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Interview Anna Skryleva

„Es reicht leider nicht, viel Talent zu haben“

In jungen Jahren war Anna Skryleva ein Wunderkind am Klavier. Doch dann griff sie zum Dirigierstock und ist nun Generalmusikdirektorin in Magdeburg.

vonChristian Schmidt,

Anna Skryleva wurde am berühmten Tschaikowsky-Konservatorium ab dem Alter von zehn Jahren zur Pianistin ausgebildet – damit schien der künstlerische Weg vorgezeichnet. Doch mit Mitte zwanzig ging sie nach Deutschland und entdeckte das Dirigieren für sich. Seit 2019 ist Anna Skryleva Generalmusikdirektorin am Theater Magdeburg. Im concerti-Interview spricht die 45-Jährige über den ambivalenten Begriff des „Wunder­kindes“, Frauen im Dirigenten­beruf und die richtige Zeit für kleiner besetzte Werke.

Sie sprechen ein hervorragendes Deutsch, Respekt!

Anna Skryleva: Danke, aber schließlich wohne ich auch seit über zwanzig Jahren hier. Wo man lebt, muss man mindestens die Sprache gut beherrschen, sonst kann man sich nicht integrieren, weil man den Humor und die Kultur nicht versteht. Zum Beispiel brauchte ich eine ganze Weile, um mich an das Duzen in der hiesigen Künstlerwelt zu gewöhnen. Das war in Moskau undenkbar, alle Professoren galten uns damals als Respektspersonen. Eine gewisse Distanz hilft ja auch, Entscheidungen zu treffen und eine Richtung vorzugeben, für die man Verantwortung trägt. Das heißt nicht, autoritär zu sein, aber in einer Hierarchie muss jeder verstehen, wer das letzte Wort hat.

Sie sind als sogenanntes Wunderkind aufgewachsen.

Skryleva: Mit diesem Begriff bin ich sehr vorsichtig, denn ab wann kann man das schon sicher sagen? Es war für mich selbstverständlich, mich so früh mit Musik zu beschäftigen. In der Schule für hochbegabte Kinder aus der ganzen Sowjetunion war ich ja nicht die einzige, und Sie müssen sich auch den Nachteil vergegenwärtigen, dass man dort schon sehr früh die starke Konkurrenz zwischen Schülern und leider auch Eltern miterlebt. Nicht alle Kinder haben es danach geschafft, die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen. Dadurch hatten sie es bei der Wahl eines anderen Berufes sehr schwer. Es reicht leider nicht, viel Talent zu haben, sondern man muss sehr viel investieren.

Sind Sie deswegen in den Westen gegangen?

Skryleva: Meine Teenager- und Studentenjahre fielen mitten in die Zeit der Perestroika. Die war einerseits mit vielen Hoffnungen verbunden, endete andererseits aber im großen Chaos der Perspektivlosigkeit, vor allem für uns Künstler. Weil ich früh gelernt habe, dass ich mir nur selber helfen kann, wenn ich etwas erreichen will, wollte ich nochmal in den Westen gehen, um in Berlin zu studieren. Dadurch eröffneten sich mir ganz neue Perspektiven.

Und so kamen Sie auch von der Klaviatur ans Pult?

Skryleva: Das war ein Wink des Schicksals, denn ich hatte ja nie vor, Dirigentin zu werden, weil ich zu dieser Zeit so gut wie keine weiblichen Vorbilder hatte. Andererseits erschien mir der vorbestimmte Weg eines jungen Pianisten, auf ­Wettbewerbe zu gehen und dann mit Glück ins Konzertgeschäft einzusteigen, nicht der richtige. Durch Zufall habe ich dann mit Alicja Mounk eine Dirigentin kennengelernt, die in mir irgend­etwas gesehen hat. Sie suchte gerade eine Assistentin und fragte mich, ob ich nicht Dirigieren studieren will. Das war der Ausgangspunkt meiner Karriere.

Was ist für Sie das Wichtigste beim Dirigieren?

Skryleva: Es ist nie zu früh und nie zu spät, damit anzufangen. Sauber schlagen können viele, wichtig finde ich vor allem, dass man musikalisch etwas zu sagen hat. Ich hatte den Vorteil, dass wir schon in Moskau sehr intensiv darin geschult wurden, eine eigene musikalische Sprache zu entwickeln. Schon mit fünfzehn hat mir meine Lehrerin mit auf den Weg gegeben: Es reicht mir nicht, wenn du alles sauber vorspielst, ich möchte von dir deine Interpretation hören, und dann können wir darüber diskutieren. Diese Erziehung zur künstlerischen Selbstständigkeit hat mir später sehr geholfen, denn gerade in unserem Beruf ist es wichtig, nicht infantil zu bleiben. Was trotzdem heißt, immer weiter zu lernen.

Spielt die Genderthematik in Ihrem Beruf noch eine Rolle?

Skryleva: Solang dieses Thema noch Thema ist, wird es für Frauen schwierig bleiben. Dirigieren ist ein sehr optischer Beruf. Manche Leute, die mit Musik nichts zu tun haben, fragen mich manchmal, ob die Musiker wirklich so spielen, wie ich dirigiere. Trotzdem würde ich sagen, dass Deutschland diesbezüglich als Vorbild gelten kann. In vielen Orchestern gibt es inzwischen mehr Frauen als Männer. Aber Russland zum Beispiel ist immer noch sehr von Machos bestimmt, hier werden die Geschäfte auch mal in der Sauna abgewickelt, und die ist immer noch getrennt­geschlechtlich.

In Magdeburg setzen Sie auch auf die Werke von Komponistinnen.

Skryleva: Ich sehe uns schon als Plattform für Komponistinnen, denn das war noch Anfang des 20. Jahrhunderts kein Beruf für Frauen. Andererseits wähle ich meine Stücke nicht nach Gendergerechtigkeit, sondern sie müssen mich musikalisch interessieren. Unser Beethovenzyklus ist mir sehr wichtig, nicht wegen des 250. Geburtstages, sondern weil man mit dem Orchester an ihm eine eigene Handschrift entwickeln kann, was Klang und Artikulation betrifft. Die ist dann auch anwendbar auf andere Komponisten. Auch Prokofjew, Strawinsky und Schostakowitsch interessieren mich sehr, weil sich in ihren Werken die politisch sehr interessanten Zeiten gespiegelt haben.

Sie komponieren immerhin auch selbst!

Skryleva: Ich habe unlängst eine reduzierte Fassung von Mozarts Oper „La clemenza di Tito“ für kleines Streichorchester, Bläserquintett und mich am Cembalo erstellt, die wir in Magdeburg aufführen. Aber ich möchte mich weder als Komponistin in den Vordergrund drängen noch mich selbst damit unter Druck setzen. Für eigene Werke braucht man Zeit und professionellen Abstand. Gleichwohl pflegt Magdeburg eine gute Tradition für Uraufführungen. Wir kooperieren sehr gut mit dem IMPULS-Festival, das in Sachsen-Anhalt ganz viel bewegt hat auf dem Gebiet der Neuen Musik.

Vielleicht ist nun die Zeit für ein anderes, kleiner besetztes Repertoire.

Skryleva: Durchaus, denn jetzt haben Werke in Kammerbesetzung endlich eine Chance. In den vergangenen Jahrzehnten gab es ja allgemein den Drang, die Besetzungen immer weiter zu vergrößern, um mehr Klangfarben zur Verfügung zu haben. So verständlich das sein mag, aber dadurch können wir im Moment zum Beispiel einen der bedeutendsten Komponisten unserer Zeit, Krzysztof Penderecki, nicht adäquat aufführen, was ich sehr schade finde. Es ist nun für die Komponisten an der Zeit, auch praktischer zu denken.

Wie stark schränkt die Corona-Krise Ihre alltägliche Arbeit sonst ein?

Skryleva: Immerhin können wir wenigstens auftreten – ganz anders als in Amerika, wo erst mal alle Konzerte abgesagt wurden. Auch ich hatte dort einige Engage­ments geplant, aber die sind schon deswegen geplatzt, weil man gar kein Arbeits­visum bekommt, da alle Konsulate geschlossen sind. Auch Flüge zu buchen ist keine Selbstverständlichkeit. Generell vermute ich, dass wir in dieser Spielzeit alle vermehrt lokal auftreten werden. Für uns bleibt es existenziell wichtig, nach draußen zu gehen und Präsenz zu zeigen – egal wo.

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