Porträt Luigi Nono im Trafo

Revolution in der Turbinenhalle

Die Staatsoper hat in den „trafo“, das ehemalige Heizkraftwerk Mitte, eine Opernbühne eingebaut – für Nonos Al gran sole carico d’amore

Hans Hoffmann nennt es „sein Hobby“. Erschöpft, aber zufrieden sitzt der Technische Direktor der Staatsoper auf der Zuschauertribüne des Kraftwerks Mitte. Die nackten Wände und Säulen, die fast dreißig Meter in die Höhe ragen, treten hinter dem Gestänge und dem schwarzen Stoff des Bühnenaufbaus kaum zurück, dafür sorgt die helle, kaum opernhafte Beleuchtung. Es ist der erste Probentag der Staatsoper im Kraftwerk, Hans Hoffmann hat den größten Teil seiner Arbeit hinter sich. Die bestand darin, die Fa-brikhalle in ein Opernhaus zu verwandeln, und das war viel Arbeit.

Bis vor wenigen Monaten noch stand die ehemalige Turbinenhalle, mit 6.000 Quadratmetern Grundfläche der Hauptraum des Komplexes „trafo berlin“, leer. Lediglich in einem kleinen Teil des Gebäudes hat bereits 2007 der berühmte Club „Tresor“ eine Heimstätte gefunden. Von der Staatsoper im Schillertheater aus hat Hans Hoffmann dann im letzten Jahr gemeinsam mit seinem Team die Turbinenhalle entdeckt, als neuen, besonderen Aufführungsort: als Saal für Luigi Nonos großes Musiktheaterwerk Al gran sole carico d’amore.

Das mit großem Orchester, Chor und zahlreichen Gesangssolisten besetzte, selten aufgeführte Revolutionsstück des einstigen italienischen Avantgardisten Nono (1924 bis 1990) kam 2009 bei den Salzburger Festspielen heraus, unter der damaligen Intendanz von Jürgen Flimm. Nach seinem Wechsel an die Berliner Staatsoper begann Flimm, in der deutschen Hauptstadt nach Geld und nach einem Ort für eine Wiederaufführung von Al gran sole zu suchen. Wo sollte das avantgardistische Spektakel über die Pariser Commune und den Petersburger Aufstand stattfinden? Mehrere Monate lang fuhren Hans Hoffmann und seine Kollegen quer durch Berlin, begutachteten über 20 Säle und Gebäude, auch außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit. „Wir wären auch in den Flughafen Tempelhof gegangen, aber da war in dieser Zeit schon die Modemesse „Bread & Butter“ angemeldet.“


Jedenfalls musste der Raum sehr groß sein. Sehr groß und sehr leer. Denn die Inszenierung, die die britische Regisseurin Katie Mitchell 2009 gemeinsam mit dem Dirigenten Ingo Metzmacher in die Salzburger Felsenreitschule brachte, sie sprengte die Dimensionen einer normalen Opernaufführung bei weitem. Die Felsenreitschule ist ebenfalls riesig, die Bühne eher breit als lang, mit einer herkömmlichen Opernrampe ist sie nicht vergleichbar. Auf einer Videoleinwand wurden die Aktionen der Sänger live auf Übergröße projiziert. Hans Hoffmanns „Hobby“ bestand unter anderem darin, die Arbeit der Regisseurin und des Dirigenten baulich umzudrehen: Das Kraftwerk hat die umgekehrten Dimensionen zur Felsenreitschule, 100 Meter breit und sechzig Meter lang, den Dimensionen nach einem Kirchenschiff ähnlicher als einer Theaterbühne.

Von Oper weit entfernt ist das alte Heizkraftwerk an der Köpenicker Straße in jeder Hinsicht. Fast zeitgleich und in unmittelbarer Nähe zur Berliner Mauer entstand das Gebäude in den Jahren 1960 bis 1964, um den Ostberliner Stadtteil Mitte zu heizen. Lange stand es in den vergangenen Jahrzehnten leer. Erst im letzten Jahr gab es erste zaghafte Versuche, das Gebäude mit Kultur zu füllen. Die Staatsoper machte Nägel mit Köpfen, baute eine Tribüne mit 970 Plätzen. Doch auch ein Orchestergraben musste her, Garderoben für die Sängersolisten, eine Kantine, Sanitäranlagen, schalldichte Nebenräume zum Proben für Orchester und Chor. Ein Theaterdorf entsteht hier, das noch über lange Zeit auch von anderen Ensembles genutzt werden kann.

Wer Ingo Metzmacher über Luigi Nonos Musik (wörtlich etwa: „Voller Liebe im hellen Sonnenlicht“) reden hört, der ahnt, dass sich dieser Aufwand für Al gran sole carico d’amore lohnt. Die musiktheatrale Reflexion über die verlorenen Revolutionen dieser Welt müsse einfach einmal in Berlin gezeigt werden, sagt Metzmacher. Nono, das weiß der Dirigent, habe Berlin geliebt, oft hat Metzmacher den Komponisten am Anfang seiner Laufbahn im Westteil der Stadt getroffen. „Nonos Art, auf neuen musikalischen Wegen politische Gerechtigkeit einzufordern – in Berlin gibt es ein Publikum für sowas. In Berlin hat man einen Sinn dafür, dass dieses Stück den Nerv unserer Zeit trifft.

CD-Tipp

Termine

Sonntag, 26.05.2024 11:00 Uhr Hannover Congress Centrum

Bernstein: Mass

Vivid Voices Jazzchor der HMTMH, Bachchor Hannover, Capella St. Crucis Hannover, Collegium Vocale Hannover, Johannes-Brahms-Chor Hannover, Junges Vokalensemble Hannover, Knabenchor Hannover, Mädchenchor Hannover, Norddeutscher Figuralchor, NDR Radiophilharmonie, Ingo Metzmacher (Leitung)

Samstag, 24.08.2024 19:30 Uhr Felsenreitschule Salzburg
Mittwoch, 28.08.2024 20:00 Uhr Elbphilharmonie Hamburg
Samstag, 07.09.2024 19:00 Uhr Kloster Eberbach Eltville (Rhein)

Abschlusskonzert

Rheingau Musik Festival

Rezensionen

CD-Rezension Ingo Metzmacher

Prachtvolle Packung

Eine gelungene Gesamtaufnahme der Sinfonien von Karl Amadeus Hartmann mit dem niederländischen Radio Filharmonisch Orkest weiter

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