Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Erotisch, entfesselt, emanzipatorisch

Opern-Kritik: Grand Théâtre de Genève – Così fan tutte

Erotisch, entfesselt, emanzipatorisch

(Genf, 30.4.2017) Mit maximalen Drive inszeniert David Bösch Mozarts Oper „Così fan tutte“ in einer Bar der 50er-Jahre

vonPeter Krause,

In dieser sehr amerikanischen Bar der Nachkriegszeit mixt ein in Erotikfragen deutlich über den Dingen stehender Mr. Alfonso den Signature Cocktail namens Summer Breeze; und die kesse, mit allen Wassern gewaschene Bedienung Miss Despina serviert das Frühstück. Juke Box, Tischfußball und Dart sorgen für Abwechslung und machen so richtig locker, bevor es mit dem Flirten dann so richtig losgehen kann. Das Setting für Mozarts Schule der Liebenden ist so ungewöhnlich wie perfekt stimmig: David Bösch und sein kongenialer Bühnenbildner Falko Herold lassen sie einfach in einem anderen Zeitalter der Aufklärung spielen – den 50er-Jahren, die gar aufregend schwanken zwischen oller sexueller Spießigkeit und neuem emanzipatorischem Aufbruchsgeist.

Elvis‘ „Love me tender“ ergänzt Mozarts musikalische Verführungskunst

Der Weg von diesem Treffpunkt des Anbaggerns zum Vollzugsort des Liebesakts ist denn auch denkbar kurz. Eine Drehbühne macht’s möglich: Denn durch eine Tür der Bar gelangen Fiordiligi und Dorabella geradewegs in ihr schwesterliches Schlafzimmer. Eben dorthin streben nun die verkleideten Verlobten Ferrando und Guglielmo, nachdem sie vorgegeben haben, offiziell als Offiziere abberufen worden zu sein, um die heimgekehrten Veteranen-GIs zu ersetzen, die das „Vita militar“ in der ersten Chorszene gar beschwingt besingen – ein trefflich ironische Pointe. Dem Inszenierungs-Zeitsprung entsprechend treten die beiden jungen Herren nun nicht als schnurbärtige Türken, sondern als cool sonnenbebrillte Rockstars auf, die es gewohnt sind, einfach bei jeder Frau zu landen. Der von Cello und Cembalo angestimmte Elvis-Song „Love me tender“ ergänzt Mozart da ganz vortrefflich, bleibt allerdings der einzige ergänzende Eingriff in die Partitur.

Szenenbild aus "Così fan tutte"
Così fan tutte/Grand Théâtre de Genève © Carole Parodi/Grand Théâtre de Genève

Sind die falschen Paare nicht doch die richtigen?

Die beiden Rocker der Liebe ziehen zwar vor den Mädels eine wunderbar übertriebene Show ab, erhalten aber erstmal eine Abfuhr. Schließlich ist Fiordiligi ein wahrer Fels der Treue. Dorabella gibt sich anfangs ebenso zugeknöpft, ganz abgeneigt ist sie angesichts des tatoogeschmückten Guglielmo aber doch nicht. Bei der Dessous-Auswahl zu Beginn des zweiten Akts werden sich die schönen Schwestern dann schnell einig: Wer nimmt den Blonden? Wer den Brünetten? Das Doppel-Date naht. Und Dorabella und Guglielmo haben da kaum noch Zeit, die servierten Pizzas zu genießen. Ab geht’s nach nebenan. Die schöne unheile Liebeswelt gipfelt alsbald in einer fingierten Doppelhochzeit mit gigantischer, bunter Torten-Falschheit und Liliensträußen in Unschuldsweiß. Als Alfonsos Experiment dann aber aufgedeckt ist, bleibt die Verunsicherung der beiden wiedervereinigten Paare groß. In der Applausordnung wird die Frage weitergedacht, wer denn nun mit wem und wie zusammenbleibt: David Bösch entscheidet, dass sich die „falschen“ Paare gemeinsam verbeugen. Und weiß sich so mit Mozart heimlich einig, der den Partnertausch mit den musikalisch gesehen „richtigen“ Duos aus Fiordiligi und Ferrando (ergo Sopran und Tenor), aus Dorabella und Guglielmo (Mezzo und Bariton) beglaubigt.

Szenenbild aus "Così fan tutte"
Così fan tutte/Grand Théâtre de Genève © Carole Parodi/Grand Théâtre de Genève

Hoch attraktives Sängerensemble, gediegener Mozart aus dem Graben

Ein darstellerisch wie entfesseltes, dazu enorm attraktives Sängerensemble setzt das Konzept mit seinem hohen, dennoch nicht überdrehten Aktionstempo mit viel erotischem Knistern um. So viel szenischer Drive ist selten in einer Così fan tutte zu erleben, die Ruhepole der Wahrhaftigkeit in den Arien (Ferrandos „Un‘ aura amorosa“) lässt Bösch gleichwohl zu ihrem Recht kommen. Zum hohen Tempo auf der Bühne passt das gediegene, indes fein phrasierte und empfindungstiefe Mozart-Bild im Graben freilich wenig. Hartmut Haenchen, zuletzt in Lyon der grandiose Exeget von Wagner und Strauss, wagt bei Mozart keine historisch informierte Knackigkeit, hier und da wackelt es in Zusammenspiel und Feinabstimmung. Die Sänger können durchweg punkten, allenfalls die mit ihrem üppigen, körperlich gerundeten Luxussopran schon überbesetzte, sonst im romantischen Fach glänzende Veronika Dzhioeva ist eine allzu vibratosatte Fiordiligi und Steve Davislim bei aller lyrischen Tenorkeuschheit ein etwas höhenenger Ferrando. Der aufregende Edel- und Eros-Mezzo von Alexandra Kadurina und der mit Bombenhöhe und hellem Timbre aufwartende Kavaliersbariton des Vittorio Prato sind ideale junge Mozartinterpreten. Eine begeisternde Besetzungspointe bietet Monica Bacelli als Despina: Fernab aller Zofen- und Soubretten-Niedlichkeit gibt die Mezzosopranistin eine charakterisierungspräzise reife Frau, die exakt weiß, wie man mit den Männern klarkommt. Laurent Naouri ist der mit perfektem Italienisch deklamierende, wissende Zyniker Don Alfonso.

In der kommenden Spielzeit inszeniert David Bösch erneut Mozart in Genf und nimmt sich der Oper aller Opern an – dem „Don Giovanni“.

Grand Théâtre de Genève
Mozart: Così fan tutte

Hartmut Haenchen (Leitung), David Bösch (Regie), Falko Herold (Bühne), Bettina Walter (Kostüme), Veronika Dzhioeva, Alexandra Kadurina, Steve Davislim, Vittorio Prato, Monica Bacelli, Laurent Naouri

Termine: 30.4. (Premiere), 2., 4., 6., 8., 10., 12. & 14.5.

Auch interessant

Rezensionen

  • Asya Fateyeva steht mit Hingabe für die Vielseitigkeit ihres Instruments ein.
    Interview Asya Fateyeva

    „Es darf hässlich, es darf provokant sein“

    Asya Fateyeva, Porträtkünstlerin beim Schleswig-Holstein Musik Festival, spricht über den Reiz und die Herausforderungen des für die Klassik so ungewöhnlichen Saxofons.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!