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Festivalguide

Bach in Istanbul

„Türk Kültürü“ – das Bodenseefestival widmet sich in vielfältigen Formen der reichen türkischen Kultur

vonChristian Schmidt,

Er ist einer der größten Binnenseen Europas und für sein mildes Klima bekannt. Jeder dritte Apfel stammt vom Bodensee, Wein und Fisch gibt es reichlich, und landschaftlich ist der See im Dreiländereck Deutschland, Schweiz, Österreich ohnehin kaum zu übertreffen.

 

In dieser wunderbaren Gegend hat sich im vergangenen Vierteljahrhundert neben den Opernfestspielen in Bregenz und dem Konstanzer Rock-Gipfel ein nicht mit Superlativen auftrumpfendes, sondern eher feingesponnenes Festival etabliert, das vor allem durch seine Hase-und-Igel-Qualitäten auffällt: Wo immer man im schönen Blütenfrühling hinkommt, ob an das schweizerische, österreichische oder deutsche Ufer – überall ist das Bodenseefestival schon da. Die landschaftlichen Reize nutzen die Macher dabei gekonnt aus, bespielen etwa die höchst wertvolle Stiftsbibliothek in St. Gallen, die nur ein Mal im Jahr zugänglich ist, genauso wie historische Raddampfer oder sonst verschlossene Schlösser.

„Alle sechs Wochen tagt eine Programmkommission der Veranstalter, die um den See herum verteilt sind“, erklärt Geschäftsführer Winfried Neumann. „Wir begreifen uns als föderales Festival, das lediglich das jährliche Motto vorgibt; die Organisation und Finanzierung der einzelnen Veranstaltungen obliegt den Gastgebern vor Ort.“

 

Türkische Kultur im Visier: Fazıl Say als Artist in Residence

 

In diesem Jahr hat sich das Bodenseefestival das Motto „Türk Kültürü“ gegeben, die Übersetzung fällt nicht sonderlich schwer, und passenderweise hat es sich einen türkischen Residenzkünstler an Land gezogen, den internationalen Klavierstar Fazıl Say, der nicht nur selbst zwölf Mal an den Tasten sitzt, sondern auch einen Meisterkurs am Vorarlberger Landeskonservatorium gibt. Als einer der ganz wenigen Pianisten ist Say auch als Komponist erfolgreich, und so wird nicht nur seine Istanbul Symphony aufgeführt, sondern auch einige kammermusikalische Werke. Die werden von jungen Preisträgern interpretiert, die noch unbekannt sind und sich am Bodensee erste Sporen verdienen sollen.

 

Traditionelle Folklore mischt sich mit musikalischer Avantgarde

 

Say ist freilich nicht der einzige Künstler aus der Türkei, den das Festival porträtiert. Dirigenten, Geiger und Tänzer aus dem bikontinentalen Reich thematisieren die reizvolle Spannung zwischen der folkloristischen türkischen Kultur und ihrer Öffnung nach Westeuropa. Traditionelle und moderne Elemente fließen in jüngster Zeit in eine schier unüberschaubare Mixtur verschiedenster Stilrichtungen zusammen, so dass in der Kombination das eigentlich Neue liegt. Das Spektrum der Musikschaffenden scheint im arabischen Raum ohnehin deutlich weiter gefasst, weil die Zugehörigkeit zu bestimmten Schulen oder Dogmen irrelevant bleibt. Es bestehen offenbar auch keine Berührungsängste zwischen traditioneller Kultur und kunstmusikalischer Avantgarde, weil man die Vermischung zwischen diesen Welten als eher befruchtend begreift.

So gibt es neben den Klassikmusikern auch türkischen Jazz, Saxophonmusik zu Tausendundeiner Nacht, ein Ballett aus der Staatsoper Istanbul und orientalischen Groove. Kinder kommen voll auf ihre Kosten bei einer „Reise um die Welt mit der Harfe auf einem fliegenden Teppich“, und das „Alla Turca Kollektiv Istanbul“ steuert ein Programm mit dem neugierig machenden Titel „Die Oboe im Serail“ bei. Dies alles kontrastiert auf köstliche Weise mit Mozarts osmanophiler Oper Die Entführung aus dem Serail oder einem Liederabend mit christlichen und muslimischen Weisen des Mittelalters, ausgegraben von der vorzüglichen klassisch-orientalischen „Sarband“, die sich auf derlei kulturelle Brücken spezialisiert hat.

Neben dieser programmatischen Vielfalt liegt der Reiz des Festivals vor allem darin, dass es sich als interdisziplinäres Kunstfest begreift. „Wir beschränken uns nicht auf ein reines Konzertprogramm, sondern bieten auch Ballettaufführungen, Sprechtheater und eine ganze Reihe von türkischen Filmen an, die ja zur Zeit eine wahre Blüte erleben und internationale Erfolge feiern“, kündigt Geschäftsführer Winfried Neumann an. So wird denn also im schönsten Lenz der Bodensee im Sichelmondlicht erstrahlen. Zu entdecken gibt es reichlich.

 

 

Die Festivaldaten im Überblick:

 

Zeitraum: 2.5 – 8.6. 2014

Orte: Friedrichshafen, Lindau, Konstanz, Bregenz u.a.

Künstler: Fazıl Say, Gidon Kremer, Vesselina Kasarova, Borusan Quartett, Ferhan & Ferzan Önder u.a.

 

 

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