Krieg, Krankheit, Klima. Wer wollte sich heute ernsthaft noch in der Oper mit einem dieser Themen konfrontieren lassen, wo sich doch Tagesschau und Nachrichtenportale der Weltlage täglich nach Kassenlage widmen? Und doch: in Robert Schumanns „Das Paradies und die Peri“ schwingen sie alle mit. Zumindest in der Lesart von Tobias Kratzer, frisch gekürter „Regisseur des Jahres“ und nunmehr neuer Intendant der Staatsoper Hamburg. Für seinen Einstand wählte er keinen altehrwürdigen Repertoireklassiker, sondern dieses heute kaum gespielte weltliche, dabei dennoch altehrwürdige Oratorium – und verzichtete dabei auf keinerlei selbstironische Brechung.
Schumann war gewiss kein Prophet der Gegenwartskrisen, wohl aber ein kluger Arrangeur zeitloser Menschheitsleiden. Die Handlung lässt sich problemlos auf einer Haftnotiz skizzieren: Die Peri, ein gefallener orientalischer Engel ersehnt die Rückkehr ins Paradies. Der Wächterengel erbittet als Eintrittskarte eine hehre heilige Gabe, worauf sich die Peri auf die Suche begibt. Dreimal zieht sie aus, dreimal bringt sie Kostbares, doch weder das Blut des Tyrannenwiderstehers, noch der letzte Seufzer der Frau, die ihren Geliebten an die Pest verliert, gewähren Einlass. Erst die Träne des Alten, der im Mitleid mit der jungen Generation empathisch erweicht wird – Kratzer lässt die Kinderstatisterie dafür unter einer Smogkuppel jämmerlich ersticken – verschafft den Zugang.

Ein musikalischer Einheitsbrei, mit Regiepfiff gewürzt
Besonders schmeichelhaft klingt das protestantische grundierte Gesinnungsstück nicht, das von seiner Protagonistin die elaborierteste Form pietistischer Schuld reumütig einfordert. Die Regie gesteht ihm dafür als Bühnenhintergrund eine schlichte graue Wand zu – mehr Depression als Erbauung. Auch die dahinplätschernde Musik – ein fader einheitlicher Oratoriumsbrei aus Ariosi, Rezitativen und Chorstücken – will so recht nicht gefallen. Revolutionär in der Anlage, braucht es Eingewöhnungszeit.
Umso köstlicher gerät Kratzers Schlag mit dem Theaterhammer. Der viel beschworenen vierten Wand versetzt er einen kräftigen Riss, garniert mit spöttischer Videotechnik. Während das Pathos musikalisch im Chorfugato kulminiert, nimmt Vera-Lotte Boecker als leidgeprüfte Peri nicht nur das Blut des Jünglings ab, sondern badet gleich darin, während Tenor Kai Kluge – Erzähler und Journalist in Personalunion – mit der Livekamera ins Publikum schwenkt und dessen Reaktionen einspielt. Als eine Zuschauerin schließlich „authentisch“ empört den Saal mit Buhschreien verlässt, glaubt man kurz an den Eklat – bis die Farce als Regietrick entlarvt wird. Engelskitsch auf Schultheaterniveau, schläfrige Besucher und feuchte Augen beim Anblick der leidenden Kinder: Kratzer nimmt sämtliche Klischees seiner Branche mit unübersehbarer Lust aufs Korn.

Ironische Brechung mit einem Bekenntnis für Hamburg
Am Ende bleibt nur die Flucht nach vorn: die Dekonstruktion. Sängeremporen werden hereingeschoben, Ensemble und Solisten kehren im gewohnt sachlich-schwarzer Choristenkleidung zurück auf die Bühne und verkünden die zentrale Botschaft von Oratorium und Produktion: „Sei uns willkommen, sei uns gegrüßt.“
Freilich geht es in dieser selbstironischen Antrittsproduktion von „Das Paradies und die Peri“ nicht um ein artifizielles Darbieten höchster Kunst an sich. Omer Meir Wellber am Pult, unlängst noch mit Beethoven beim seinem Antrittskonzert mit den Philharmonischen Staatsorchester in der Elbphilharmonie von überschäumender Impulsivität, blieb diesmal zurückhaltender. Vieles klang ähnlich, wenig pointiert. Auch der Chor – tragende Säule des Werkes – agierte solide, aber ohne besonderen Glanz: mehr Farbigkeit, mehr Biss wären da möglich gewesen.
Schlussendlich geht es um ein Aufbruchszeichen für die Staatsoper Hamburg und die von Kratzer vorangestellte große Frage seiner Intendanz, was Oper alles kann. Hier gelingt dem gebürtigen Landshuter eine überzeugende Arbeit. Das Feuer ist entzündet, das Publikum hellauf begeistert und wir alle gespannt auf mehr.
Staatsoper Hamburg
Schumann: Das Paradies und die Peri
Omer Meir Wellber (Leitung), Tobias Kratzer (Regie), Rainer Sellmaier (Bühne & Kostüme), Manuel Braun (Video), Michael Bauer (Licht), Alice Meregaglia (Chor), Vera-Lotte Boecker, Eliza Boom, Kady Evanyshyn, Annika Schlicht, Kai Kluge, Christoph Pohl, Ivan Borodulin, Lunga Eric Hallam, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Termintipp
Di., 30. September 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Schumann: Das Paradies und die Peri (szenisch)
Vera-Lotte Boecker (Peri), Eliza Boom (Sopran & Jungfrau), Eric Lunga Hallam (Jüngling), Christoph Pohl (Bariton & Gazna), Ivan Borodulin (Engel), Kady Evanyshyn (Mezzosopran), Annika Schlicht (Alt), Kai Kluge (Tenor), Omer Meir Wellber (Leitung), Tobias Kratzer (Regie)
Termintipp
Fr., 03. Oktober 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Schumann: Das Paradies und die Peri (szenisch)
Vera-Lotte Boecker (Peri), Eliza Boom (Sopran & Jungfrau), Eric Lunga Hallam (Jüngling), Christoph Pohl (Bariton & Gazna), Ivan Borodulin (Engel), Kady Evanyshyn (Mezzosopran), Annika Schlicht (Alt), Kai Kluge (Tenor), Omer Meir Wellber (Leitung), Tobias Kratzer (Regie)
Termintipp
Sa., 11. Oktober 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Schumann: Das Paradies und die Peri (szenisch)
Vera-Lotte Boecker (Peri), Eliza Boom (Sopran & Jungfrau), Eric Lunga Hallam (Jüngling), Christoph Pohl (Bariton & Gazna), Ivan Borodulin (Engel), Kady Evanyshyn (Mezzosopran), Annika Schlicht (Alt), Kai Kluge (Tenor), Omer Meir Wellber (Leitung), Tobias Kratzer (Regie)
Termintipp
Di., 14. Oktober 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Schumann: Das Paradies und die Peri (szenisch)
Vera-Lotte Boecker (Peri), Eliza Boom (Sopran & Jungfrau), Eric Lunga Hallam (Jüngling), Christoph Pohl (Bariton & Gazna), Ivan Borodulin (Engel), Kady Evanyshyn (Mezzosopran), Annika Schlicht (Alt), Kai Kluge (Tenor), Omer Meir Wellber (Leitung), Tobias Kratzer (Regie)
Termintipp
Fr., 17. Oktober 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Schumann: Das Paradies und die Peri (szenisch)
Vera-Lotte Boecker (Peri), Eliza Boom (Sopran & Jungfrau), Eric Lunga Hallam (Jüngling), Christoph Pohl (Bariton & Gazna), Ivan Borodulin (Engel), Kady Evanyshyn (Mezzosopran), Annika Schlicht (Alt), Kai Kluge (Tenor), Omer Meir Wellber (Leitung), Tobias Kratzer (Regie)