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Benjamin Appl im Interview

„Da macht jedes Hertz einen Unterschied“

Bariton Benjamin Appl vertraut in seiner Kunst vor allem der Intuition – was aber noch lange nicht heißt, dass er den Dingen nicht auf den Grund gehen würde.

vonMaximilian Theiss,

Seine Spezialität ist die Vielseitigkeit, und so singt Benjamin Appl praktisch nichts, was nicht für Gesang geschrieben wäre, zumindest im Bereich der sogenannten E-Musik. Doch auch in darüber hinausreichende musikalische Gefilde wagt sich der gebürtige Regensburger, auf dessen Konto bereits eine erkleckliche Anzahl an Uraufführungen geht. Dass der Bariton daher nicht nur auf der Konzertbühne, sondern auch auf bemerkenswert vielen Tonträgern zu hören ist, verwundert daher nicht.

Herr Appl, Sie haben eine erstaunlich hohe Schlagzahl an Albumveröffentlichungen, drei allein in den letzten zehn Monaten. Checken Sie denn regelmäßig die Klickzahlen auf Spotify und Co.?

Benjamin Appl: Nein, das mache ich nicht. Die Jahresabrechnung ist da das Spannendere für mich (lacht). Im Ernst: Die Zahl der Klicks ist mir nicht so wichtig. Entscheidender ist, dass sie nach Möglichkeit von Veranstaltern oder Konzertgängern kommen.

Wie wichtig ist Ihnen das Feedback von Ihren Hörern und Konzertbesuchern?

Appl: Natürlich ist mir jede Reaktion innerhalb oder außerhalb des Konzertes wichtig. Wobei jetzt, da ich nun einige Jahre auf dem Buckel habe, die Einzelkritik verhältnismäßig weniger Gewicht hat als ganz zu Anfang der Karriere, weil mit der Zeit einiges an Feedback zusammenkam. Aber ich erinnere mich an mein erstes Konzert in Regensburg. Ich war siebzehn Jahre alt und hatte die Arie von Leporello gesungen mit dem städtischen Orchester. Von diesem Konzert hat ein lokaler Kritiker eine vernichtende Rezension über mich geschrieben. Das hat mich damals sehr getroffen, über Wochen hinweg. Gott sei Dank habe ich da einen netten Brief vom Generalmusikdirektor bekommen, der das alles relativiert hat. Aber mit den Jahren lernt man damit umzugehen.

Haben Sie den Kritiker später mal persönlich kennengelernt?

Appl: Ja, habe ich. Er hat auch später einige Male geschrieben, wenn ich wieder in meine Heimatstadt Regensburg zurückkam. Die Kritiken waren dann ganz gegenteilig.

Lesen Sie noch heute Kritiken?

Appl: Ich hatte mal eine Phase, in der ich sie nicht gelesen habe. Aber in unserer digitalen Welt ist es unmöglich, Kritiken nicht zu lesen, die dringen unweigerlich über die Kanäle der sozialen Netzwerke zu einem durch.

„Mit den Jahren lernt man, damit umzugehen“, sagt Benjamin Appl über schlechte Kritiken.
„Mit den Jahren lernt man, damit umzugehen“, sagt Benjamin Appl über schlechte Kritiken.

Zurück zu Ihren Tonträgerveröffentlichungen. Wie umschifft man die Gefahr, als gefühlt 137. Interpret eines Schubert-Liedes bei den Streamingdiensten unterzugehen?

Appl: Es stimmt schon: Eigentlich ist schon alles aufgenommen worden. Heutzutage müssen wir uns als Musiker also einige Fragen stellen: Macht es Sinn, etwas nochmal aufzunehmen? Was können wir anders machen? Was können wir genauso machen wie unsere Vorgänger? Ich denke, dass meine und die nachfolgende Generation mit diesen Fragen einen Weg finden kann, Lieder in einen anderen Kontext zu stellen. Es verändert sich auch immer für einen Zuhörer die Art und Weise, wie man ein Lied hört. Es hängt stets von der eigenen Verfassung ab, aber natürlich auch, wie man zu diesem Stück gebracht wird, was zuvor gespielt und gesungen wurde. Das ist auch eine Art von positiver oder negativer Beinflussung, also haben wir doch als Künstler eine große Verantwortung, aber auch Kraft. Und das finde ich das Spannende für die Generation von Heute: Lieder in einen anderen Kontext zu stellen, um sie dadurch anders zu hören. Konzeptalben wie „Forbidden Fruit“, das ich im Sommer veröffentlicht habe, sind dafür ein ideales Medium. Vielleicht ist es auch ein guter Weg, sich als Künstler in dieser inzwischen doch recht umfangreichen Historie der Musikaufnahmen zu positionieren und einen Platz zu finden.

Für das Lied setzen Sie sich nicht nur auf künstlerischer, sondern auch auf kulturpolitischer Ebene ein. Wie ist denn der Stand der Dinge hinsichtlich Ihrer Bemühungen, das Kunstlied als immaterielles Kulturerbe definieren zu lassen?

Appl: Leider ist es im ersten Auswahlverfahren auf Ebene im Land Baden-Württemberg nicht durchgekommen. Sie haben sich für zwei, drei andere Sachen entschieden, unter anderem auch für den Heidelberger Hip-Hop. Der hat den Vorzug bekommen zum deutschen Liedgut. Wir geben trotzdem nicht auf und schauen, wie wir noch zu unserem Ziel kommen.

Wie würden Sie das Kunstlied denn abgrenzen von seinen musikalischen Verwandten? Wobei dann Hip-Hop, um im Bild zu bleiben, ein eher entfernterer Verwandter wäre…

Appl: Ich würde wahrscheinlich die Grenzen von Lied viel weiter abstecken als manche meiner Kollegen. Das ist auch eine große Frage, die wir uns immer wieder neu stellen müssen und bei der sich auch die Musikwissenschaftler schwertun. Es fängt ja schon an mit der Abgrenzung zum Volkslied. Und wenn Kunstlieder nur mit Klavier begleitet werden, was ist dann mit den Orchesterliedern? Ich bin da sehr offen, habe letztens etwa mit dem Lautenisten Thomas Dunford ein Programm erarbeitet, das von Dowland und Schubert über französische Melodien bis hin zu Popsongs reicht, einfach um darzustellen, dass die Intention des Kunstliedes vielleicht gar nicht so weit weg ist von der populären Musik des 20. und 21. Jahrhunderts – und damit letztendlich auch nicht so weit entfernt vom Hip-Hop, wie man im ersten Impuls vermuten würde.

Wo liegen für Sie persönlich als Interpret die Grenzen des Gesangs?

Appl: Ich sehe auf jeden Fall große Herausforderungen darin, Crossover zu machen. Oft ist eine klassisch trainierte Stimme schon sehr weit weg vom populären Gesang. Daher muss ich das von Fall zu Fall genau überlegen. Beim eben erwähnten Programm mit Laute ist auch zum Beispiel Musik von Reinhard Mey vertreten. Dann singe ich das schon entschieden auf meine eigene Art und Weise und versuche dadurch, eine Brücke, eine Annäherung zwischen den beiden Versionen zu schaffen.

Benjamin Appl will die Balance zwischen Liederabenden und Opernengagements wahren
Benjamin Appl will die Balance zwischen Liederabenden und Opernengagements wahren

Ihre Stimme hört man nicht nur im Zusammenklang mit Klavier oder Laute, sondern auch mit Akkordeon, Orgel und Orchester. Müssen Sie sich da als Sänger erst mal „einlesen“ über die Funktionsweise und die Klangphysik der jeweiligen Instrumente oder läuft das alles über die Intuition?

Appl: Da arbeite ich nicht analytisch und wissenschaftlich. Trotzdem muss man sich immer wieder mit physikalischen Dingen auseinandersetzen, teilweise auf ganz pragmatischer Ebene, auf welchem Kammerton etwa die Orchesterinstrumente gestimmt sind. Da macht wirklich jedes Hertz einen Unterschied, inwieweit man versucht, obertönig oder eher frontal zu singen. Trotzdem sind wir Ausführende und nicht Musikwissenschaftler. Wie sich meine Stimme zum Instrument verhält, wieviel Lautstärke, wieviel Vibrato, wieviel Konsonanten ich geben muss, das sind alles Sachen, die ich letztendlich analysieren könnte, aber der erste Schritt ist doch eigentlich eher intuitiv.

Spielen Sie selbst ein Instrument?

Appl: Ich hatte dreizehn Jahre Geige gespielt und dann Bratsche und Klavier, aber momentan gar nicht. Ich hatte während der Coronapandemie angefangen, wieder Geige zu spielen, aber das waren einzelne Ausflüge.

Worüber wir noch gar nicht gesprochen haben, ist die Oper. Auch hier liebt Sie das Publikum, und doch machen Sie sich in diesem Bereich verhältnismäßig rar.

Appl: Die Idee ist eigentlich, eine Oper zu machen im Jahr, was sich natürlich nicht eins zu eins umsetzen lässt. Dieses Jahr bin ich sehr viel im Ausland auf Konzerttourneen und froh, wenn ich hin und wieder auch mal zu Hause sein darf. Aber im nächsten Jahr singe ich dann in den „Perlenfischern“, in Amerika wird „Pelléas“ kommen, in Deutschland wird’s eine „Fledermaus“ geben. Ich finde es inspirierend, mit Regisseuren, Kostümbildnern und Orchestern zu arbeiten, da es mir auch hilft, Impulse für den Liedgesang zu finden, um eine andere Dramatik, eine andere Dramaturgie für einen Liederabend zu finden. Und ich bin fest überzeugt, dass Leute, die viel Lied machen, auch im Gegenzug bereichernd für die Oper sind. Deshalb ist es mir sehr wichtig, beides zu machen und da die richtige Balance zu wahren.

CD-Tipp

Album Cover für Schubert-Lieder mit Orchester

Schubert-Lieder mit Orchester

Benjamin Appl (Bariton), Münchner Rundfunkorchester, Oscar Jockel (Leitung) BR-Klassik

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