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Opern-Kritik: Oper Wuppertal – Tristan und Isolde

Stehoper als Psychodrama

(Wuppertal, 22.10.2023) Die größten Helden des Abends sind das Sinfonieorchester Wuppertal und dessen Chef Patrick Hahn. Der Mehrwert von Martin Anderssons wogenden Videowelten in „Tristan und Isolde“ bleibt hingegen begrenzt.

vonMichael Kaminski,

Das Liebeslager ist hart: eine nahezu in die Waagerechte gekippte Metalltür, deren Ornamente an den wikingischen Tierstil des Mittelalters erinnern. Im Hintergrund aber heißt Bühnenbildner Lukas Noll ins Riesenhafte vergrößerte Flora wuchern, einen Dschungel samt fleischfressender Pflanze. Liebe ist eine gefährliche Angelegenheit. Doch müssen Tristan und Isolde sich nicht in den Wildwuchs begeben, um diese Erfahrung zu machen. Mag sein, sie befinden sich längst darin und ihnen blüht auf Weisung von Regisseur Edison Vigil nichts, was nicht seit Verkostung des Liebestranks in ihrem Inneren brodelte. So jedenfalls ließe sich des Paares völlige Blindheit für das Dickicht halbwegs plausibel erklären. Es scheint zu allem Überfluss Klingsors Zaubergarten benachbart. Dies desto eher, als die florale Pracht beim Auftauchen Markes und Melots ins Nichts schwindet, um einen öden Küstenstrich freizugeben. Bonjour tristesse. Die im Liebestod hinter sich zu lassen, nicht die schlechteste Wahl ist. Zumal die Heftigkeit der Empfindung sich offenbar mit Bann und Erstarrung verbindet, worin das Paar sich nurmehr bei den Händen zu halten und frontal in Richtung Auditorium zu singen vermag, in Wahrheit aber in einen imaginären Raum.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ an der Oper Wuppertal
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ an der Oper Wuppertal

Fesselnde Ambivalenzen

Was in den Seelen Tristans und Isoldes vorgeht, bleibt zunächst nicht allein König Marke ein Rätsel. Selbst Kurwenal begreift solche Regungen allenfalls ahnungsweise. Loyalität muss Tristans treuem Gefolgsmann ersetzen, wozu Intellekt und eigene Erfahrung in Gefühlsdingen unvermögend sind. Doch scheint das unfrohe Kareol der rechte Ort für todwunde Gemütslagen. In Wuppertal irisiert der Platz für Tristans Krankenbett und Sterbelager zwischen schwarzem Felsüberhang, Riesenhöhle und Gewölbesaal. Durch eine Öffnung im Hintergrund dringt das zaubrisch grünblaue Meer. Ob Tristan sich in solcher Umgebung wirklich in Liebe verzehrt oder lediglich einer unbestimmten Sehnsucht nach dem Tod hingibt, für den er sich prädestiniert glaubt, bleibt in der Schwebe. Der verblichen Daliegende bietet Isolde mindestens Anlass, nun ihrerseits in Konzerthausattitüde und nach Verstummen des Gesangs meerwärts gewandt das Erdendasein hinter sich zu verlassen. Nur Altkluge geben vor zu wissen, was Liebe ist. Auf der Wuppertaler Bühne verharrt die Personnage daher im Vagen. Die dortige Herumsteherei offenbart in solchem Fall erheblichen Mehrwert. Von Martin Anderssons in Schwarzweiß-Meeresbrandung, Gischt und Strand in klug gewählten Stereotypen cinematographisch schildernden Videos lässt sich das bedingt sagen.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ an der Oper Wuppertal
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ an der Oper Wuppertal

Superbes Orchester und gediegene Solisten

Helden des „Tristan“ im Bergischen Land sind das Sinfonieorchester Wuppertal und dessen Chef Patrick Hahn. Klangkörper und Kapellmeister treiben unablässig das Drama voran. Noch mit der erfülltesten Liebesnacht verrinnt die ungnädige Zeit. Ihr abzugewinnen ist freilich, sie trotz allem Drängen kammermusikalisch zu durchhören. So in Wuppertal. Tief berührend die überaus zarten Streicherklänge. Freilich macht auch das Blech auf unaufdringliche Weise seine Sache ausgezeichnet. Samuel Sakker ist ein Tristan mit bildschönem emphatischem Material. Die Zeit wird erweisen, ob er damit klug hauszuhalten wissen wird. Noch gestaltet er seine Partie zuweilen unerwogen. Heißt: Sakker spart am falschen Ort. Stéphanie Müther eignet sich die Isolde fortwährend an. Bis zu schlussendlich einnehmender Leuchtkraft. Jennifer Feinstein bietet für Brangäne ihren einnehmenden Mezzo auf. Gewiss wird Feinstein an den Registerwechseln noch feilen. Martijn Sanders singt den Kurwenal schlank und geradeaus. Jason Lee verkörpert einen durchschlagskräftigen Melot.

Oper Wuppertal
Wagner: Tristan und Isolde

Patrick Hahn (Leitung), Martin Andersson (Konzept und Regie Video), Edison Vigil (Regie Bühne), Lukas Noll (Bühne), Dorothee Joisten (Kostüme), Aaron Kitzig (Video), Ulrich Zippelius (Chor), Samuel Sakker, Stéphanie Müther, Martijn Sanders, Jason Lee, Sangmin Jeon, Andreas Heichlinger, Ki Hoon Yoo, Edison Vigil, Herren des Opernchores und des Extrachores der Wuppertaler Bühnen, Sinfonieorchester Wuppertal

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