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Opern-Kritik: Theater Bonn – Staatstheater

Authentisch absurdes Kuriositätenkabinett

(Bonn, 13.9.2020) Wie Mauricio Kagels Anti-Oper in der Beethoven-Stadt zum flammenden Plädoyer des Überlebenswillen (in) der Kunst mutiert.

vonPeter Krause,

Zur sagenumwoben skandalumwitterten, nur durch Polizeischutz störungsfrei ermöglichten Uraufführung in Rolf Liebermanns damals legendärer Staatsoper Hamburg war Komponist Mauricio Kagel sein eigener Regisseur. Der argentinisch-deutsche Meister der Avantgarde gab damals gleichsam den Über-Wagner, der die Oper als Gesamtkunstwerk freilich beherzt und systematisch zertrümmert, in seine musikalischen, vokalen und szenischen Einzelteile zerlegt, um nicht weniger als eine „Anatomie der Funktion des musikalischen Theaters“ vorzunehmen, wie er dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ anno 1971 anvertraute.

Kagels Humor zündet noch

Marie Heesche (Tochter), Tobias Schabel (Oberbademeister), Yannick-Muriel Noah (Intendantin)
Marie Heesche (Tochter), Tobias Schabel (Oberbademeister), Yannick-Muriel Noah (Intendantin)

Wieviel Affirmation in soviel Negation, also wieviel heimliche Liebe für die Absurditäten der Gattung wie der Institution Oper in seinem frühen Dekonstruktionsfuror liegen mochten, erahnt man nun – 49 Jahre später und zwölf Jahre nach dem Tod des Wahlkölners aus Buenos-Aires. Kagels Humor zündet noch. Und er wirkt heute womöglich weiser und ausgewogener als damals, als sich Opernfreunde – medial mit argumentativer Munition der Gegenwehr versorgt, denn wiederum der „Spiegel“ unterstellte Kagel seinerzeit allen Ernstes die „Machtergreifung“ des Opernapparats – persönlich angegriffen, ja beleidigt fühlten, da hier doch ihr Allerheiligstes, natürlich allein bierernst zu konsu-mierendes Kunstvolles durch den Kakao der Persiflage gezogen wurde. Heute, da die selten wirklich witzige Dekonstruktion den Diskurs des Inszenierens bestimmt, wirkt Kagel vollends als Visionär, der das postdramatische Theater vorwegnahm, wenn er in seinem instrumentalen Theater die Grenzen des Erklingenden und des Erzählenden, des Alltäglichen und des Kunstvollen gar lustvoll durchlässig machte.

Der rote Opernvorhang als traditionelle Wasserscheide zwischen Kunst und Welt kehrt zurück

Wie sehr er eben jene Grenzen reflektiert, macht Jürgen R. Weber in seiner Bonner Neuinszenierung gleich zu Beginn deutlich. Der rote Opernvorhang als traditionelle Wasserscheide zwischen Kunst und Welt, zwischen magischem Bühnenbezirk und alltäglicher Wirklichkeit des Publikums kommt tatsächlich zum Einsatz, nachdem das postmoderne Theater ihn doch mit Konsequenz verbannt hatte. Der Maestro (Daniel Johannes Mayr hält den Laden vorbildlich zusammen, seine Einstudierung ist von höchster Präzision) mit überlanger, chaplinesker Frack-Schleppe betritt die Bühne des Theater Bonn, huldigt seinem Orchester, das indes aus exakt null Mitgliedern besteht. Schließlich ersetzt Kagel große Teile des instrumentalen Parts durch Aufzeichnungen, denn seine Vorbehalte gegen das konservativste Kollektiv der Institution Oper waren ausgeprägt.

Ensemble
Ensemble

Das Kaleidoskop des Surrealen, des Verrückten, des der Logik des Lebens Enthobenen

Als sich der rote Vorhang öffnet, serviert uns Weber – den schnellen Schnitten von Kagels Elementarteilchenmusik-theater folgend – ein Kaleidoskop des Surrealen, des Verrückten, des der Logik des Lebens Enthobenen, kurz: des Opernhaften, wie es im Buche steht. Mit den Armen rudernde Rheintöchter scheinen über die Bühne zu schwimmen wie weiland bei Richard Wagners Bayreuther Ur-Inszenierung, wobei sie verblüffenderweise (durchweg friedlichen) Haien begegnen, die im wahren Rhein wohl kaum anzutreffen sein dürften. Das wundersame Kuriositätenkabinett eines Kostümfundus – quasi die Mottenkiste der Grand Operá – wird uns als Urquell des Opernabsurden vorgeführt. Zur späteren Wiederkehr dieser Szene entspringen derselben in pantomimischer Konfirmation des Klischees ihre Figuren präsentierende Vertreter von Butterfly und Boris Godunow, von Carmen und Wilhelm Tell, von Anna Bolena und Mephisto.

Metronome klicken und klacken gleich einer Fuge des Ungleichzeitigen

Was im Rahmen der Inszenierung einer gewitzten Anti-Oper durchaus erwartbar wäre, bereichern Jürgen R. Weber und sein kongeniales Team um Hank Irwin Kittel (Bühne) und Kristopher Kempf (Kostüme) indes um köstliche Zutaten, die den Mehrwert und damit auch die entscheidende Neuerung ihrer Deutung ausmachen. Gleich einem Ritornell des Surrealen treten stumme, in schwarz-weißen Mondmännchenkostüme gesteckte Darsteller auf, die – man erinnert sich an György Ligetis famoses Opus – Metronome gleich einer Fuge des Ungleichzeitigen zum Klicken und Klacken bringen. Wird hier gar parsifalesk die Zeit zum Raum? Gebiert die Zeitkunst Musik als szenisches Konzert das visuelle Element?

Der Jugendchor des Theater Bonn verleiht dem Opern-Absurden ungeahnte Authentizität

Yannick-Muriel Noah (Intendantin), Statisterie
Yannick-Muriel Noah (Intendantin), Statisterie

Noch entscheidender wirkt Webers Neuerung, statt des etablierten Opernchors junge Leute des Jugendchors des Theater Bonn einzubinden, die den mitunter überaus anspruchsvollen, aber im engeren Sinne sinnfreien Vokalisen Kagels ihre Stimmen leihen. Die neugierige Naivität von Opern-Novizen erhält so Einzug ins Geschehen. Die Kinder und Jugendlichen spielen Ball miteinander, sie sind die munteren Kleindarsteller unzähliger Kagel-Figuren. Dabei sind sie mit einer Lust und Laune bei der Sache, die dem Opern-Absurden auf einmal wieder eine Art von ungeahnter Authentizität verleiht. So gerät die Inszenierung zum feinfühlig fantasieprallen Plädoyer für den Kunstwillen in kunst-unwilligen Zeiten. In schönster Dialektik wendet sich Kagels Anti-Oper zur Anti-Anti-Oper. Aus des Komponisten Zerstörungswut erwächst beherzt ein Momentum des Konstruktiven.

Beethoven kommt der fernen Geliebten in diversen ero-tischen Unterwasser-Stellungen ganz nah

Mit einem genuinen Bonner Leitmotiv variiert Jürgen R. Weber diese Vision. Ludwig van Beethoven höchstpersönlich, der 250. Jahre junge Wahlwiener vom Rhein, wird im Laufe des 100-minütigen Abends zunächst vom Sockel des grimmig dreinblickenden Heroen gestoßen, ein ums andere Mal zertrümmert, in den Videos gar in den Rhein versenkt, wo er – nun als Action Figure aus Plastik – nicht nur seiner Gliedmaßen beraubt wird, sondern auch der fernen Geliebten in diversen erotischen Unterwasser-Stellungen nahekommen darf. Ganz am Ende hat der Titan der Klassik wieder den Kopf über Wasser. Und wir ahnen: Beethoven wird sein Jubeljahr so sehr überleben, wie seine einzige, ziemlich unmögliche Oper „Fidelio“ die unmöglichen Versuche des Inszeniertwerdens. Da lernen wir in der veritablen vokalen Apotheose des Finales vom Überleben (in) der Kunst, von neuer Nähe zwischen den Menschen, von all den utopischen Möglichkeitsentwürfen, von denen gerade die unmöglichste aller Kunstformen so viel zu wissen scheint.

Da ist sie auf einmal wieder: die alte Magie der Oper, das Berührtwerden im Vokalen

Marie Heeschen (Tochter), Yannick-Muriel Noah (Intendantin), Giorgos Kanaris (Dirigent)
Marie Heeschen (Tochter), Yannick-Muriel Noah (Intendantin), Giorgos Kanaris (Dirigent)

Wer hellhörig ist, erhält davon während des ganzen Abends Ahnungen. Zumal in den Duetten zwischen der Intendantin (Yannick-Muriel Noah ist in ihrem roten Primadonnen-Kostüm eine jugendlich dramatische Wuchtbrumme) und dem Oberbademeister (Tobias Schabel in kurzen Hosen und mit heldenbaritonaler Wucht) sowie zwischen der Tochter der Intendantin (sopranvirtuos: Marie Heeschen) und dem Sohn des Oberbademeisters (tenoragil: Kieran Carrel) offenbaren sich ungeahnte erotische Zwischentöne. Innig umschlingen sich die Stimmen. Und da ist sie auf einmal wieder: die alte Magie der Oper, das Berührtwerden im Vokalen, das bei Kagel gar kein klischeeabgehangen wortbezogenes „Ti amo“, „Je t’aime“ oder „Ich liebe Dich“ braucht. Die Musik an sich birgt diese Botschaften.

Affirmation durch Negation

Hier liegt nun der echte Erkenntniszuwachs der Bonner Neuinszenierung. Kagel, der als junger Mann Erich Kleibers „Götterdämmerung“ korrepetierte und das Opern-Repertoire wirklich komplett draufhatte, er war gar kein totaler Opern-Verächter. Zwischen den Zeilen der frechen Noten zeigt sich nicht nur die böse Negation der Oper, es schimmert die heimliche Hommage, ja eine Liebeserklärung an die Gattung durch – Affirmation durch Negation also. Dies zu erleben, ist ein Glück. Besonders und gerade in diesen Zeiten, in denen sich die Live-Kunst zurück in die Theater und zu den Menschen kämpft.

Theater Bonn
Kagel: Staatstheater

Daniel Johannes Mayr (Leitung), Jürgen R. Weber (Regie), Hank Irwin Kittel (Bühne), Kristopher Kempf (Kostüme), Friedel Grass (Licht), Yannick-Muriel Noah, Marie Heeschen, Giorgos Kanaris, Tobias Schabel, Kieran Carrel, Anjara I. Bartz, Ludwig Grubert, Heloise Gilhofer, Maximilian Teschner, Jugendchor des Theater Bonn, Beethoven Orchester Bonn

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