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Bundesjugendchor debütiert beim Musikfest Berlin

Gründung trotz Corona-Hürden

Am 28. August debütiert der blutjunge Bundesjugendchor beim Musikfest Berlin.

vonRoland H. Dippel,

Über 50.000 Chorvereinigungen gibt es in Deutschland. Kaum eine Form des Musizierens changiert so frei zwischen Folklore und Klassik, Kirche und Flashmob wie Chorgesang. Das war der Anlass zur Gründung des Bundesjugendchors als drittes Ensemble des Deutschen Musikrats neben dem Bundesjugendorchester und dem Bundesjazzorchester. Mit der Verzögerung von über einem Jahr ist das Gründungskonzert am 28. August zum Beginn des Musikfestes Berlin ein markantes Ereignis. Neben Kompositionen von Orlando di Lasso, Robert Schumann und Johannes Brahms erklingen Werke der Zeitgenossen Wolfgang Rihm, Hendrik Hofmeyr und eine Uraufführung von Kathrin A. Denner. „Es hat viel Mut, organisatorische Flexibilität und Kompromissbereitschaft erfordert zu proben. Die Abstände während der Proben waren das eine, die Verunsicherung darüber, wie gefährlich das Singen nun wirklich ist, das andere“, rekapituliert Caroline Wiese als Projektleiterin des Deutschen Musikrats.

Durch digitale Vorsingen kommen die besten der 18- bis 26-jährigen Sängerinnen und Sänger zusammen, um sich in mehrtägigen Probenphasen, Kooperationen und Konzertreisen auf künftige Chorarbeiten vorzubereiten. Projekte mit dem SWR und dem Polnischen Nationalen Jugendchor in Breslau sowie Konzerte bei Festivals wie „Vocal Art Frankfurt RheinMain“ und den Fränkischen Musiktagen Alzenau zeigen Richtungen, die das junge Ensemble in der A-cappella-Musik und mit chorsinfonischen Werken einschlagen wird. Als Leiterin wurde Anne Kohler gewonnen. Sie bereitet in einer Professur für Chor- und Orchesterleitung an der Hochschule für Musik Detmold junge Menschen auf ihre professionelle Laufbahn vor. Sie soll den fünfzig Sängerinnen und Sängern aus möglichst allen Bundesländern den unverwechselbaren, gehaltvollen Klang implantieren.

Der Bundesjugendchor als Ort der Ausbildung hin zu professionellem Chorgesang

Keine leichte Aufgabe ohne festen Konzert-Standort und der für einen Spitzenchor außerordentlich hohen Fluktuation. Wiese nennt hohe Ziele für die im Vorfeld zu professionellen Karrieren stehende und dabei sehr bunt gemischte Gruppe: „Ich möchte, dass der Bundesjugendchor sich musikalisch zum besten Jugendchor in Deutschland entwickelt, der als Ort der Ausbildung hin zu professionellem Chorgesang angesehen werden kann.“ Anne Kohler visioniert: „Im Bundesjugendchor singen hauptsächlich Gesangsstudierende oder sehr erfahrene Chorsängerinnen. Es gibt bestimmte Themen und bestimmte Musik, die ihnen unter den Nägeln brennen. In diesen Fragestellungen soll der Chor auch Ausdrucksmittel sein für das, was diese Generation sagen möchte.“
Dazu kommen Erschwerungen seit dem Aufkommen der Pandemie. Viele Chöre halten sich durch Online-Proben und Stimmtraining in den eigenen vier Wänden fit. Dieses Singen mit Abstand verändert Haltung und Klang. Anne Kohler sieht darin nicht nur Nachteile: „Die jungen Sängerinnen und Sänger machen große Schritte in Richtung Selbstständigkeit und Eigenverantwortung, wenn sie nicht Schulter an Schulter stehen.“ In diesen Herausforderungen verschwindet allerdings die Kuppel des Gemeinschaftserlebnisses. Chorgesang wurde während Corona von der viel gerühmten Sozialhygiene zum Gesundheitsrisiko. Auch unter den neuen Gegebenheiten spiegelt der Bundesjugendchor wie andere Ensembles alle Reflexe des gesellschaftlichen Lebens.

Neben humanen Anliegen gibt es praktischen Bedarf für das mit Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanzierten Ensembles. Anne Kohler weiß um die Lücken zwischen Ausbildung, Enthusiasmus und fachlichen Voraussetzungen: „Einige Rundfunkchöre haben Probleme, Nachwuchs zu finden, weil die Studierenden, die an Hochschulen ausgebildet werden, teilweise zu wenig Erfahrung im Chorgesang haben oder aber stimmlich nicht genügend integrationsfähig sind. Manche singen zu wenig gut vom Blatt und lernen deshalb Partien zu langsam.“ Lernen, Repräsentation, Kompetenzgewinn – dieser Akkord macht die Arbeitstreffen und Auftritte der drei Klangkörper des Deutschen Musikrates zu besonderen Erlebnissen. Der Bundesjugendchor ist der neue Ton für Interpreten mit Zukunft. Er steht bei Auftritten für Utopien, Glaubensbekenntnisse und Hoffnungen.

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