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Operetten-Kritik: Oper Köln – Eine Frau von Format

Frivole Führungskraft

(Köln, 11.5.2025) Regisseur Christian von Götz und Dramaturgin Svenja Gottsmann haben die Operette „Eine Frau von Format“ des vergessenen Michael Krasznay-Krausz gründlich diversifiziert und erotisch wie hedonistisch aufgedonnert.

vonRoland H. Dippel,

Diese Spielzeit beschert deutschen Subventionstheatern die üppigste Ausbeute an Operettenfunden seit langem. Die Zeiten, in denen wenige Zugtitel mit Blick auf volle Häuser und Kassen angesetzt wurden, sind vorerst vorbei. Nach Oscar Straus‘ „Das Walzerparadies“ in Annaberg-Buchholz und „Hochzeit in Hollywood“ in Hildesheim schlägt die Oper Köln in ihrer wegen Bauverzögerungen am Offenbachplatz nochmals prolongierten Ersatzspielstätte Staatenhaus mit „Eine Frau von Format“ des vergessenen Paul Abraham-Konkurrenten Michael Krasznay-Krausz auf. Alles Erwartbare ist da in dieser Entdeckung des immer spitzfindigeren Operetten-Archäologen Christian von Götz: Ein Tageserfolg von 1927 aus Berlin mit maßgeschneiderter Titelpartie für die Ikone Fritzi Massary, ein damals namhafter Komponist und vor allem ein von Diversität, Frivolität, pikanten Situationen explodierender Spielstoff, der heute sitzt wie ein exklusives Herrenkleid. Nicht nur wegen der Massary wurde das Spektakel als Wehrübung der Operettenszene gegen die auf dem Vormarsch befindliche Revue betrachtet.

Szenenbild aus „Eine Frau von Format“ an der Oper Köln
Szenenbild aus „Eine Frau von Format“ an der Oper Köln

Diplomatie mit nackter Haut

Von Götz und Dramaturgin Svenja Gottsmann hatten noch gründlicher diversifiziert und noch erotischer und hedonistischer aufgedonnert als die Autoren Rudolph Schanzer und Ernst Welisch. Letztere spielten durchaus bewusst mit „Die lustige Witwe“-Bezügen im slawischen Fantasie-Winzstaat Silistrien. Wer will, entdeckt noch anderes. Wer das aber nicht will, hat entschieden mehr Spaß. Die Hofherren zeigen mit Stolz ihre Stick- und Strickarbeiten. Das männliche Hofballett handhabt Glitter, Boa, künstliche Wimpern perfekt und bezirzt alle. So markiert die Wiederentdeckung von „Die Frau von Format“ den Wendepunkt, an dem Travestie, Drag und Polyamorie vom Exotikum endlich zum Normalfall geraten. Das Bildmaterial im Programmheft würde jedem anspruchsvollen Erotikmagazin zur Ehre gereichen. Schon vor Beginn wird es einem ganz anders, wenn Annette Dasch in ihrer „Handys aus!“-Ansage das Wort „Endgeräte“ mit anzüglichen Konsonanten zelebriert.

Einiges aus der Handlung wirkt bekannt. Da kabbeln sich die Gesandten der Sandwichstaaten Ungarn und Türkei (!) – der fesche Graf Géza von Tököli und die nichts anbrennen lassende Dschilli Bey – um Verträge mit dem kleinen Beef-Staat Silistrien. Claudia Rohrbach spielt etwas zahm und mit Brüchen dessen strenge, aber meist milde und angesichts der Permissivität im eigenen Land leicht bigotten First Lady. Dass diese Stätte des erotischen Freisinns ein politisches Arkadien sein könnte, aber auch Sand im Getriebe hat, zeigt Tobias Hieromini als imposante Baronin Manulesco im Referenztandem mit Kanzler Negrutzky. Dalia Schaechter spielt einen in politischen Dingen überaus wendigen Diplomaten, der im Dunkeln das Geschlecht seiner Gespielinnen, respektive Gespielen nicht unterscheiden kann.

„Unbeschreiblich weiblich“ propagiert der Schriftzug über dem Rondell, dessen Innenleben Dieter Richter dem Publikum vorenthält. Federico Zeno Bassanese scheucht die Kollektive ordentlich auf und herum, das Licht glitzert um die Wette mit Pailletten, engen Trikots und pikanten Kleidungswechseln hinter verheißungsvollen Federfächern.

Szenenbild aus „Eine Frau von Format“ an der Oper Köln
Szenenbild aus „Eine Frau von Format“ an der Oper Köln

Annette Dasch als Führungskraft für exklusive Frivolität

Leider gibt es keine Steigerung zum Wort „frivol“ und damit keinen Ausdruck, wie hier die schönste Nebensache der Welt in allen Spielarten auf‘s Tablett kommt. Männer erzählen aufgeregt über ihre mannmännlichen Abenteuer – und ihre Freundinnen haben nichts einzuwenden. Dieses Diversitäten-Eldorado sucht nach einem geographischen Domizil in der aktuell von ziemlich lieblosen Maximen bestimmten Welt. Antwort klar: „Kölle!“

Ein Glücksfall für die Produktion: Annette Dasch als Dschilli Bey. Ihre Kostümkreationen starten mit schwarzen Strapsen unterm Frack. Eine echt scharfe Balance: Das bleibt immer über der Gürtellinie trotz ganz viel nackter Haut im physischen wie metaphorischen Sinn. Dasch textete sich ein Lied selbst und wird erst recht zur künstlerischen Führungskraft des Abends, weil sie sich nie in den Vordergrund spielt, immer mit einer immensen Ausstrahlung punktet und sichtbaren Spaß an der Interaktion mit ihrem großartigen Kollegium hat.

Szenenbild aus „Eine Frau von Format“ an der Oper Köln
Szenenbild aus „Eine Frau von Format“ an der Oper Köln

Brillante Operetten-Korrektur

Alles Anstößige kehrt von Götz ins Anzügliche oder umgekehrt: Zum Beispiel wird das Herumhetzen als Hauptaufgabe des Tenorbuffos definiert. Der im Textbuch geforderte ungarische Akzent kommt spät, wird erst nach vielen Pointen und zustimmenden Lachern als „kulturrassistisch“ klassifiziert und durch die schönen heimischen Dialekte aus dem Hessischen und Sächsischen ersetzt. Wirklich jede Aktion polstern Götz und das Ensemble zur genrespezifischen Selbstreferenz und Parodie auf. Die beiden Herren Protagonisten machen im Abendkleid noch bessere Figur als mit Fliege und Frack. Richard Glöckner ist als Báron Pista ein Granaten-Leichtgewicht mit Herz, das sich sofort in die Sympathie des Publikums spielte und in der aktuellen Operettenkonjunktur mit Gastierangeboten überschüttet werden müsste. Auch Wolfgang Stefan Schwaiger als Géza ist ideal, weil fern von jedem Kavalier-, Filou- oder Bonvivant-Klischee. Schwaigers charismatisches Vokalpotenzial zwischen Tenor und Bariton passt in dieses Fluidum. Genauso stark agiert Stefan Sevenich als Kölner Nachtclubmogul Zuntz mitsamt Giulia Montanari als seine herzig selbstbewusste Tochter Lya, welche Milieuerfahrungen zur damenhaften Vollendung bringt.

Szenenbild aus „Eine Frau von Format“ an der Oper Köln
Szenenbild aus „Eine Frau von Format“ an der Oper Köln

Adam Benzwis erotische Kabarettmusik

Von der musikalischen Seite kommt ein Leichtigkeitsdruck, auf den die Bühnenaktion kongenial reagiert. Die Musik des 1940 im Alter von nur 43 Jahren und nach einer Reihe von Bühnenerfolgen gestorbenen Komponisten Michael Krasznay-Krausz wirkt pikant wie früher Lehár und Oscar Straus. Daniel Buschs Orchestrierung setzt das famos und fulminant mitspielende Gürzenich-Orchester für nur wenige Tuttistellen ein. Meistens interagieren kleine Streichergruppen und Bläsersoli mit der Bühne. Oft spielt Adam Benzwi allein am Flügel, verbindet Orchester, Chor (feiner Teamplayer unter Rustam Samedov) und den gesamten Cast mit Swing und Brio an einem einzigen Nervenfaden. Operette wird zu erotischem Kabarett, in dem für echte „Frauen von Format“ die Kategorien „brav“ und „böse“ keine Rolle spielen. Erst recht in einer Kostümorgie, für die Sarah Mittenbühler Figuren mit Materialien nicht verkleistert, sondern profiliert.

Oper Köln
Krasznay-Krausz: Eine Frau von Format

Adam Benzwi (Leitung), Christian von Götz (Regie), Dieter Richter (Bühne), Sarah Mittenbühler (Kostüme), Federico Zeno Bassanese (Choreographie), Andreas Grüter (Licht), Rustam Samedov (Chor), Svenja Gottsmann (Dramaturgie), Annette Dasch, Wolfgang Stefan Schwaiger, Claudia Rohrbach, KS Dalia Schaechter, Tobias Hieronimi, Richard Glöckner, Stefan Sevenich, Giulia Montanari, Martin Koch, Chor der Oper Köln, Gürzenich-Orchester Köln

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