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Interview Anja Harteros

„Ich finde Routine nicht sehr förderlich“

Die Sopranistin Anja Harteros über Titelrollen, sauberes Singen und anstrengende Spaziergänge mit Violetta

vonArnt Cobbers,

Es war ihr Musiklehrer in Bergneustadt, der Anja Harteros empfahl, Gesangsunterricht zu nehmen. Bereits während des Studiums in Köln wurde sie nach Gelsenkirchen engagiert, mittlerweile singt sie in Wien, München, London, New York und ab und zu auch in Berlin an der Deutschen Oper. Die „Sängerin des Jahres 2009“, so die Kritiker-Jury der Opernwelt, ist eine sehr angenehme, offene Gesprächspartnerin, die auch gerne lacht.

Frau Harteros, können Sie überhaupt das Leben genießen, wenn alle um Sie herum erkältet sind?

Anja Harteros: Ich werde schon ein bisschen panisch, wenn ich um mich herum rote Nasen und hustende Menschen sehe. Ich kann es auch nicht gut vertragen, wenn Leute sagen: „Ach, ich bin ja so erkältet“ und einem dann Küsschen geben wollen. So eine Erkältung legt mich einfach zehn Tage lahm. Aber ich bleibe jetzt nicht nur auf dem Zimmer. Ich mag den Winter sehr und habe auch kalte Luft gern.

Was ist das Schöne am Sängerberuf?

Harteros: Er ist selbstbestimmt, kreativ, man kann sich ausleben. Ich kann mich menschlich entwickeln dadurch, dass ich singe, durch die Gefühle, die ich beim Singen entwickle – das finde ich wunderbar. Natürlich gibt es auch Kehrseiten. Der Druck zum Beispiel, die Reiserei – die ist auf Dauer ganz schön ermüdend.

Sie können als Sängerin nur alle paar Tage auftreten, Sie können auch nicht sechs Stunden üben am Tag. Was machen Sie den ganzen Tag? 

Harteros: (lacht) Die Probentage sind sehr anstrengend, dauern manchmal sogar länger als acht Stunden, beispielsweise Hauptproben. Oft erfährt man leider erst nachmittags, wann man am nächsten Tag Probe hat, man kann nicht planen. Und wenn keine Proben anstehen, sollte man selbst üben. Die Stimme gesund zu halten, erfordert viel Arbeit an sich selbst. Wir müssen nebenbei unser Gymnastikprogramm machen, auf gutes Essen achten, natürlich Gesangsübungen, Rollenstudium, Lesen – das nimmt jeden Tag Stunden in Anspruch. Wenn ich am Abend Vorstellung habe, versuche ich mir den Tag möglichst freizuhalten und mich auszuruhen, aber die anderen Tage sind vollgepackt mit Arbeit.

Ist es nicht auch frustrierend, dass Sie Ihrer Stimme so ausgeliefert sind, dass Ihnen gewisse Rollen verschlossen bleiben?

Harteros: Natürlich, wenn ich die Elektra höre oder die Isolde, möchte ich das auch singen. Aber ich bin nun mal nicht so ein dramatischer Sopran. Als Geigerin könnte ich mir eine neue Geige kaufen, als Sängerin muss ich mich annehmen, wie ich bin, mit allen meinen Stärken und Schwächen. Da muss man, was die Rollenauswahl betrifft, seiner Intuition folgen, aber auch auf Ratschläge von Älteren und von Lehrern hören. Man kann als junge Sängerin gar nicht wissen, wie sich eine Stimme entwickeln kann.

Was sehen Sie als Ihre Stärken?

Harteros: Dass ich mich annehme, wie ich bin – das können viele Menschen nicht. Vielleicht ist es meine große Stärke, dass ich fleißig bin und den Anspruch habe, aus dem, was mir gegeben ist, so viel wie möglich zu machen, und dass ich es trotzdem akzeptiere, wenn ich mal einen schlechten Tag habe und es nicht so gut klappt.

Haben Sie einen Masterplan für die kommenden Jahre?

Harteros: Wir sind ja fünf, sechs Jahre im Voraus ausgebucht. Da muss man einfach seine Karriere planen und überlegen, welche Rollen man singen will. Und es gibt immer Ideen von Opernhäusern, die man bearbeiten muss.

Sie haben in Gelsenkirchen und Bonn im Ensemble gesungen, aber dann war es doch der Wettbewerbsgewinn in Cardiff 1999, der Ihnen den Karrieresprung gebracht hat.

Harteros: Ich war auch vorher schon gut im Geschäft. Es war vielmehr so, dass es oft hieß: Können Sie nicht noch mal vorsingen, vielleicht noch eine andere Arie? Und als ich den Wettbewerb gewonnen hatte, hieß es: Ach, wir brauchen das zweite Vorsingen nicht mehr, wir schicken den Vertrag.

Macht Ihnen das Schauspielern ebenso viel Spaß wie das Singen?

Harteros: Das Musikalische ist schon vorrangig, aber es hilft sehr, wenn man spielen kann, auch für die musikalische Gestaltung. Und man muss auf der Bühne auch immer mal wieder sprechen, etwa im Freischütz. Das fiel mir anfangs sehr schwer. Mittlerweile traue ich mich, meine Stimme auch im Sprechen groß zu formen.

Wenn Sie innerhalb einer La Traviata-Inszenierung die Violetta nur einmal geben – wo bleibt da die schauspielerische Qualität?

Harteros: Ich finde dieses rollende Verfahren toll, wir sind alle nicht unersetzlich. Die Traviata ist als Stück so stark, wenn man das entsprechend spielt, ist schon sehr viel gewonnen. Wer dirigiert, ist mir bei meiner Zusage wichtig, aber nicht meine Partner, die Besetzung kann sich krankheitsbedingt immer kurzfristig ändern. Spontanes Spielen ist auch sehr interessant.

Ist es nicht ein merkwürdiges Gefühl, so austauschbar zu sein?

Harteros: Ich bin glücklich, dass ich austauschbar bin! Die Traviata besteht auch ohne mich. Ich finde nichts schlimmer als auf mich als Anja Harteros reduziertes Theater, das ist doch völlig uninteressant.

Aber ein guter Regisseur arbeitet doch mit den Darstellern.

Harteros: Das wäre schon schön. Aber es ist oft so, dass es nicht so ist. (Pause, Lachen)

Werden Sie weiter neue Rollen lernen, oder haben Sie Ihr Repertoire gefunden, das Sie die nächsten Jahre ausfüllen wird?

Harteros: Ich finde Routine nicht sehr förderlich für die künstlerische Erfüllung. Ich arbeite am Troubadour, an der Leonore, an Suor Angelica. Ich könnte mein Leben mit der Elsa im Lohengrin füllen, so viele Anfragen gibt es, aber das ist eine anstrengende Rolle, und es muss ein Gleichgewicht geben zwischen anstrengenden und weniger anstrengenden Rollen. Die Bohème zum Beispiel ist sozusagen eine Erholung. Und die Traviata ist zwar anstrengend, aber ich habe sie so oft gesungen, die ist für mich wie ein anstrengender Spaziergang.

Und Mozart?

Harteros: Der ist sehr anspruchsvoll und anstrengend, weil man technisch so sauber singen muss. Das ist wichtig für die Stimmkultur.

Muss man Puccini nicht sauber singen?

Harteros: Doch, aber da kann ich auch mal unkultivierter singen, und es klingt immer noch gut. Das geht bei Mozart nicht, da hört man alles. Und das bringt einen weiter. Man kommt in ein technisch beseeltes Singen, dass es mir vorkommt, als sei das nicht mehr ich, sondern eine Mozartsche Gestalt – man ist in einer anderen Welt. Am Anfang meiner Karriere wurde mir gesagt, Mozart sei die Grundlage für alles. Und das stimmt.

Wollen Sie, wenn es geht, möglichst lange singen?

Harteros: Nicht in dem Maße, wie ich es jetzt mache, weil es doch sehr aufreibend ist. Irgendwann kommt vielleicht der Punkt, dass ich sage: Ich brauche mehr Ruhepausen. Ich kann mir gut vorstellen, mein Leben ohne das Theater erfüllt zu gestalten. Aber wahrscheinlich lässt einen das Theater nie ganz aus seinen Fängen.

Und das Privatleben kommt nach der Karriere?

Harteros: Nicht ganz. Aber es ist manchmal schon erschreckend, was man sich so alles fürs spätere Leben aufhebt. (lacht)

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