2003 beauftragte der belgische Barockgeiger Sigiswald Kuijken den Geigenbaumeister und Musiker Dmitry Badiarov mit dem Nachbau eines ganz bestimmen Instruments: Ein kleines Cello, nur 60 cm lang, das der Spieler sich an einem Gurt um den Hals hängt. Zugegeben ein eher gewöhnungsbedürftiger Anblick. Die fünf Saiten der Viola pomposa, wie sie auch genannt wird, sind in Quintabständen gestimmt und erzeugen einen besonders weichen, warmen, schlanken, aber dennoch cellotypischen Ton. Die erste Aufnahme von Sigiswald Kuijken auf seinem Violoncello da spalla erschien 2009, im März 2014 folgte das Live-Debüt in London.


Bei seiner Rekonstruktion konnte Dmitry Badiarov glücklicherweise auf drei noch erhaltene Instrumente zurückgreifen: Zwei von Johann Christian Hoffmann, einem Zeitgenossen von Johann Sebastian Bach, in Leipzig und Brüssel, sowie auf eines von dem Geigenbauer Aegidius Snoek, ebenfalls in Brüssel, aus dem Jahr 1708. Die zwei Brüsseler Instrumente sind im Musikinstrumentenmuseum untergebracht, was die Recherchearbeit für Badiarov erleichtert hat.
Bach und das Violoncello da spalla
Einer der momentan bekanntesten Virtuosen auf diesem Instrument ist Sergey Malov. Der russische Musiker spielt mit Vorliebe Bachs Cellosuiten auf seinem Violoncello da spalla, das ebenfalls von Dmitry Badiarov gebaut worden ist, nur mit dem Unterschied, dass es mit speziellen synthetischen Saiten und nicht mit Darmsaiten bespannt ist.
Bach und das Violoncello da spalla – ein unschlagbares Team. Es könnte sein, dass das genau die Absicht des Komponisten gewesen ist, der das Violoncello da spalla vielleicht sogar selbst gespielt hat, denn das Instrument passt perfekt zu seiner Musik. Dass Bach das Instrument sogar erfunden haben soll, gilt allerdings als eher unwahrscheinlich.
Ein Instrument wird definiert
Bis weit in die frühe Klassik war das Schultercello verbreitet: Im späten 17. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde das Instrument schlicht als „Violoncello“ bezeichnet. Bachs Zeitgenosse Johann Gottfried Walther schrieb 1732 in seinem „Musicalischen Lexicon“ unter dem Stichwort Violoncello: „Violoncello, die Bassa di Viola und Viola di Spala sind kleine Baß-Geigen, in Vergleichung der größeren mit 5, auch wohl mit 6 Saiten, worauf man leichtere Arbeit als auf den großen Maschinen allerhand geschwinde Sachen, Variationes und Manieren machen kan; insbesonderheit hat die Viola di Spala oder Schulter-Viole einen großen Effect beim Accompagnement, weil sie starck durchschneiden und die Töne rein exprimiren kann. Sie wird am Bande an der Brust befestigt, und gleichsam auf die rechte Schulter geworfen, hat also nichts, das ihre Resonanz im geringsten aufhält und verhindert …“

Ergonomisches Spiel
Danach ist das Instrument jedoch rasch in Vergessenheit geraten. Und als dann in den 1930er Jahren Pablo Casals zum ersten Mal die Bachsuiten mit Cello einspielte, waren danach sowieso Generationen von Musikern und Hörern von diesem Klang geprägt. Dabei hat das Violoncello da spalla nicht nur einen frischen Ton, sondern spielt sich auch noch angenehmer als gedacht: Durch den Halsgurt ist der Arm entlastet und durch die leichte Bauweise sowie die zentrierte Haltung vor der Brust ist das Spiel sogar noch ergonomisch.
Sergey Malov spielt die Gigue aus der Cellosuite Nr. 6 BWV 1012 von J. S. Bach
Auch Vivaldi kann mit dem Violoncello da spalla gespielt werden: