen lässt. Selten amüsiert man sich so gut wie hier. Horstkotte stülpt aber niemandem überdrehten Aktionismus über, sondern er entwickelt alles aus der Musik und der szenischen Situation. Und doch schwebt das Menetekel des Untergangs über Allem.

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Ein famoses Ensemble und das reine Mozart-Vergnügen

Shin Tanaguchiist ein fabelhafter Titelheld – auch im schnellsten Parlando eloquent, immer auf darstellerische und vokale Eleganz bedacht, selbst wenn er sich von Leporello ein neues Tattoo stechen lässt oder den Komtur im Look einer stilisierten Krinoline empfängt. Als biedermeierlicher Leporello spielt sich Tomasz Wija nicht in den Vordergrund, sondernassistiert geschmeidig seinem Herrn, ohne echt zu revoltieren. Die junge Lubov Karetnikova ist bereits am Beginn ihrer Karriere eine fulminante Donna Anna, die zu den schönsten Hoffnungen berechtigt. Selcuk Hakan Tiraşoğlu ist per se ein machtvoll würdig auftrumpfender Komtur. Wirklich überraschend sind die beiden anderen jungen Männer.

Dem jungen russischen Tenor Aleksey Kursanov gelingt es nicht nur, den oft nur als Weichei denunzierten Don Ottavio zu einem ernsthaften Mann mit Perspektive zu machen, sondern mit seinen beiden großen Arien ohne Kitschverdacht wirklich zu berühren. Auch um Mark Hightowers Masetto muss man sich keine Sorgen machen – weder um die Figur, noch um ihren Interpreten. Was er hier zusammen mit seiner zierlich selbstbewussten Zerlina Monika Reinhard für eine wohldosierte Show abzieht, ist ein Kabinettstück! Auch der von Roman David Rothenaicher einstudierte Chor ist vokal und darstellerisch auf der Höhe. Im Graben inspiriert Killian Farrell zu einem Mozartklang aus einem Guss, packend mit allem düsteren Dräuen, leichtfüßig flotten Parlandi und Arienemotion, die berührt. Samt augenzwinkernder Einsprengsel, wo es hinpasst. Die Hofkapelle ist eine sichere Bank für das reine Mozart-Vergnügen. Am Ende wird ein „Don Giovanni“ der Extraklasse einhellig bejubelt!

Staatstheater Meiningen
Mozart: Don Giovanni

GMD Killian Farrell (Leitung),: Hinrich Horstkotte (Regie, Bühne, Kostüme), Matthias Heilmann (Dramaturgie), Roman David Rothenaicher (Chor), Shin Taniguchi (Don Giovanni), Lubov Karetnikova (Donna Anna), Aleksey Kursanov (Don Ottavio), Emma McNairy (Donna Elvira), Selcuk Hakan Tiraşoğlu (Der Komtur), Tomasz Wija (Leporello), Mark Hightower, (Masetto), Monika Reinhard (Zerlina), Statisterie des Staatstheaters Meiningen, Chor des Staatstheaters Meiningen, Meininger Hofkapelle



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