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Opern-Kritik: MAGGIO MUSICALE FIORENTINO – FIDELIO

Zubin Mehta zelebriert gelebte Musik

(Florenz, 30.4.2015) Europas neuestes Opernhaus trotzt dem Streik der Techniker mit einem musikalischen Beethoven-Wunder

vonPeter Krause,

Ein böses Wort tönt durch das großartige neue Opernhaus von Florenz, noch bevor der erste Ton der Ouvertüre erklingt. Es heißt Schande. Das böse Wort „vergogna“ also schallt Pierangelo Conte entgegen, als der künstlerische Leiter des Maggio Musicale Fiorentino auf die imposante Bühne tritt, um in wenigen Worte zu erklären, was der Streik des technischen Personals für diesen Opernabend bedeuten würde: Fidelio wird in konzertanter Form erklingen. Die Inszenierung von Pier’Alli – es sollte die Italienpremiere der 2006 für Valencia entstandenen Regiearbeit und die festliche Eröffnung des diesjährigen Festivals werden – konnten wir nicht sehen.

Streikende Techniker schießen Eigentor

Eine Schande ist freilich nicht, dass in der toskanischen Renaissancestadt eines der kompetentesten und innovativsten Leitungsteams Italiens arbeitet. Eine Schande ist es, dass die gewerkschaftlich organisierten Techniker des Theaters sich just dann ein Eigentor schießen, als das Festival nach existenzbedrohlichen Jahren wieder auf ein festes Fundament gestellt wurde und mit einem Programm und einen Anspruch besticht, durch das man es, hält der Aufwärtstrend an, bald wieder mit den führenden Festivals für Oper und Konzert – als da waren Salzburg und Baden-Baden – in einem Atemzug nennen darf.

Zubin Mehta modelliert wuchtig grundierten Beethoven-Klang

Der wahrscheinlich letzte verbliebene universale Altmeister am Dirigentenpult herrscht hier als „Direttore principale“. Das ist Zubin Mehta. Sein Orchester, das er im Fidelio auswendig leitet, sitzt nun also auf der Bühne, was den Vorteil hat, in jedem Detail mitzubekommen, welch Ausnahmearbeit Mehta hier leistet. Sein Beethoven-Klang ist wuchtig grundiert, lebt von warm-weichen, herrlich homogenen Streichern und individuell timbrierten, enorm starken Bläsern. Keine Frage: Das Orchester des Maggio Musicale Fiorentino ist unter seinen Händen ein internationaler Spitzenklangkörper.

Erst phrasierte Musik ist gelebte Musik

Wer an diesem somit auch im positiven Sinne denkwürdigen Abend Ludwig van Beethoven als Romantiker kennenlernt, weil Mehta klanglich nicht zuletzt auf Richard Wagners Der fliegende Hollander vorausweist, wird im schlimmsten Falle die staubtrockenen Akzente der historischen Aufführungspraxis vermissen. Dann aber alsbald jede ideologische Diskussion um den „authentischen“ Beethoven ad acta legen. Denn Zubin Mehta hat eben mit jeder Pore seine Künstlerseins durchdrungen, was als Kernerkenntnis jeden Musikmachens in die Praxis umzusetzen ist: Erst phrasierte Musik ist gelebte Musik. Den italienischen Musikern kommt Mehtas Haltung entgegen, haben sie doch, es mag nach Klischee klingen, stimmt aber nunmal, diese ausgeprägte Empfindung für den gesungenen Ton, den Ton, dessen Tempo flexibel ist, weil er letztlich dem Atem des Sängers abgelauscht ist.

Die konzertante Aufführung, übrigens dann auch ohne die ohnehin höchstens mittelmassigen Dialoge des Stucks, stärkt letztlich Mehtas Ansatz, hier kein biedermeierliches Singspiel, sondern ein frühes Musikdrama genuin sinfonisch anzugehen. Ja, dieser Fidelio wird bei ihm zur Vokalsymphonie, wie es später Beethovens Neunte werden sollte.

Sängerbesetzung von erstem Rang

Damit das Konzept aufgeht, braucht es natürlich eine Sängerbesetzung von erstem Rang, die mit dem orchestralen Feuer mithalten kann. Mehta hat diese Besetzung. Sang die Premiere in Valencia noch Waltraud Meier, knüpft jetzt auch Ausrine Stundyte an die Tradition großer Mezzi an, die sich auf dem Höhepunkt ihres Könnens an die dramatische Sopranpartie der Leonore wagen. Man denkt da an Christa Ludwig oder Marta Mödl. Nun singt Stundyte zwar primär Sopranpartien, unter denen aber eben viele sind, die sich den engen Grenzen von Stimmlagen entziehen: Kundry, Sieglinde und Santuzza gehören dazu. Ausrine Stundyte outet sich mit ihrer Leonore nun als eine Dramatische alter Schule. Da ist sowohl die körperliche Erdung, diese in allen Lagen breit durchgebildete, an Volumen reiche, gleichsam gut ausgebaute Stimme, als auch diese interpretatorische Unbedingtheit und Risikofreude, an Grenzen zu gehen. An diesem Abend gelingt Ausrine Stundyte einfach alles: die erotisch jubelnden Spitzentone, die fraulichen Farben, die anrührenden Piani. Allein ihre Wortbehandlung könnte noch klarer werden.

Mit Burkhard Fritz kann Ausrine Stundyte einen der fulminantesten Florestan-Sänger unserer Zeit aus dem nun nur imaginären Kerker befreien. Seine Arie beginnt er, wie von Beethoven erhofft, mit einem grandiosen Schwellton auf „Gott“, um dann in dem bis zur Unsingbarkeit heiklen Schluss („zur Freiheit ins himmlische Reich”) vorbildlich flexibel tenorale Trompeten-Imposanz mit ebensolcher Intimität zu verbinden.

Auch der zweite Tenor des Fidelio ist erstklassig besetzt: Der Jaquino des Karl Michael Ebner empfiehlt sich mit perfekter Diktion und geschmeidiger Stimmgebung schon als ein Florestan der Zukunft. Seine auf erotischen Abwegen wandelnde angebetete Marzelline singt Anna Virovlansky sehr hübsch soubrettenzwitschernd, nur allzu konsonantenfremdelnd.

Die beiden tiefen Stimmen sind mit dem herrisch hellen Pizzaro des herausgeworfenen Holländers von Bayreuth, Evgeny Nikitin, eindrucksvoll, mit dem zunächst sehr raubeinig uneingesungenen Bass-Veteranen Manfred Hemm, der erst später zu seiner Bassgewalt findet, rollendeckend besetzt. Ein Wunder an musikalischer Intelligenz, vokaler Pracht und Prägnanz im weit fortgeschrittenen Baritonalter ist Eike Wilm Schulte als Ferrando.

Ein Ereignis ist auch das zweite Kollektiv dieses Fidelio. Denn neben dem Orchester verfugt der Maggio über einen fantastisch homogegen Chor, der mystische Piani mit wortklarer Überwältigung gänsehautfordernd verbindet.

Das neue Opernhaus von Florenz strahlt frühlingsfroh

Und: Die Akustik des neuen Opernhauses von Florenz hilft, dass solche Wunder auch uneingeschränkt zur Entfaltung kommen. Der warmholzige Raumklang unterstützt Mehtas agogisch breiten Beethoven-Klang ebenso wie dessen Transparenz jedes Atemholen der Sänger und jeden Holzbläserkommentar nah an die begeisterten Ohren des Publikums heranzoomt. Von einer Schande mochten beim Nachhauseweg durch den Florentiner Frühling jedenfalls niemand mehr etwas wissen. Eine Schande wäre es, dieses Festival zu verpassen.

Maggio Musicale Fiorentino

Beethoven: Fidelio

Zubin Mehta (Leitung), Pier‘Alli (Inszenierung & Ausstattung), Ausrine Stundyte, Burkhard Fritz, Evgeny Nikitin, Manfred Hemm, Eike Wilm Schulte, Karl Michael Ebner, Anna Virovlansky, Orchester und Chor des Maggio Musicale Fiorentino

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