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Interview Patricia Kopatchinskaja

„Ich bin keine Schallplatte“

Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja über ihre musikalischen Wurzeln, Geschichten zur Musik und Geigespielen im Schrank

vonArnt Cobbers,

Sie ist eine Musikerin aus Leidenschaft, die 32-jährige Moldawierin mit österreichischem Pass und Wohnsitz Bern. Eine, die sich etwas traut. Aber Provokation als Selbstzweck ist ihr fremd. Als ich sie in der Lobby eines Kölner Hotels treffe, kommt sie gerade von der Probe. Sie spricht schnell und engagiert. Erst hinterher sagt sie lachend, dass sie eigentlich viel zu müde gewesen sei für ein vernünftiges Interview.

Frau Kopatchinskaja, auf youtube gibt es einen Film, auf dem man Ihren Vater virtuos Zymbal spielen sieht. Ist der wirklich am Tag Ihrer Geburt aufgenommen?

Ja. Meine Mutter sagt, dass es so war. (lacht) Sie war im Krankenhaus und mein Vater musste zur Aufnahme.

Wie kommt es, dass Sie nicht Volksmusikerin geworden sind?

In Moldawien haben alle Volksmusiker eine klassische Ausbildung. Ich habe mich für die klassische Seite entschieden. Und dann haben wir ja auch früh Moldawien verlassen.

Und zur Geige kamen Sie, weil Ihre Mutter Geigenlehrerin war?

Wahrscheinlich. Mein Vater hat sich immer gewünscht, dass seine Töchter später einmal abgesichert sind. Als Geiger kann man eine Stelle in einem Orchester bekommen, mit einem sicheren Gehalt und Krankenversicherung. Eigentlich ist er ziemlich enttäuscht, dass das bei uns beiden nicht der Fall ist. (lacht) Meine ältere Schwester ist Geigerin in Wien, sie macht viel Kammermusik.

Warum ist Ihre Familie, als Sie zwölf waren, nach Wien gegangen?

Es war die Zeit des Umbruchs, man wusste nicht, was passieren würde. Mein Vater hat nicht an eine schnelle Besserung geglaubt. Wären wir da geblieben, würde ich jetzt vielleicht Kartoffeln auf der Straße verkaufen. Und um ein schönes Leben zu haben, hätte ich einen Oligarchen heiraten müssen. Als Musiker vernünftig zu leben, ist in Moldawien auch heute noch nicht möglich.

Sie haben in Wien auch Komposition studiert. Komponieren Sie noch?

Vor kurzem habe ich das Berg-Konzert in Prag gespielt, und danach hatte ich plötzlich wieder wahnsinnige Lust. Ich habe mich hingesetzt und etwas geschrieben. Aber ich habe einfach zu wenig Zeit. Ich spiele um die hundert Konzerte im Jahr. Ich möchte nichts Schlechtes auf die Bühne bringen, nur weil ich einen Namen habe. Das wäre unfair dem Publikum gegenüber. Außerdem: Ich spiele so tolle Musik. Was kann man nach dem Ligeti-Konzert noch schreiben? Das ist schon hart. Aber ich bin sicher, es war immer so.

„Das heutige Desinteresse an neuer Musik ist das Zeichen einer untergehenden Kultur“, schreiben Sie auf Ihrer Internetseite. Sehen Sie unsere Kultur untergehen?

Ich hoffe, es gibt eine Zukunft. Wir müssen die moderne Musik an die breite Öffentlichkeit bringen und sie nicht nur für einen kleinen Kreis von Eingeweihten spielen. Und wir müssen sie emotional und körperlich spielen. Man muss dem Publikum die Angst nehmen.

Und doch spielen auch Sie sehr viel „alte“ Musik.

Nur zeitgenössische Musik zu machen, würde mich eingrenzen. Ich möchte versuchen, alles zu spielen, was es gibt – auch wenn ich weiß, dass ich nicht alles gleich gut kann. Immer wieder dasselbe zu spielen würde mich zu einer Schallplatte machen. Aber ältere Musik ist genauso avantgardistisch wie die Musik von heute. Es geht in der Musik immer wieder um grundlegende Dinge: Liebe und Verzweiflung, Schmerz und Freude. Die Frage ist nur, wie das in der Musik ausgedrückt wird. Wie spielt man es und wie hört man es. Mein Ziel ist, alle Musik für uns heute verständlich zu machen. Das Stück soll im Konzert zum ersten und zum letzten Mal erklingen. Und der Komponist ist dabei. Ich stelle mir vor, dass Beethoven in der ersten Reihe sitzt.

Geht denn das? Das Publikum kennt die Werke doch.

Das ist das Problem. Aber es gibt Leute, die ein offenes Ohr haben und neugierig bleiben. Wenn man immer wieder dasselbe sagt, wird es irgendwann nicht mehr wahrgenommen. Die Musik bekommt einen Tapetencharakter. Es ist wie bei einem Bild: Wenn man es anders beleuchtet oder restauriert oder eine Lupe zur Hand nimmt, dann entdeckt man plötzlich die erstaunlichsten Dinge.

Warum bleiben Sie an den Noten und gehen mit dem Material nicht viel freier um – wie es Theater- und Opernregisseure und auch Jazzmusiker wie selbstverständlich tun?

Das habe ich mich auch oft gefragt. Wir trauen uns nicht. Andererseits: Der Notentext ist eine Abstraktion. Anders als in der Literatur bleiben in der Musik sehr viele Dinge offen. Da gibt es viel mehr Raum, als wir glauben. Man muss die Noten nicht verändern, man kann so vieles mit ihnen machen.

Wie viel darf man machen?

Um das herauszufinden, muss man an die Grenzen gehen – und über sie hinaus. Das geht nicht auf der Probe, sondern nur im Konzert. Da muss man auf diesen magischen Moment warten und hoffen, dass dieser hypnotische Zustand so eine Energie schafft, dass man sich plötzlich frei bewegt wie im All. Man hebt ab. Es ist vielleicht so ein Zustand, in dem sich ein Schamane befindet. Und ich weiß, wenn ich nicht in diesem Zustand war, ist das Konzert nicht gut gelaufen.

Und trotzdem bleiben Sie den Noten treu?

Man ist in einem Rauschzustand und muss zugleich eine gewisse Kontrolle behalten. Das geht. Für mich sind die Noten wie eine Landkarte. Sie schließen nichts ab, sondern eröffnen mir eine ganze Welt.

Entwickeln Sie zu jedem Stück eine Geschichte?

Fast. Ich kann nicht nur abstrakt spielen. Ich erfinde zu jedem Stück eine Geschichte, die aber trivial zu erzählen ist.

Sollte sich das Publikum auch eine Geschichte ausdenken?

Ja. Ich mache das auch, wenn ich als Zuhörer im Konzert sitze. Und oft langweile ich mich, weil ich merke, dass ein Interpret keinen Zugang hat. Er spielt einfach leere Töne, das ist nicht interessant. Schönheit allein ist Kitsch und unecht. Es muss um den Sinn gehen. Man kennt das: Wenn man etwas vorliest und sich auf die Aussprache konzentriert, bekommt man den Inhalt nicht mehr mit. Und das ist es, was vielen Interpreten passiert. Sie konzentrieren sich auf eine schöne Darbietung, sind aber nicht richtig dabei.

Man braucht auch das Hässliche als Balance zum Schönen?

Beides muss da sein. Die Realität ist, dass wir täglich auch mit Dreck zu tun haben. Wir kommen aus der Erde und gehen wieder dahin zurück, das sollten wir nie vergessen. Ich würde nie die hässlichen Seiten eines Stückes verschönern, aber auch nie die schönen Seiten verhässlichen. Wir müssen alles herausholen, was in einem Stück drinsteckt. Auch die Kreutzersonate hat damals ihr Publikum verstört. Und es ist unsere Aufgabe, diese Verstörung aufs Neue zu erzeugen.

Bei zeitgenössischer Musik ist das schwierig, weil die Leute keine Erwartungen haben, die man unterlaufen kann.

Sie haben vielleicht die Erwartung, dass es hässlich und unverständlich wird. Da muss man eben die Dinge verständlich und schön machen, eine innige Atmosphäre schaffen, die einen berührt, fesselt, zum Zuhören zwingt. Weg von der Fassade, von der Oberfläche. Ich wollte mal einem Designer den Auftrag geben, mir einen Schrank zu entwerfen, in dem ich auf die Bühne komme und spiele. Kein Gesicht, kein gar nichts. Hört nur die Musik!

Warum haben Sie auf der Bühne immer einen Notenständer vor sich?

Ich kann nicht auswendig spielen. Ich habe echtes Lampenfieber, und mit den Noten habe ich einen Halt. Ich gucke wirklich die ganze Zeit auf die Noten. Aber es kommt noch etwas hinzu: Wenn man etwas auswendig gelernt hat, betoniert man es in seinem Gedächtnis ein. Aber wenn ich etwas lese, lese ich es immer wieder neu.

Sie haben vermutlich manchmal Probleme mit Dirigenten und Orchestern.

Natürlich, klar. Aber allmählich nehmen sie mich so, wie ich bin. Sie wissen jetzt, wen sie da einladen. Dabei haben auch die CDs geholfen. Ich muss nicht Tausende Konzerte geben, damit man mich kennt. Mit Platten ist man präsent. Leider in einem Regal, leider im Quadrat. Aber man kennt mich.

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