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INTERVIEW ARTEMIS QUARTETT

„Wir sind heute rebellischer“

Eckart Runge und Vineta Sareika vom Artemis Quartett über jugendlichen Klang, Superlative und exklusive Hauskonzerte

vonJakob Buhre,

Berlin, Ende April. Gerade hat Eckart Runge die Unterrichtstunde mit seiner Kammermusikklasse an der Universität der Künste beendet, junge Nachwuchsmusiker mit Instrumentenkoffern schlendern über den Flur. Runge war selbst noch Student, als er das Artemis Quartett 1989 in Lübeck mitgründete. 25 Jahre später gehört es zu den renommiertesten, auch die verschiedenen Umbesetzungen taten der Qualität des Ensembles keinen Abbruch. Beim concerti-Gespräch ist auch Vineta Sareika dabei. Sie wurde 1986 im lettischen Jurmala geboren, ist seit 2012 Primaria – und lernte einst selbst von Runge in Meisterkursen.

Herr Runge, vor 25 Jahren haben Sie das Artemis Quartett mitgegründet. Wie verwachsen ist man nach so langer Zeit mit einem Ensemble?

Runge: Natürlich ist es ein ganz wichtiger Teil von mir. Ich glaube, Quartett spielen würde man nicht, wenn man nicht ein bisschen verrückt danach wäre. Es ist wahnsinnig viel Arbeit und Aufwand damit verbunden, da muss man viel Herzblut investieren.

Was hat sich verändert?

Runge: Früher hatte man noch gefühlt unbegrenzt Zeit, man konnte ohne Weiteres einfach mal acht Stunden proben, danach noch selbst üben – wir waren ja Studenten, als wir das Quartett gegründet haben. Mit den Jahren haben dann die Verpflichtungen zugenommen und im gleichen Maße die Erwartungen an das Quartett.

Sie sagten einmal im concerti-„Blind gehört“ über eine Aufnahme von Kollegen: „Der Klang ist nicht sehr jugendlich“. Wie beurteilen Sie die ersten eigenen Aufnahmen? Klingen die „jugendlich“?

Runge: Auf jeden Fall. Man hört, dass wir da viele Jahre jünger waren.

Woran merken Sie das?

Runge: An unreifer Interpretation (lacht). An übermütigen, rasenden Tempi. Heute spielen wir vieles langsamer, weil wir wissen, dass der Klang mehr Raum braucht und dass ein Publikum so schnell gar nicht mitkommt. Früher waren wir auch besessen von der Partitur, wir hatten noch zu viel Respekt, wir haben uns nicht getraut, bestimmte Dinge zu verändern, weil wir dachten: Das steht doch so in den Noten.

Nicht getraut? Bedeutet Jugend nicht auch Rebellion?

Runge: Interessante Frage. In einer gewissen Weise glaube ich, dass wir heute rebellischer sind. Man emanzipiert sich gegenüber dem, was man gelernt hat. Nicht aus Protest oder weil man schockieren will, sondern weil man weiß: Es gibt auch eine andere Wahrheit als die, die man als Kind eingeimpft bekommen hat.

Frau Sareika, als Sie vor zwei Jahren vom Quartett zum Probespiel eingeladen wurden, haben Sie da zur Vorbereitung die Artemis-Einspielungen gehört?

Sareika: Nein. Ich kannte natürlich die ganzen Aufnahmen, seit ich Meisterklassen des Quartetts besucht habe. Aber diese extra vor dem Vorspiel anzuhören, hätte keinen Sinn gemacht. Ich möchte ja nichts kopieren, schließlich sind wir völlig unterschiedliche Menschen. Der Sinn besteht darin, den richtigen, gemeinsamen Klang zu finden. Du musst es in dein Blut bekommen, indem du mit den Leuten spielst, mit ihnen durch den Probenprozess gehst, Ideen diskutierst. Technische Details, Zusammenspiel, Timing, das lernt man nicht mit einer CD, das baut man zusammen auf.

2005 schrieb die Berliner Zeitung, das Artemis Quartett sei „das beste seiner Generation“. Wie gehen Sie mit so einem Superlativ um?

Runge: Es freut mich, es ist eine gewisse Bestätigung für die Arbeit, die wir tun. Aber das wörtlich zu nehmen, liegt mir völlig fern. Es gibt ja so viele Kritiken, 60 bis 80 pro Jahr, da ist so etwas oft nur ein Schmunzeln wert. Man steht in der Küche und denkt, „Ach cool, die Berliner Zeitung“ – mehr ist es dann aber auch nicht.

Was ist für Sie eine größere, wichtigere Auszeichnung?

Runge: Dass unser Berliner Konzert-Zyklus seit sechs Jahren durchgehend ausverkauft ist. Darüber freue ich mich wirklich. Weil das bedeutet, dass die Leute gerne wiederkommen.

Worauf schwören Ihre Fans?

Runge: Das ist für uns schwer zu beantworten. Wir machen ja nur, was wir fühlen, mit dem Enthusiasmus, den wir haben, mit viel Hingabe und Fanatismus. Und was dabei herauskommt ist das, was die Leute mögen. Wenn ich jetzt sagen würde – wie es die Presse oft schreibt – dass wir das Quartett sind, das mit dem größten Risiko spielt, kantig mit eindeutiger Interpretation usw. – wahrscheinlich würde jedes andere Quartett das genauso von sich behaupten. Es gibt bei uns diesen Unbedingtheitsfaktor, also dass wir in jedem Konzert alles geben, bis zum Umfallen spielen, so intensiv wie möglich. Doch auch das unterscheidet uns nicht per se von anderen.

Ein Merkmal könnte das Repertoire sein, das bei Ihnen klare Grenzen hat.

Runge: Wir spielen keine Renaissancemusik, das stimmt. Wir sind auch keine Nischensucher. Wobei wir schon Exkursionen gemacht haben, in Grenzrepertoire, zum Beispiel mit unserem Piazzolla-Projekt. Wir machen auch fast jedes Jahr eine Uraufführung und schreiben einen Wettbewerb aus, für ein zeitgenössisches Stück.

Aber Sie bleiben bei der E-Musik.

Runge: Auf jeden Fall. Weil wir uns schon in der Tradition der Quartette sehen und nicht wie jemand wie das Kronos Quartett, das versucht, einen anderen Weg zu gehen. Oder das Quatuor Ebène, das diese sehr jazzige Seite hat, was sie großartig machen. Ich glaube, man muss seine Grenzen und seine Stärken kennen.

Berlin mit all seinen kulturellen Nischen und Facetten reizt Sie nicht, die Fühler musikalisch ein wenig auszustrecken?

Sareika: Natürlich hat man hier alle Möglichkeiten, in die verschiedensten Richtungen zu gehen. Aber genauso gibt es im E-Musik-Repertoire so viel zu entdecken – und um es gut zu machen, braucht es viel Zeit. Der richtige Spaß geht ja erst los, wenn man ein Stück schon kennt, wenn man es ein halbes Jahr gespielt hat und dann wirklich versucht, tiefer in das Werk einzudringen.

Wie oft haben Sie die Mendelssohn-Quartette gespielt, die Sie gerade aufgenommen haben?

Runge: Jedes Quartett im Konzert mindestens 20 mal.

Braucht es diese Erfahrung, bevor man ins Studio geht?

Runge: Ich würde sagen: Ja. Sareika: Am Anfang musst du dich erst organisieren, genau wissen, was die anderen machen, einem Plan folgen, und dann, nach und nach, geht es in deinen Körper über, und irgendwann ist es dann in deinem Blut. Runge: Vielleicht ist das die Antwort auf Ihre Frage nach unserem Markenzeichen: Wir nehmen uns Zeit.

Wo doch heute eigentlich niemand Zeit hat. 

Runge: Ganz genau. Aber das ist unser Luxus.

Dabei unterrichten Sie auch, hinzu kommen Solo-Engagements…

Sareika: Das Quartett ist aber schon die Hauptbeschäftigung. Und wir planen so, dass wir ein Stück lange Zeit vor dem ersten Konzert anfangen einzustudieren. Wir haben mindestens einen Monat für Proben, dann gibt es Hauskonzerte… Runge: …wir fragen Freunde, ob wir in ihrem Haus spielen können, laden bis zu 40 Leute ein, machen auch eine Video-Aufnahme und analysieren das anschließend. So können wir sehen, ob ein Stück auch auf der Bühne standhält, ob unsere Interpretation wirklich funktioniert. Sareika: Und es zeigt sich, wer bei den vielen Diskussionen, die wir führen, Recht hatte mit seiner Idee. Runge: Zum Beispiel diskutieren wir oft über den Schlussakkord. Den kann man nicht einzeln proben, weil dann das Gefühl vom Gesamtstück fehlt. Andererseits können wir nicht immer das ganze 40-minütige Werk durchspielen, nur um den Schlussakkord zu diskutieren. Da sind die Hauskonzerte sehr hilfreich.

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