Startseite » Interviews » „Wir waren überrascht, was wir alles gefunden haben“

Blickwinkel: Felix Meyer & Simon Obert

„Wir waren überrascht, was wir alles gefunden haben“

Der Direktor der Basler Paul Sacher Stiftung, Dr. Felix Meyer, und Dr. Simon Obert, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kurator, haben die Ausstellung „Zündstoff Beethoven“ im Beethoven-Haus Bonn kuratiert.

vonSusanne Bánhidai,

Wie kam die Zusammenarbeit zwischen Bonn und Basel zustande?

Felix Meyer: Sie geht auf eine Einladung des Beethoven-Hauses zurück, zu den Aktivitäten im Beethoven-Jahr beizutragen, über die wir uns sehr gefreut haben. Unsere Bestände hinsichtlich des Komponisten sind zwar bescheiden, die Musik des Jubilars ist nicht unser „Kerngeschäft“. Aber wir können die Spuren zeigen, die Beethoven in der Musik des 20. Jahrhunderts hinterlassen hat – aus der Sicht von Komponistinnen und Komponisten. Auch wenn wichtige Vertreterinnen und Vertreter der Stiftung und wichtige Komponistinnen und Komponisten zu diesem Thema fehlen, ist eine üppige Sammlung zusammengekommen. 

Die Ausstellung heißt „Zündstoff Beethoven“ und rückt die Rezeption des Komponisten seit dem 20. Jahrhundert in den Vordergrund. Woran entzünden sich denn die Komponistinnen und Komponisten aus dieser Zeit?

Meyer: Zum einen an den musikalischen Werken, die so omnipräsent sind. Die Musikschaffenden wachsen damit auf, es muss eine ständige Konfrontation mit seinem Œuvre stattfinden. Das hat für manche schon etwas Beängstigendes. Man muss sich einen Freiraum schaffen und etwas eigenes dagegen setzen. Natürlich geht es auch darum, wofür dieser Komponist steht. Es gibt eine ästhetische Auseinandersetzung mit den vielen Beethoven-Bildern und Zuschreibungen.

Simon Obert: Wenn man versucht, es auf einen Nenner zu bringen, würde ich sagen: Es ist seine Größe und seine Kanonizität. Beethoven scheint mustergültig für Innovationen in allen Gattungen und wird daher sehr viel im Kompositionsunterricht verwendet. Manche sehen in seinem Werk die „deutsche“ oder „europäische“ Kultur repräsentiert. An der Überhöhung seines Werks und seiner Person, die seine Nachwelt geschaffen hatte, entzündete sich ja bekanntermaßen Mauricio Kagel. In der Ausstellung kann man das aber differenzierter erleben und an mehreren Beispielen sehen, was für Facetten dieses Thema noch hat! 

Richard Strauss, „Metamorphosen“. Studie für 23 Solostreicher (1944-45). Zweite Partiturreinschrift mit Dirigiereintragungen von Paul Sacher, S. 50
Richard Strauss, „Metamorphosen“. Studie für 23 Solostreicher (1944-45). Zweite Partiturreinschrift mit Dirigiereintragungen von Paul Sacher, S. 50

Was gibt es konkret zu sehen?

Meyer: Wir konzentrieren uns in der Ausstellung primär auf die kompositorische Rezeption von Beethovens Musik. Wir dachten zwischendurch auch an eine Abteilung, die sich den Kadenzen widmet, was ja auch quasi-kompositorisch ist. Die Interpretationsgeschichte ist jedoch ein Thema für sich. Wir haben die kompositorische Rezeption in vier Themenkreise gegliedert und chronologisch abgehandelt: Lernen und Lehren mit Beethoven, Idealisierungen, Strategien des Verweisens, Verfremdungen – Demontagen. Sie werfen gleichwohl nur Schlaglichter auf ein riesiges Thema. Denn trotz der Brüche in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts wirkt Beethoven sehr stark nach. Wir waren überrascht, was wir alles gefunden haben. 

Obert: Wir zeigen Musik-Manuskripte, Skizzen oder Reinschriften, zum Beispiel von Richard Strauss’ „Metamorphosen“, in denen er den Trauermarsch der „Eroica“ zitiert. Es sind Analyse-Arbeiten zu sehen, die einen pädagogischen Hintergrund haben: György Kurtág hat für seinen Kompositionsunterricht eine Takt-für-Takt-Analyse von Beethovens 1. Satz aus op. 132 angefertigt. Auch Textmanuskripte sind darunter, wie ein Vortrag über Beethoven von Edgard Varèse, Tagebuch-Eintragungen von Anton Webern oder Bilder aus Mauricio Kagels Film-Produktion „Ludwig van“. Wir haben die Exponate ergänzt durch Hör- und Videostationen mit unveröffentlichten Archivaufnahmen. Die finnische Komponistin Kaija Saariaho beispielsweise ist im Interview zu sehen, wie sie über ihren Beethoven-„Jingle“ spricht. 

Wird die Ausstellung durch ein Rahmenprogramm flankiert ?

Obert: Im Vorfeld ist ein Begleitbuch auf Englisch und Deutsch erschienen. Jedes Exponat ist dort abgebildet und kommentiert, jede Gruppe mit einem Essay vertieft. Das Vernissage-Konzert konnte leider nicht vor Publikum stattfinden, aber das Ensemble MusikFabrik hat es aufgezeichnet. So ist das Konzert bis zum Ende der Ausstellung am 3. Oktober auf der Webseite abrufbar. Zwei Konzerte kommen im August und September noch dazu, ebenfalls mit der MusikFabrik.

Beethoven-Haus Bonn
Beethoven-Haus Bonn

Machte Corona auch Ihnen einen Strich durch die Rechnung?

Meyer: Wir sind sehr glücklich, dass die Ausstellung jetzt überhaupt gezeigt kann. Sie war zum Ausklang des Beethovenjahres geplant, aber wir konnten sie einfach verschieben. Insofern sind wir nochmal davongekommen. Ein ausgefallenes Live-Konzert können wir verschmerzen. Aber wir haben natürlich reagieren müssen. Die Führung durch die Ausstellung gibt es jetzt digitalisiert und es ist klar, dass der Besucherstrom noch nicht so fließt. 

Wie wird es wohl weitergehen mit der Beethoven-Rezeption nach Corona?

Meyer: Zu fast jedem Beethoven-Jubiläum haben Kritiker immer wieder gefordert, man solle Beethoven ein Jahr lang mal gar nicht spielen. Dass so viele Beethoven-Aufführungen im letzten Jahr ausgefallen sind, ist damit fast eine Ironie des Schicksals. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie werden aber auf jeden Fall eine Wirkung auf die gesamte Klassik-Branche haben, und vielleicht wird man Beethoven und seine Musik noch mehr brauchen als vorher.

concerti-Tipp:

Ausstellung „Zündstoff Beethoven“
3. Juni bis 3. Oktober 2021
Beethoven-Haus Bonn
Hier gibt es weitere Infos.

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!