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Opern-Kritik: Anhaltisches Theater Dessau – Così fan tutte

Im Schatten des Vulkans

(Dessau, 10.10.2025) Am Anhaltischen Theater Dessau inszeniert Hausherr Johannes Weigand Mozarts „Così fan tutte“ mit großer handwerklicher Sorgfalt und Feinsinn für die Botschaften der Musik.

vonJoachim Lange,

Am Ende bricht der Vulkan aus und das Licht auf der Bühne flackert. Es ist das Finale von Mozarts und Da Pontes „Così fan tutte“. Die beiden jungen Paare, Fiordiligi und Guglielmo sowie Dorabella und Ferrando, haben nach einer makabren Maskerade gerade wieder versöhnt zueinander gefunden. Da kommt in der Dessauer Inszenierung von Hausherr Johannes Weigand doch noch eine Irritation in das große Schwamm-drüber des im Titel behaupteten „So-machen-es-alle-(Frauen)“ auf die Bühne. Zumindest könnte man das als ein kleines PS mit nach Hause nehmen und dem Erstaunen über dieses szenische Happy End beifügen. Beim Publikum hat es diese Oper offensichtlich auch am Anhaltischen Theater Dessau schwerer als die anderen beiden Da-Ponte-Opern, „Don Giovanni“ oder „Figaro“. Was schon eine seltsame Pointe der Rezeptionsgeschichte ist, weil doch gerade das Beziehungsexperiment, das hier verhandelt wird, uns viel direkter etwas angeht als der notorische Wüstling oder der clevere Frisör.

Szenenbild aus „Così fan tutte“ am Anhaltischen Theater Dessau
Szenenbild aus „Così fan tutte“ am Anhaltischen Theater Dessau

Überblick im Beziehungswirrwarr statt Überaktionismus

Es geht nur auf den ersten Blick um einen ziemlich fiesen Treuetest ihrer Bräute, zu dem sich die Männer im Stück anstiften lassen. Eine Wette mit Spielmacher Don Alfonso lässt die Männer zum Schein in den Krieg ziehen. Sie tauchen dann aber als exotische Verführer verkleidet wieder auf. Es ist ein Vorzug dieser Inszenierung, dass man hier nie den Überblick verliert, wer gerade in welcher Maskierung wen zu verführen versucht. Weigand verkompliziert nichts durch Überaktionismus, sondern sorgt dafür, dass man stets bei der Sache bleiben kann.

Szenenbild aus „Così fan tutte“ am Anhaltischen Theater Dessau
Szenenbild aus „Così fan tutte“ am Anhaltischen Theater Dessau

Mozarts Botschaft für die ferne Nachwelt

Mit diesem Beziehungsexperiment außerhalb der allgemein gültigen Regeln für das Verhältnis der Geschlechter hatten die Zeitgenossen und das prüde 19. Jahrhundert ein Problem. Selbst Goethe ging’s mit seiner „Stella“ nicht viel anders. „Così fan tutte“ ist eine Botschaft für die ferne Nachwelt, eine Oper für Verhältnisse, in denen Frauen und Männer frei entscheiden können, ob aus erotischer Anziehungskraft und Liebe eine von wem auch immer abgesegnete Verbindung wird. Und in denen sie auch frei darin sind, das zu ändern, wenn die Kompassnadel der erotischen Anziehung ihre Richtung ändert. Selbst wenn man nicht gleich so weit geht, bleibt doch das Bewusstsein einer stets möglichen Verwirrung der Gefühle ein Fazit des Ganzen.

Szenenbild aus „Così fan tutte“ am Anhaltischen Theater Dessau
Szenenbild aus „Così fan tutte“ am Anhaltischen Theater Dessau

Verständnisvorteile

So hat es sich quasi eingebürgert, bei „Così“-Inszenierungen die Einseitigkeit der Wette, die auf die vermeintlich notorische Verführbarkeit der Frauen zielt, szenisch auf die Männer auszuweiten. Die Frage, ob nicht auch die Inhaber der Sopran- und Tenor- oder der Mezzo- und Baritonstimme genauso zueinander passen könnten wie in der Ausgangskombination komplementär die hohen mit den jeweils tieferen Stimmlagen, ist genauso legitim wie die Frage, ob die Männer ihre jeweilige Zuneigung zur Braut des anderen nur heucheln oder ob sie beim maskierten Spiel ihrerseits nicht auch Feuer gefangen haben. Mit einem Wort: In der Regel wird heutzutage nicht „Così fan tutte“ (mit weiblicher Endung bei „tutte“), sondern „Così fan tutti“ (also mit der Endung, die auch die Männer meint) inszeniert. In Dessau bleibt es im Wesentlichen bei der ersten Variante. Wer auch diese geniale Mozart-Oper auf seine persönliche Agenda setzen will, hat zumindest einen Verständnisvorteil, wenn er in Dessau damit beginnt.

Szenenbild aus „Così fan tutte“ am Anhaltischen Theater Dessau
Szenenbild aus „Così fan tutte“ am Anhaltischen Theater Dessau

Imaginäres Opern-Neapel

Dort ist der finale Vulkanausbruch natürlich ein augenzwinkernder Verweis auf den fürstlich anhaltischen Vesuv-Nachbau im Wörlitzer Park. Überhaupt lebt das imaginäre Opern-Neapel, das Nancy Ungurean (Bühne) und Jessica Rohm (Kostüme) auf die Drehbühne gesetzt haben, optisch vom Charisma der nachempfundenen Italiensehnsucht des 18. Jahrhunderts. Wer die Nase voll hat von analytischer Abstraktion leerer Einheitsbühnen, Secondhandmode für Chor und Protagonisten und deren Ausrüstung mit Versatzstücken der Moderne, der wird seine wahre Freude an dieser Ausstattung haben. Keine Bierbüchse, kein Müll, keine MPi. Nirgends.

Szenenbild aus „Così fan tutte“ am Anhaltischen Theater Dessau
Szenenbild aus „Così fan tutte“ am Anhaltischen Theater Dessau

Musikalische Sternstunden

Freude an der Musik und ihren Interpreten gibt es in Dessau auch diesmal frei Haus. Zuerst wegen Mozart und weil die Anhaltische Philharmonie eben nicht nur ein Spitzen-Wagner-Orchester ist. Der neue erste Kapellmeister Svetoslav Borisov liefert einen flott mitreißenden, schon für sich genommen charismatischen Sound; er hält auch stets die Balance zu seinen durchweg fabelhaften Protagonisten auf der Bühne, die für diese jüngste musikalische Sternstunde sorgen.

Szenenbild aus „Così fan tutte“ am Anhaltischen Theater Dessau
Szenenbild aus „Così fan tutte“ am Anhaltischen Theater Dessau

Famoses Ensemble

Das fängt an bei Michael Tews als mit souveräner, listiger Würde agierendem Don Alfonso und mit Bogna Bernagiewicz als einer lebensklug jugendlichen Despina, die auch den Medikus und Notar glänzend parodiert. Bariton Barış Yavuz ist ein geschmeidiger Guglielmo, Enrico Iviglia ein Ferrando mit außergewöhnlich metallisch strahlendem Tenor, der freilich auch die leisen Töne draufhat. Marta Pluda geht als attraktive Dorabella mit warmem Mezzo beim Spaziergang mit Guglielmo schon mal beherzt voran in die Sauna (so modern ist es dann doch). Ania Vegry schließlich krönt dieses Ensemble mit einer Fiordiligi der Extraklasse. Mit dieser Klarheit, Leuchtkraft und emotionalen Wärme kriegt man das live kaum besser zu hören. Auch der von Sebastian Kennerknecht einstudierte Chor hat seine dezent parodierenden sichtbaren Auftritte. Zum Glück war immer Raum für Szenenapplaus an Ort und Stelle. Da Weigand mit großer handwerklicher Sorgfalt, von der Musik und der Folge der musikalischen Nummern aus inszeniert hat, bekamen alle ihren großen Auftritt. Schon vor dem einmütigen Schlussapplaus.

Anhaltisches Theater Dessau
Mozart: Così fan tutte

Svetoslav Borisov (Leitung), Johannes Weigand (Regie), Nancy Ungurean (Bühne), Jessica Rohm (Kostüme), Sebastian Kennerknecht (Chor), Yuri Colossale & Eliora Schramm (Dramaturgie), Ania Vegry (Fiordiligi), Marta Pluda (Dorabella), Barış Yavuz (Guglielmo), Enrico Iviglia (Ferrando), Bogna Bernagiewicz (Despina), Michael Tews (Don Alfonso), Alexander Argirov (Gennaro), Opernchor des Anhaltischen Theaters Dessau, Anhaltische Philharmonie Dessau



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