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Opern-Kritik: Bayerische Staatsoper München – Pénélope

Warten oder die Geriatrie des Geistes und des Theaters

(München, 21.7.2025*) Gabriel Faurés selten gespielte Oper „Pénélope“ feierte bei den Münchner Opernfestspielen im Prinzregententheater eine melancholisch entschleunigte Wiederentdeckung – inszeniert von Andrea Breth, dirigiert von Susanna Mälkki.

vonPatrick Erb,

Wenn Penelope, die Gattin des vielreisenden Odysseus, zwanzig Jahre auf dessen Heimkehr wartet – zehn davon verbringt dieser im Krieg, zehn auf Irrfahrt –, dann vergeht die Zeit nicht einfach so. Sie vergeht sehr langsam, sie vergeht sehnsuchtsvoll. Es ist ein Warten, das zur Existenz wird. Es ist schlicht zum Ergrauen. Ein seelischer Zustand, aus dem Gabriel Fauré offenbar dramatisches Kapital zu schlagen hoffte. In seiner einzigen Oper, „Pénélope“, 1913 uraufgeführt, erhebt der Meister des harmonisch feingeistigen Affekts das Warten selbst zur Handlung, weniger etwa die Heimkehr des Helden selbst.

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Andrea Breth hat dieses selten gespielte Werk nun im Rahmen der Münchner Opernfestspiele auf die Bühne des Prinzregententheaters gebracht. Und wie Fauré, so scheint auch sie dem Philosophen Henri Bergson zu folgen: Musik und Regie kreisen um dessen Begriff der „durée“, jener innerlich gefühlten, subjektiv gedehnten Zeit. Und das Publikum bekommt diese Zeit zu spüren. In voller Länge.

Szenenbild aus „Pénélope
Szenenbild aus „Pénélope

Harmonisch dicke Luft

Faurés Musik wirkt wie stickige Luft vor einem Sommergewitter: schwül, parfümiert, träge. Die anfängliche Nervosität der Ouvertüre, mit Harmonien, die sich fast tristanesk entgleisen, verspricht mehr, als der restliche Abend hält. Zu morbide ist die Tonsprache, zu präsent eine gewisse Motiv-Müdigkeit. Alles wirkt wie ein harmonisches Altersheim – grau, matt, erschöpft, von gelegentlichen Regungen belebt, aber ohne echten Lebenswillen. Was fehlt, ist das, was Bergson als „élan vital“ beschrieb: jener zündende Funke innerer Bewegung. Was soll man auch erwarten von einem Komponisten, der Brahms schrieb, Debussy dachte und Wagner fühlte?

Im zweiten und dritten Akt blitzt dennoch eine Entwicklung auf. Die Rückkehr des Ulysse bringt eine wohltuende Aufhellung. Seine nächtliche Palasterstürmung kündigt sich atmosphärisch an. Auch das etwas banal daherkommende Götterlob in der Schlussapotheose erstrahlt wohltuend dank leuchtendem C-Dur.

Szenenbild aus „Pénélope
Szenenbild aus „Pénélope

Film ab?

Andrea Breths Inszenierung denkt in Bildern: stark verlangsamt, wie ein melancholischer Film des Lebens. Abgetrennte Kammern (Bühne: Raimund Orfeo Voigt) dienen dabei als lebendige Tableaus. Licht und Kostüm sind sinnvoll gewählt und spiegeln das Ergrauen durch Warten und Dauer in Variationen von Trübem Lichteinfall und grau-beigen Pastelltönen wider.

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Einige Szenen überzeugen hierbei sehr: das endlose Drehen des Spinnrads als Symbol des Zeitvergehens und der Monotonie weiblichen Alltags, der übereinander gestapelte, kraftlose Chor der Dienerinnen, der metaphorische Bogenschuss des Ulysse – hier als akrobatisches Manöver im Handstand dargestellt. Doch je länger die Inszenierung dauert, desto stärker wirkt ihre szenische Lethargie. Die Figuren verwischen, die Identitäten verschwimmen. Wer da gerade im Rollstuhl sitzt oder als gealtertes Double umhergeschoben wird, bleibt zu oft unklar.

Szenenbild aus „Pénélope
Szenenbild aus „Pénélope

Überzeugende Besetzung

Brandon Jovanovich, stimmlich ein facettenreicher klangstarker Ulysse, leidet unter dieser szenischen Trägheit und verliert etwas an Momentum. Musikalisch gelingt hier dennoch eine überzeugende Darbietung. Victoria Karkacheva ist als Pénélope eine erfrischend wohltemperierte Mischung aus luzider Brillanz, unprätentiöser innerer Stärke und kalten Zweifeln. Thomas Mole empfiehlt sich in der Nebenrolle des Ulysse-Mitstreiters und Hirtenjungen Eumée mit philosophierender Musikalität und Bühneninstinkt für Größeres. Auch die vielen differenzierten Rollen bieten wenig Angriffsfläche zur Kritik. 

Susanna Mälkki verleiht am Pult Faurés Partitur Transparenz. Sie fächert den dichten Streicherklang luftig auf, bringt Bewegung in die Statik und findet in den seltenen starkbesetzten Höhepunkten gute Wege zur gestalterischen exzessiven Vielfalt. Faurés „Pénélope“ wird schlussendlich nie ein Stück für das große Opernpublikum sein. Zu sperrig, zu verkopft, zu sehr nach innen gerichtet. Es ist kein Musiktheater des Handelns – sondern des Gedankens. Fraglich, ob eine ebenso stillstehende, zähe Inszenierung das Mittel der Wahl ist. Aber einen interessanten Blick auf ein Musiktheater des Geistes und nicht des Handelns bietet München hier dennoch.

Bayerische Staatsoper München im Prinzregententheater
Fauré: Pénélope

Susanna Mälkki (Leitung), Andrea Breth (Regie), Raimund Orfeo Voigt (Bühne), Ursula Renzenbrink (Kostüme), Alexander Koppelmann (Licht), Sonja Lachenmayr (Chor), Victoria Karkacheva, Brandon Jovanovich, Rinat Shaham, Thomas Mole, Valerie Eickhoff, Seonwoo Lee, Martina Myskohild, Ena Pongrac, Vokalensemble „LauschWerk“, Bayerisches Staatsorchester

*unser Autor berichtete von der zweiten Vorstellung. Die Premiere fand am 18.7.2025 an gleicher Stelle statt.




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