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Blind gehört Sebastian Knauer

„Gott sei Dank, das erkenne ich, das ist Mozart!“

Der Pianist Sebastian Knauer hört und kommentiert CDs seiner Kollegen, ohne daß er erfährt, wer spielt

vonArnt Cobbers,



Der Hamburger Pianist Sebastian Knauer, der mit 13 Jahren in der Laeiszhalle debütierte, spielt in den großen Konzertsälen und mit den großen Orchestern in aller Welt. Er macht viel Kammermusik, seit langem z.B. im Duo mit Daniel Hope, und hat mittlerweile zahlreiche „Wort trifft Musik“-Programme entwickelt, die er gemeinsam mit einem Schauspieler oder einer Schauspielerin gestaltet. Zum Blind gehört treffen uns im Besprechungsraum seiner Plattenfirma. Leider verzerrt die Stereo-Anlage, und so sind Klangdetails nicht gut zu hören. Sebastian Knauer hört zunächst eine Weile zu, stellt dann die Musik aus und kommentiert. 

Horowitz in Hamburg

The Last Concert (1987)

Mozart: Sonate B-Dur KV 333, 1. Satz

Deutsche Grammophon

Gottseidank, das erkenne ich, das ist Mozart. (lacht) Das finde ich vom Anschlag her sehr reizvoll, ich bin ein großer Anschlagsfreak. Klavierspielen heißt für mich vor allem, das Instrument zum Klingen zu bringen. Und das geht nun mal über den Anschlag, über die Farben. Ich finde es hier sehr ansprechend. Man hört deutlich, dass an gewissen Stellen in den Noten Akzente, Sforzati usw. stehen, es ist für meinen Geschmack etwas zu sehr mit dem Zeigefinger gespielt, zu vordergründig. Das gibt es oft bei Mozart, dass Interpreten versuchen, mehr zu machen als nötig. Die Musik ist für sich eigentlich so vollkommen, wenn man sie „natürlich“ interpretiert – was ein weit gefächerter Begriff ist. Aber wenn man sich zu sehr selbst einbringt und mehr aus etwas macht, was doch sowieso da ist, dann wirkt es für mich oft aufgesetzt. Aber: Das Klangliche gefällt mir hier sehr. Entspricht also meinen ganz bestimmten Klangvorstellungen bei Mozart, die leider schon so oft enttäuscht wurden. … Ein Livemitschnitt? Da gibt’s nicht viele in der Qualität. Wer spielt denn schön Mozart? Brendels Klangbild ist anders – der ist es nicht. Es ist auch vom Tempo her sehr angenehm, nicht so rasend schnell. Das spricht dafür, dass es jemand mit viel Erfahrung ist. … Ein Mitschnitt aus der Laeiszhalle? Horowitz? Guck an! Das passt ins Bild. Der ist anschlaglich ein Phänomen. Vielleicht bei Mozart interpretatorisch nicht mein Lieblingspianist, aber klanglich passt das, und sowieso – er war einer der Größten aller Zeiten! Das war dieses Nachmittagskonzert 1987? Da war ich 16, da war ich dabei, na klar!

Mendelssohn: Variations sérieuses op. 54

Jean-Yves Thibaudet 2001

Decca

(sehr rasch) Das gefällt mir überhaupt nicht. … (spult kurz zu einigen Stellen vor) … Mehr muss ich nicht unbedingt hören. Was hier gemacht wird, passiert oft bei diesem Stück: Es wird einfach durchgespielt, durchgeholzt teilweise. Hier werden aberwitzige Tempi gewählt, das ist jemand mit extrem flotten Fingern. Leider sehen viele Leute bei Mendelssohn vor allem den virtuosen Aspekt: Hauptsache schnell, gib alles! Aber das ist genau nicht der Mendelssohn, wie ich ihn sehe. Dieses Stück ist, der Name sagt es doch schon, eine sehr ernste Angelegenheit. Schon das Thema ist hier von vorn bis hinten in so einer gesunden mittleren Lautstärke gespielt, von der Tiefe, die da drinsteckt, ist nichts zu spüren. Auf der anderen Seite fehlt mir im Forte die Leichtigkeit, die immer da sein sollte, es wird schnell grob, es wirkt mir alles zu gehetzt. … Thibaudet? Ach, den schätze ich eigentlich sehr. Er ist großartig bei Ravel oder auch Rachmaninow, aber das hier gefällt mir wirklich nicht. Ich bin ja bekennender Mendelssohn-Fan, er ist für mich einer der ganz, ganz Großen. Aber er wird leider immer noch nicht so ernst genommen wie zum Beispiel Mozart, mit dem er für mich auf Augenhöhe steht. Mendelssohn hatte ja noch so viele andere Qualitäten, als Dirigent, als Konservatoriumsgründer, als Zeichner, als Wiederentdecker Bachs, als Persönlichkeit usw. Seine Musik ist so reichhaltig, und wenn man sie entsprechend spielt, merkt man schnell, dass da mehr ist als nur Virtuosität und ohrwurmartige Themen. Bei ihm ist noch viel zu entdecken. Ich habe mir vorgenommen, auch in den kommenden Jahren viel Mendelssohn zu spielen.

Chopin: Klavierkonzert Nr. 1 

Krystian Zimermann (Klavier)

Los Angeles Philharmonic Orchestra

Carlo Maria Giulini (Leitung) 1979

Deutsche Grammophon

Davon gab es im Chopin-Jahr 2010 zig Neueinspielungen. Es bleibt ein hinreißendes Stück! Das Tempo wird sehr bedächtig angegangen, und das finde ich sehr angenehm. Dieses Stück hat so viel gelitten, es wurde oft so rasend schnell gespielt. Das Klangbild kann man mit dieser Anlage hier nur schwer beurteilen, aber was ich raushöre, spricht mich an. Vom musikalischen Ansatz und von den Farben her gefällt mir das sehr gut, da passiert was. Das ist eher meine Richtung – wobei ich da eine Lieblingsaufnahme habe: Zimerman mit Giulini! Die ist es? Das muss an der Anlage liegen, dass ich die nicht erkannt habe! Für mich braucht man dieses Werk nicht noch mal aufzunehmen. Zimerman selbst hat es ja später auch noch mal eingespielt. Aber diese erste Aufnahme ist für mich das nonplusultra. Zimerman ist überhaupt eines meiner großen Vorbilder.

Haydn: Sonate D-Dur Nr. 37

Fazil Say 2006

Naive

Haydn, mit dem habe ich mich auch viel beschäftigt, und habe von seiner Musik ein sehr spezielles Bild. Das hier gefällt mir nicht. Das ist mir zu vordergründig, es läuft so durch. Das ist etwas zu dick, da fehlen mir die dynamischen Ausschläge, zu viel Pedal. Gerade bei Haydn sind doch so unglaublich viele Nuancen möglich. Ich habe die Klavierkonzerte dieses Jahr mit den Bamberger Symphonikern an vier Abenden gespielt. Und da habe ich wieder gemerkt, wie unglaublich schwer es ist, dass einerseits die Dramatik vorkommt, er ist ja sozusagen der Vorbote zu Beethoven, andererseits aber auch diese Leichtigkeit, dieser Spielwitz. Es passiert Pianisten immer wieder, dass es klanglich zu massiv wird. Es wird dann schwerfällig und sofort vordergründig. Haydn ist wirklich wahnsinnig anspruchsvoll.

Brahms: Sonate Nr. 2 op. 2

Hardy Rittner (an einem Streicher-Flügel von 1851) 2007

MDG

Das ist ein alter Flügel, oder? … Ich erkenne das Stück noch nicht. Das ist Brahms zweite Sonate? Ich habe eigentlich viel Brahms gespielt, aber diese Sonate nicht. Es klingt besonders. Natürlich ist es hochinteressant, so ein Werk auf einem Instrument aus der Zeit zu hören, in der es entstanden ist. Aber ich bin schwer verliebt in den modernen Steinway-Flügel. Ich gehe ja so weit zu sagen, dass auch Bach generell für den modernen Steinway wie geschaffen ist. Bach oder Brahms hätten garantiert einen modernen Flügel genutzt, wenn sie ihn gehabt hätten. Ich bin ein Klangfetischist, ich liebe diese Vielfalt, die man auf einem modernen Flügel hat. Das hier ist sehr gut gespielt, aber es ist aufgrund des Instrumentes nicht so meine Welt. Ich finde es aber gut und wichtig, dass man die ganze Bandbreite im Werk eines Komponisten präsentiert, sprich auch diese Sonate, die nicht unbedingt häufig zu hören ist, auf einem historischen Instrument einzuspielen. Ich habe ja auch Mendelssohn-Stücke aufgenommen, die kaum jemand kennt, auch von Schubert, man darf sich nicht immer nur auf die großen, bekannten Werke beschränken. Aber man sollte diese Werke nicht nur einspielen, um die Presse zu interessieren. Man muss auch dieses unbekannte Repertoire mit voller Leidenschaft im Konzertsaal spielen.

Schnittke: Concerto grosso Nr. 6 für Klavier, Violine und Orchester

Simon Mulligan (Klavier)

Daniel Hope (Violine)

English Symphony Orchestra

William Boughton (Leitung) 1998

Nimbus Records

Ich kenne das Stück. Aber was ist das? Jetzt hab ich’s: Schnittke. Das habe ich selbst mal gespielt vor langer Zeit. Das ist typischer Schnittke. Ich mache gern neue Musik. Ich schätze Schnittke sehr, auch dieses Stück hier hat unglaublich viel Drive, Jazz-Anwandlungen. Auch bei diesem Stück gibt es interpretatorische Unterschiede. Aber um die zu hören, muss man ein Stück gut kennen. Ich arbeite ja viel mit Daniel Hope, der ein großer Schnittke-Verehrer ist. Wir haben die Sonaten zusammen gemacht und auch dieses Concerto. Und da habe ich gemerkt: Erst wenn man sich mit dieser Musik identifiziert und sie extrem interpretiert, dann wirkt sie, dann nimmt das Publikum sie auch an. Es funktioniert nicht, wenn man sie nur so runterspielt. Hier ist es schön energisch gespielt. … Der Geiger hat einen Super-Ton, aber ich bin als Pianist nicht unbedingt der Fachmann, einen Geiger am Ton zu erkennen. Es ist Daniel Hope? Na bitte – Daniel hat halt einen Super-Ton.

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