Porträt über das Davos Festival 2018
Füllhorn der Fantasie
Das Davos Festival reflektiert das Fluidum der Bergwelt mit unerhörten Neuerfindungen dessen, was wir bislang schlicht Konzert nannten
© Yannick Andrea

Davos Festival
Hier oben in den Bergen wurde Weltliteratur geschrieben: Durch die Behandlung seiner Gattin Katia im seinerzeit brandneu jugendstiligen Lungensanatorium von Davos wurde Thomas Mann zu seinem Meisterwerk „Der Zauberberg“ angeregt. Wer heute die von der Edelheilanstalt zum Hotel namens „Schatzalp“ umfunktionierte Bleibe besucht, der macht eine Zeitreise, wird in die morbide Atmosphäre des Romans zurückversetzt, begegnet – entsprechende Lektüre und Fantasie vorausgesetzt – leibhaftig jenen Moribunden wieder, denen Thomas Mann in seinem Buch ewiges Leben schenkte.
Für das Davos Festival ist die legendäre Location, an der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, eine echte Steilvorlage. Hier lud es denn auch im letzten Sommer zum Tanz mit dem Salonorchester, zeigte Filme der Goldenen Zwanziger, frönte Fluxus, Dada und Comedy. Da musste eigentlich gar nichts inszeniert werden, da wurde aus vollem Herzen zelebriert. Das Publikum fand sich prompt als Teilnehmer der Show wieder, schwang das Tanzbein, chillte an der Bar. Dies alles höchst passend zum Festivalmotto des Jahrgangs 2017, das da lautete: „Spielplatz.“ Getreu der Erkenntnis Friedrich Schillers „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, fand hier eine Huldigung des Homo Ludens statt, die weit über das hinausgeht, was Musiker tagein tagaus tun: Sie spielen eben.
© Yannick Andrea

Davos Festival
Reto Bieri: Die Inkarnation von Inspiration
Spiritus Rector dieses erfrischend anderen, dieses furiosen Festivals, das den uralten griechischen Idealen eines Festspiels als interaktivem, die Grenzen von Herkunft, Stand und Alter durchlässig machendem Ereignis frischen Wind verleiht, ist Reto Bieri. Selbst ein Klarinettist von Weltrang ist der Schweizer die Inkarnation von Inspiration. Anders als all die Festivalmarktführer, die im Sommer die immer wieder selben Namen der Topstars nach dem Prinzip „Quote gleich Qualität“ präsentieren, ist Bieri beseelt von einer gleichsam kindlichen Neugierde. Immer neu soll ein Festivaljahrgang erdacht sein, keinesfalls so, wie er schon mal war. Einziges bleibendes Leitmotiv ist der Fokus auf den exzellenten künstlerischen Nachwuchs, den er in die höchstgelegene Stadt Europas einlädt, um auf der Spielwiese des Festivals das musikalische Miteinander als Schule des Lebens zu praktizieren.
„Wir produzieren gegen den Markt“
Die – neben Thomas Mann – zweite große Marke von Davos, das Weltwirtschaftsforum, wird da zum willkommenen Kontrapunkt. Dezidiert antiökonomisch geht es bei Reto Bieri zu. „Wir produzieren gegen den Markt.“ Die Spielstätten sind klein, ja intim und oftmals sehr besonders. Die größte ist ein Hotelsaal, in dem das aus wunderbaren jungen Musikern zusammengesetzte Kammerorchester, die Davos Festival Camerata, seine Auftritte hat. Der luftigste Spielort liegt direkt am See, wo Reto Bieri zum Festivalbrunch lädt; der lustigste ist die Schalterhalle des Bahnhofs Davos Platz, wo die Irritationsmomente verblüffter Reisender Teil des Konzepts sind und die Akustik verblüffend famos, nämlich gar nicht nachhallig ist.
Auf die Idee des exklusivsten Konzertsaals der Welt aber kann nur ein vor genialischer Gestaltungslust sprühender Künstler wie Reto Bieri kommen, der von der hohen Warte von Davos aus listig blinzelnd auf all die neuen Tempel der Hochkultur guckt, mögen sie nun in Hamburg oder Paris stehen. „Klotzen kann jeder“, schmunzelt der Klarinettist.
© Yannick Andrea

Davos Festival
Davos Festival hat den exklusivsten Konzertsaal der Welt
Mit seiner Idee eines Superlativs des Minimalismus aber radikalisiert der Intendant das bürgerliche Konzept des Konzerts und erfindet mal eben „den kleinsten Konzertsaal für das exklusivste Konzerterlebnis in der höchstgelegenen Stadt Europas“. Gleich einem dreifachen Eins zu Eins fanden in der von ihm erdachten Spielbox genau ein Musiker mit einem Besucher zu einer Uraufführung zusammen. Dazu haben 35 Komponisten Miniaturen geschrieben, die nun exakt einmal zur Aufführung gelangten. Im Glascontainer der Spielbox standen also Flügel und Konzertsessel – und das 35-fach absolut einmalige Erlebnis von Musik konnte starten. Natürlich mit hundertprozentiger Auslastung – wie in der Elbphilharmonie. Angehörige wie Schaulustige scharten sich um die spezielle Music Box. Und das launige Philosophieren über den wahren Charakter von künstlerischer Wahrnehmung konnte seinen Lauf nehmen.
Das Motto des Davos Festivals 2018: „Heute Ruhetag“
Das Füllhorn der Fantasie, das mit dem Davos Festival jeden August ausgeschüttet wird, reflektiert zudem auf gewitzte Weise die Eigenheiten und das Fluidum der Berge von Graubünden. Da erklingt nicht nur klassisch Ernstes, sondern auch mal folkloristisch Uriges. Und in einem der letzten Jahrgänge wurde eine Spezialität der rhätischen Bahn zum Motto: Es lautete „Halt auf Verlangen.“ Ähnlich verschmitzt lautet die Losung im Sommer 2018 „Heute Ruhetag“ und spricht so die Einladung auf eine Insel der Seligen aus, indem es die Tradition des Kurtortes musikalisch reflektiert. Da werden die Musikerfamilie Schumann in der Höhenklinik, Morton Feldmann im Kirchner Museum und Franz Schubert in der todessehnsüchtigen Welt des Zauberberg-Sanatoriums zu erleben sein. Geigen-Wirbelwind Patricia Kopatchinskaja gastiert diesen Sommer dezidiert nicht als Artist in Residence in der Davoser Bergwelt, sondern genießt einige Ruhetage: Sie berichtet exklusiv über die Ruhe in der Musik, die Ruhe in den Bergen, die Ruhe in ihrem Leben – in offizieller Mission als Artist in Ruhe.
Erhalten Sie einen Einblick in das Davos Festival:
Die Festivaldaten im Überblick:
DAVOS FESTIVAL – young artists in concert
Zeitraum: 4.-18.8.2018
Mit: Patricia Kopatchinskaja, Claire Huangci, Magdalena Hoffmann, Daniel Pérez, Davos Festival Camerata u. a.
Ort: Davos

Davos Festival
Gegründet im Sommer 1986 auf Initiative von Michael Haeflige, bietet das DAVOS FESTIVAL – young artists in concert eine international anerkannte und einzigartige Plattform für besonders talentierte junge Musikerinnen und Musiker, die am Übergang zu vielversprechenden Karrieren stehen. weiter
Termine
Patricia Kopatchinskaja, London Symphony Orchestra, Antonio Pappano
Bartók: Divertimento, Say: Violinkonzert Nr. 1 op. 25, Beethoven: Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92
Patricia Kopatchinskaja, Essener Philharmoniker, Jonathan Stockhammer
Ferdinand, der Stier
Patricia Kopatchinskaja (Violine), Sebastian Küchler-Blessing (Cembalo), Julia Schulenburg (Moderation)
Patricia Kopatchinskaja, Essener Philharmoniker, Jonathan Stockhammer
Patricia Kopatchinskaja, Sol Gabetta
Werke von Ravel, J. S. Bach u. a.
Patricia Kopatchinskaja, Sol Gabetta
Leclair: Tambourin C-Dur, Widmann: 24 Duos (Auszüge), Coll: Rizoma, Scarlatti: Sonate G-Dur K. 305, Ravel: Sonate en quatre parties & A la mémoire de Claude Debussy, J. S. Bach: Präludium G-Dur BWV 860 & Inventionen, Ligeti: Hommage à Hilding Rosenberg, Xenakis: Dhipli Zyia Duo, C. P. E. Bach: Presto c-Moll, Kodály: Duo op. 7
Patricia Kopatchinskaja, Sol Gabetta
Werke von Ravel, J. S Bach u. a.
Sol Gabetta, Patricia Kopatchinskaja
Werke von Ravel, J. S. Bach u. a.
Patricia Kopatchinskaja, Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša (Öffentliche Probe)
Francesconi: Violinkonzert „Corpo Elettrico“ (DEA), Beethoven: Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92
Patricia Kopatchinskaja, Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša
Francesconi: Violinkonzert „Corpo Elettrico“ (DEA), Beethoven: Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92
Rezensionen
Rezension Patricia Kopatchinskaja – Violinsonaten
Mit Risiko
Im Duo hinterfragen Patricia Kopatchinskaja und Fazıl Say entschlossen Violinsonaten von Brahms, Bartók und Janáček. weiter
Rezension Patricia Kopatchinskaja – Schönberg: Pierrot Lunaire
Summen und brummen
Mit Leidenschaft und Hingabe schlüpft Geigerin Patricia Kopatchinskaja bei Arnold Schönbergs Melodram „Pierrot Lunaire“ in eine Doppelrolle. Hinzu kommen Werke von Webern, J. Strauss und Kreisler. weiter