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Opern-Kritik: Deutsches Nationaltheater Weimar – Tannhäuser

Die Herrin der Sinne

(Weimar, 14.4.2018) Regisseur Maximilian von Mayenburg denkt Götz Friedrichs Wagnerdeutung zeitgemäß weiter

vonRoland H. Dippel,

Venus contra Maria, Sinnlichkeit contra Zivilisation, Natur contra Spiritualität! Von Wagner selbst aufgeheizt, feiert der Minnesänger Heinrich in Richard Wagners hochromantischer Oper „Tannhäuser“, egal ob in deren Dresdner, Pariser oder, wie jetzt am Deutschen Nationaltheater Weimar, in der umfangreichsten Wiener Fassung Exzesse von Eros und Ekstase, Reue und Religion. Franz Liszt wagte am Hoftheater Weimar eine erste Wiederholung nach der Dresdner Uraufführung 1845. Gewissermaßen ist Weimar auch deshalb nach Eisenach, aus dessen Richard-Wagner-Sammlung wertvolle Exponate für die Ausstellung im Foyer des zweiten Rangs stammen, der zweite wichtige Thüringer Ort für diese Oper.

Es geht um „künstliche Paradiese“ (Hans Mayer) wie den Venus- bzw. Hörselberg und die Verbannung des Königs Sexus aus dem kollektiven Gedächtnis seiner ewigen Sklaven. In Weimar kann man die persönlichkeitsstärkste Deutung in der aktuellen mitteldeutschen „Tannhäuser“-Dreifaltigkeit nach Calixto Bieitos unbedenklichem Remake an der Oper Leipzig und der überregional konkurrenzbeständigen Produktion am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz erleben.

Gruppenkuscheln

Im Marschschritt glotzen sie herbei, angeführt vom Jungen Hirt im Outfit der Pop-Ikone Andy Warhol (kräftig: SuJin Bae), die uniformen Gästinnen und Gäste des „Sängerkrieg auf Wartburg“. Zur optimalen Aufmerksamkeit für die Ergründung von „der Liebe wahren Wesen“ tragen diese Nerds Brillen und haben im blütenweißen Halbrund auf Stephan Prattes‘ Bühne nicht Bitcoin übrig für einen Funken sinnlicher Erregung. Im streitintensiven Wortwechsel gegen Tannhäuser kommt es dann doch zum Eklat mit heftigem, aber ödem, mechanischem Fummeln und Knutschen Aller mit Allen. Dem Chor und dessen Leiter Markus Oppeneiger wird also einiges abverlangt an kollektiver Erotik und aufdonnerndem Kraftgesang in den Pilgerchören, den Wendepunkt-Scharnieren in Wagners Partitur.

Szenenbild aus "Tannhäuser"
Tannhäuser/Deutsches Nationaltheater Weimar © Candy Welz

Wenn Tannhäuser offenbart, dass er sich „der Hölle Lust geweiht“, werden er und, das ist neu, fast alle anderen Anwesenden Richtung Heiliges Rom geschoben und kehren danach noch mehr demotiviert zurück. Die letzte Zuflucht ist eine bis zur Brandmauer karge Bühne anstelle des Wartburgtals im melancholisch schönen Herbst. Wenn Wolfram seinen allerliebsten Rivalen um die Gunst der Heiligen Elisabeth, die hier erregend rotes Haar hat, mit ekstatischem Kraftaufwand erwürgt, ist noch lange nicht Schluss. Sondern nur Generationenwechsel: Die Sehnsucht nach Sinnlichkeit überdauert alle Verbote.

„Tannhäuser“: Zeitgemäß pessimistische Parabel

Maximilian von Mayenburg machte vor drei Jahren in Gera den „Rosenkavalier“ zum Todesboten am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Jetzt verdichtet er in „Tannhäuser“ markante Regie-Ideen von Götz Friedrich und Co. zur zeitgemäß pessimistischen Parabel. Denn er zeigt, dass die Zivilisationsnomaden von heute die funktionalisierten lustfernen Spießer von morgen sind, weil sie die körperfeindliche Moral der absoluten Gleichheit verinnerlicht haben.

Dazu taugen nur Revoluzzer-Bilder aus der nichtvirtuellen Welt von Gestern, denn die frische Medienrealität verhindert Menschelndes und erst recht die Sprachen der analogen Leidenschaften. Deshalb müssen die Minnesänger den Konzertflügel, das Attribut der hohen und holden Künste, zerlegen und sich mit dessen abgerissenen Balken bedrohen. Deshalb sind die Sänger und der farbkonforme Landgraf (vorsätzlich glatter Schöngesang von Daeyoung Kim) und sogar Elisabeth eher Statisten in Schwarz-Weiß als Persönlichkeiten auf der Riesentreppe nach oben.

Szenenbild aus "Tannhäuser"
Tannhäuser/Deutsches Nationaltheater Weimar © Candy Welz

Gerade deshalb ist es konsequent, dass Wolfram von Eschenbach am Ende Tannhäuser erwürgt, ihm so die letzte Chance zum beseligten Liebestod nimmt und selbst bei Elisabeth, die der abgedankten Venus als Lust- und Lebensspenderin folgt, um sinnliche Entspannung wimmert. Dafür wächst am Ende der pulsierende Applaus.

Pulsierender Wettbewerb unterm Rock der Liebesgöttin

Anders am Ende des ersten Aktes. „Armes Deutschland“ rief eine Frauenstimme auf das vegetative Getümmel im Venusberg. Dort brechen während der langen Ouvertüre Menschenwesen wie Spermienköpfe aus weißen Riesenblasen und strömen zur Liebesgöttin unter ihren roten Riesenrock mit den vielen aus Stoff gerafften Rosenblüten. Venus freut sich mehr als Mutter denn als Liebende über das Wallen und Wabern unter ihrem Schoß, aus dem Tannhäuser, das einzige schwarze Männerschaf von all den weißen Lebensspendern, herausrobbt.

Seine Abnabelung aus dem Reich der Sinne ist wie eine schmerzhafte Entbindung. So rückt die Weimarer Neuinszenierung den allzu oft auf den peinlichen Partnerkonflikt verkleinerten Bruch zwischen Liebesmutter und Weltflüchtling in die angemessene mythische Dimension.

Luxurierende Staatskapelle Weimar und ein charakterstarkes Solistenensemble

Dieser Ansatz mit Ursula Kudnas schwarzweißen Kostümen für die traurig ausgebremsten Menschenhülsen und die flammend rote Liebesgöttin funktioniert auch, weil am Deutschen Nationaltheater mit sinnlicher Intelligenz musiziert wird und das internationale, charakterstarke Solistenensemble echte Freude am szenischen „Vabanque“ hat. Derart makellose Bläsereinsätze aus dem Nichts wie in den ersten Ouvertüren-Akkorden der Staatskapelle Weimar sind selten. Kirill Karabits greift das in seiner zweiten Wagner-Oper am Haus auf.

Szenenbild aus "Tannhäuser"
Tannhäuser/Deutsches Nationaltheater Weimar © Candy Welz

Er rollt der bronzenen Mittelage von Sayaka Shigeshimas Venus einen sympathetischen Klangteppich aus und genießt es spürbar, dass die Stimmcharaktere der beiden Frauenfiguren über Kreuz liegen. Denn Camila Ribero-Souza, der neue Ensemble-Sopran, ist hier das dramatische Kaliber bis zum vitalen Gebet Elisabeths, die Nachfolgerin der abdankenden Venus wird. An der Spitze des Abends stehen Corby Welch, der für die kräftezehrende Titelrolle ein mit Geduld gereiftes lyrisches und schier unerschöpfliches Grundreservoir mitbringt, und vor allem der Weimarer Bassbariton-„Assoluto“ Uwe Schenker-Primus, der einen souveränen, markanten und dabei immer geschmeidigen, gewinnenden Wolfram setzt.

Gelinde Grenzen des Wohlklangs zeigen sich nur beim Einstieg in die Ensembles am Ende des ersten und zweiten Aufzugs, da bröckelt es etwas an den Säumen der samtenen Grundhaltung. Die Moralmiseren der „Tannhäuser“-Welten gewinnen dadurch noch mehr Schärfe. Das sollte so sein: Tannhäuser rebelliert bis zum Schluss gegen Bigotterie und Doppelmoral. Im Deutschen Nationaltheater Weimar spiegelt sich das passend in der musikdramatischen Erregungskurve, obwohl die luxurierende Staatskapelle Weimar mit lyrisch-sattem Gestus dagegen rebelliert.

Deutsches Nationaltheater Weimar
Wagner: „Tannhäuser“

Kirill Karabits (Leitung), Maximilian von Mayenburg (Regie), Stephan Prattes (Bühne), Ursula Kudrna (Kostüme), Markus Oppeneiger (Choreinstudierung), Corby Welch (Tannhäuser), Uwe Schenker-Primus (Wolfram), Camila Ribero-Souza (Elisabeth), Sayako Shigeshima (Venus), Daeyoung Kim (Landgraf), Andreas Koch (Biterolf), Jörn Eichler/Alexander Günther (Heinrich der Schreiber), Andrii Chakov (Reinmar von Zweter), SuJin Bae (Junger Hirte), Staatskapelle Weimar, Opernchor, Extrachor der Studierenden der Hochschule Franz Liszt Weimar

Weitere Termine: 22.4., 12. & 26.5., 10. & 23.6.2018, 17.2.2019

Hören Sie die Ouvertüre zu Wagners „Tannhäuser“:

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