So einen Saisonauftakt wie das Theater Regensburg muss man auch erstmal hinbekommen. Dazu braucht es nämlich tatsächlich eine Art Geisterbeschwörung. Wer mit dem Werk eines lebenden Komponisten in die Spielzeit startet, hat Chancen, überregional als wagemutig wahrgenommen zu werden. Nun ist das Uraufführungsjahr von John Coriglianos Oper „The Ghosts of Versailles“ 1991 schon eine Weile her. Aber in Deutschland spuken die Geister erst zum zweiten Mal über eine Bühne. Doch die außergewöhnliche und maßgeschneiderte Bezeichnung Grand opera buffa für den dreistündigen Zweiakter deutet auf eine Art von Opernnovität, die vor allem beim Publikum landen, es unterhalten und nicht nur als Vorlage für eine Suche nach dem absolut Neuen dienen will.
Für seine einzige, zum Hundertjährigen der New Yorker MET uraufgeführte Oper hat sich der US-Amerikaner Corigliano zusammen mit dem Librettisten William M. Hoffman auf eine fiktive Europareise begeben. Mit Terminen für Treffen mit Rossini und Mozart, aber auch mit Strauss und Wagner.

Die wichtigste Begegnung aber haben sie mit Pierre Augustin Caron de Beaumarchais. Dafür, dass sie seine „La Mère coupable“ nachnutzen, ihm eine Affäre mit Marie Antoinette andichten und das Leben seiner Opernpersonage weiterspinnen, darf genau dieser Hans Dampf in allen Abenteuer- und auch Dichtergassen, Beaumarchais, als einer der wichtigsten Protagonisten selbst mitspielen.
Wenn eine moderne Buffa zur Verwicklungshochform aufläuft …
Das von ihm erfundene Grafenpaar Almaviva (Carlos Moreno Pelizari) und Rosina (Theodora Varga) hat mittlerweile flügge gewordene Kinder. Natürlich verlieben sich Rosinas Sohnemann Léon (Konstantin Igel), dessen Vater Cherubino ist (dachten wir uns das nicht immer schon?) und die (bzw. eine) uneheliche Tochter des Grafen, Florestine (Kirsten Labonte), ineinander. Damit die Buffa zur Verwicklungshochform aufläuft, funkt ein dazu erfundener, wie der Blutmessias Robespierre schwarz gewandeter, Bösewicht für alle privaten und politischen Schweinereien mit Namen Patrick Honoré Bégearss (mit Lust am Teuflischen:Martin Lechleitner), dazwischen, wenn er nicht gerade seinen Diener Wilhelm (Malte Flierenbaum) prügelt.

Seymur Karimov aber darf als Beaumarchais selbst als Liebhaber der Königin und als Autor in den antizipierten weiteren Verlauf seiner Geschichten eingreifen, um nicht weniger als den Verlauf der von ihm erfundenen Geschichten und damit gleich noch der der tatsächlichen Geschichte Frankreichs, Europas, ja der ganzen Welt zu ändern.
Ohne die Französische Revolution wäre Marie Antoinette zwar mit Kopf auf den Schultern im günstigsten Falle an Altersschwäche gestorben, aber der Weltgeschichte würde trotz des revolutionären Blutrausches der Jakobiner etwas fehlen. Der Dichterfilou des vorrevolutionären Frankreich schafft das natürlich nicht. Denn alles, was er in Gang setzt, um mit Hilfe des Royalisten Almaviva Marie Antoinette vor der Guillotine zu retten und mittels Verkauf einer ihrer Halsketten eine abenteuerliche Flucht zu organisieren, scheitert.

Außerdem verweigert Marie Antoinette am Ende die Rettung aus der Tragik ihres Lebens. Innere Freiheit nur mittels Einsicht ins Unabänderliche der tatsächlichen Geschichte, das ist schon ein beachtliches Maß an Rehabilitierung für den Geist dieser Königin (stets mit vokaler Präsenz und darstellersicher Würde: Iida Antola), der die Revolutionäre ja einiges angedichtet haben, um sie auf „legalem“ Wege zu enthaupten. Wenn Figaro (wendig: Benedikt Eder) den Prozess gegen die „Witwe Capet“ samt aller abstrusen Verleumdungen nachspielt, vergeht einem auch schon mal das Lachen.
An Rossini, Mozart und Strauss geschulte tumultartige Ensembleszenen
Beim grandios kostümierten, von Fabiana Lockemit extravaganter Exotik präsentierten Auftritt von Samira in der türkischen Botschaft, den perfekt entfesselten, musikalisch an Rossini, Mozart und Strauss geschulten tumultartigen Ensembleszenen aus Chor, Tanzcompagny und Protagonisten (Choreinstudierung: Lucia Birzer, Choreografie Gabriel Pitoni), bei den Zwischenkommentaren der zwei aufgedonnerten Paare aus den Seitenlogen oder dem Dazwischenfunken einer aus dem Schnürboden einschwebenden Walküre, die drauf besteht, dass das hier gerade keine Oper sei, weil nur Wagner Oper ist, entfaltet diese Geisterstunde in zwei Akten ihr packendes Charisma.

Das schöpft in nahezu jeder Szene aus dem Vollen der Anspielungen und der Lust am Weiterdenken des schon Vorhandenen. Ausstatter Christophe Ouvrard hat die aristokratischen Geister und das Komödienpersonal dazu nicht nur historisch opulent kostümiert, sondern auch eine Bühne gebaut, die das Geisterhafte dieser Geschichte mit den barocken Kulissen ebenso mit leichter Hand andeutet, wie sie den temporeichen Wechsel zwischen den Schauplätzen, sprich Welten, ermöglicht.
Das durchweg spielfreudige Ensemble hat spürbar Freude an dieser Oper und mit ihrer erfundenen Variante der Geschichte und der Geschichten. Aber auch Stefan Veselka und das Philharmonische Orchester Regensburg ist bildlich gesprochen ein akustisches Augenleuchten beim Auffinden eines Schmuckstücksplitters der Vergangenheit anzumerken. Der 87-jährige Komponist ließ es sich nicht nehmen, die Endproben zu begutachten und sich den verdienten Jubel des Publikums abzuholen.
Theater Regensburg
Corigliano: The Ghosts of Versailles
Stefan Veselka (Leitung), Sebastian Ritschel & Ronny Scholz (Regie), Christophe Ouvrard (Ausstattung), Gabriel Pitoni (Choreografie), Sebastian Ritschel & Wanja Ostrower (Licht), Lucia Birzer (Chor), Ronny Scholz (Dramaturgie), Svetlana Krutschinin, Jonas Atwood, Daniel Szeili, Sophie Bareis, Scarlett Pulwey, Camilla Bull, Philharmonisches Orchester Regensburg, Opernchor, Tanzcompany Theater Regensburg
Termintipp
Fr., 03. Oktober 2025 18:00 Uhr
Musiktheater
Corigliano: The Ghosts of Versailles
Svetlana Krutschinin (Dame mit Hut), Jonas Atwood (Louis XVI.), Daniel Szeili (Marquis), Seymur Karimov (Beaumarchais), Iida Antola (Marie Antoinette), Benedikt Eder (Figaro), Stefan Veselka (Leitung), Sebastian Ritschel (Regie)
Termintipp
Sa., 18. Oktober 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Corigliano: The Ghosts of Versailles
Svetlana Krutschinin (Dame mit Hut), Jonas Atwood (Louis XVI.), Daniel Szeili (Marquis), Seymur Karimov (Beaumarchais), Iida Antola (Marie Antoinette), Benedikt Eder (Figaro), Stefan Veselka (Leitung), Sebastian Ritschel (Regie)
Termintipp
Di., 21. Oktober 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Corigliano: The Ghosts of Versailles
Svetlana Krutschinin (Dame mit Hut), Jonas Atwood (Louis XVI.), Daniel Szeili (Marquis), Seymur Karimov (Beaumarchais), Iida Antola (Marie Antoinette), Benedikt Eder (Figaro), Stefan Veselka (Leitung), Sebastian Ritschel (Regie)
Termintipp
Sa., 25. Oktober 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Corigliano: The Ghosts of Versailles
Svetlana Krutschinin (Dame mit Hut), Jonas Atwood (Louis XVI.), Daniel Szeili (Marquis), Seymur Karimov (Beaumarchais), Iida Antola (Marie Antoinette), Benedikt Eder (Figaro), Stefan Veselka (Leitung), Sebastian Ritschel (Regie)
Termintipp
So., 09. November 2025 18:00 Uhr
Musiktheater
Corigliano: The Ghosts of Versailles
Svetlana Krutschinin (Dame mit Hut), Jonas Atwood (Louis XVI.), Daniel Szeili (Marquis), Seymur Karimov (Beaumarchais), Iida Antola (Marie Antoinette), Benedikt Eder (Figaro), Stefan Veselka (Leitung), Sebastian Ritschel (Regie)