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Opern-Kritik: Staatstheater Mainz – Die tote Stadt

Das Krippenspiel in einem Sumpf voller Erinnerungen

(Mainz, 18.10.2025) Am Staatstheater Mainz feiert Gabriel Venzago mit Korngolds „Die tote Stadt“ einen Einstand, der mit großer sinfonischer Geste alle Sinne berauscht.

vonPatrick Erb,

Viel Nebel liegt in der Luft des Staatstheaters Mainz, geheimnisvoller Dunst, aus dem sich drei zu einem Ensemble geformte Massivholzhütten aus einem schaurigen Sumpf verblassender Erinnerungen emporstrecken. Die stilisierten, schräg geneigten Bauten gleichen dabei eher einem Jugendherbergsalbtraum als dem altehrwürdigen Brügge. Das wenige, unheimliche Licht, das sich vornehm im rußschwarzen Gebälk spiegelt und lange Schatten auf die Bühne wirft, gibt Einblick in die Seelen der Bewohner, deren groteske Fratzen dem Reich der Toten näher scheinen als dem der Lebenden. Ist sie – die Stadt – nur eine Fiktion vergangener Größe, ein illusorisches Abbild ihrer selbst? Regisseurin Angela Denokes Antwort auf Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ scheint zumindest eine wörtliche.

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Szenenbild aus „Die tote Stadt“
Szenenbild aus „Die tote Stadt“

Melancholie, Nebel und auch ein bisschen komische Ironie

Doch eines steht fest: Marie, Pauls Ehefrau, ist tot. Das Publikum weiß es, sein Freund Frank weiß es – aber weiß es auch Paul? Mit seinem überschwänglichen, von Wehmut durchzogenen Gesang hält er nicht nur die Stadt, sondern auch sie am Leben. Denoke lässt vieles so nebulös wie das Bühnenbild selbst und spielt gekonnt mit der Frage nach Realität und Wahn. Bildet sich Paul nur immer wieder dieselbe Marie ein? Trifft er in Marietta tatsächlich auf eine Frau, die der Verstorbenen ähnelt? Oder ist auch sie nur Projektion eines sehnsüchtigen Wahns? Sticht er im Streit um die neue Geliebte gar Frank in einem eifersüchtigen Kurzschluss nieder – und in einer gewissen komischen Derbheit auch gleich noch sie?

Ob skelettierte Bewohner im Allgemeinen, der melancholisch-düstere Pierrot in Mariettas Theatertruppe oder die unheimlichen Kinderpuppen während der Fronleichnamsprozession – in Denokes Inszenierung sind alle Figuren Teil eines makabren Krippenspiels. Marietta erscheint als janusköpfige Maria: angebetete Heilige, Abbild der Verstorbenen und zugleich anrüchige Verführerin, die sich Paul wie Frank gleichermaßen hingibt. Eine kleine Schwäche offenbart das Bühnenbild: Das Gefälle der schrägen Hütten bietet wenig Raum für eine ausgereifte Choreografie; die Figuren bleiben haften, die Bewegung wirkt gehemmt, alles lebt nur von der überwältigen Wirkung der Musik und des gefühlsüberhöhten Moments.

Szenenbild aus „Die tote Stadt“
Szenenbild aus „Die tote Stadt“

Dirigat auf akademischem Höchstniveau

Von beeindruckender Klarheit ist das Dirigat Gabriel Venzagos, der sich mit seiner Antrittsproduktion als neuer Mainzer Generalmusikdirektor als glückliche Entscheidung erweist. Der melodisch-romantischen Zuckerwatte aus der Wagner- und Mahlerwerkstatt – dem gesättigten Streicherzauber, den Hollywoodträumereien und dem Celesta-Regen – verleiht er Biss. Orgiastisch, laut, rastlos, hämmernd: Über der gesamten rhythmischen Bandbreite, die Korngold einst bei Richard Strauss erlernte, lässt Venzago die Sektkorken knallen.

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Szenenbild aus „Die tote Stadt“
Szenenbild aus „Die tote Stadt“

Traumduo in den Hauptrollen

Sehr stark präsentieren sich auch die Hauptpartien. Für die anspruchsvolle Rolle des Paul gastiert Tenor Corby Welch mit honigsüßer Lyrik im Timbre. Diese bleibt weitgehend erhalten, verliert gegen Ende des Gesangsmarathons jedoch leicht an Farbe – wohl eine Folge der dramaturgischen Zuspitzung wie auch der Einsicht, dass Brügge selbst für Paul zur toten Stadt geworden ist. Nadja Stefanoff zeigt sich indes als großartige Gestalterin aus dem Mainzer Ensemble: Im güldenen Hollywood-Dress prägt sie mit viel Grandezza und stimmlicher Klarheit das Bild einer anrüchigen Marilyn Monroe, die in einer Stadt voll erzkatholischer Erscheinungen als moderne Versuchung glänzt. Etwas blass bleibt hingegen Brett Carter in seiner Doppelfunktion als Frank und Pierrot – beide Rollen hätten eine differenziertere Lesart verdient.

Doch das ist nur Makulatur in Anbetracht der orchestralen Größe und der durchdachten, mit Details versehenen Inszenierung, mit der Mainz nun seine erste Premiere der Saison feiert und „Die tote Stadt“ zu einer wahrlich lebendigen macht.

Staatstheater Mainz
Korngold: Die tote Stadt

Gabriel Venzago (Leitung), Angela Denoke (Regie), Timo Dentler & Okarina Peter (Bühne & Kostüm), Fabio Toraldo (Choreografie), Frederik Wollek (Licht), Sebastian Hernandez-Laverny (Chor), Corby Welch, Nadja Stefanoff, Brett Carter, Karina Repova, Dorin Rahardja, Alexandra Uchlin, Collin André Schöning, Chor und Statisterie des Staatstheater Mainz, Philharmonisches Staatsorchester Mainz





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