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Opern-Kritik: Staatstheater Meiningen – Die Feen

Böse Bilder aus der Romantik

(Meiningen, 15.9.2023) Regisseurin Yona Kim und Bühnenbildner Jan Freese bedienen sich mit einem schon enzyklopädischen Zeichenvorrat aus der Romantik-Schatzkammer, um Richard Wagners Frühwerk gerecht zu werden. Der neue Generalmusikdirektor Killian Farrell lässt sich mit der Meininger Hofkapelle voll auf das Abenteuer eines überbordend komponierenden jungen Gesamtkunstwerkers ein. Die Sängerschar triumphiert.

vonRoland H. Dippel,

Scharen von Mitgliedern der Wagner-Verbände aus Mitteldeutschland, Franken und Nordbayern waren angereist, um jenes Werk, das die Oper Leipzig nach „Wagner 22“ soeben aus dem Repertoire genommen hatte, zu erleben. „Die Feen“ fehlten als einzige Wagner-Oper bisher noch auf dem Spielplan der erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Meininger Musiktheater-Sparte. Wagners erster vollendeter Opernschuss war auch deshalb nach den Entdeckungen der Oper „Santa Chiara“ von Herzog Ernst II. Sachsen-Coburg und Gotha und Bizets „Ivan IV“ ein besonderes Prestige-Schnäppchen für den soeben bis 2031 verlängerten Intendanten Jens Neundorff von Enzberg, eine glanzvoll gemeisterte Feuer- und Wasserprobe für den neuen GMD Killian Farell und eine harte Nuss für Regisseurin Yona Kim.

Mit Ausnahme der Monster-Tenorpartie des Arindal wurden alle Partien aus den eigenen Ensemblereihen besetzt. Eine enorme Leistung ist das für eine Oper, in der sogar die Soubretten- und Zofenpartie Drolla mindestens eine satte lyrische Stimme erfordert wie die von Sara Maria Saalmann, die als Landser-Liebchen in Edeltracht einmal mehr zur ganz wunderbaren Ohren- und Blickfängerin wurde.

Fehlte als einzige Wagner-Oper bisher noch auf dem Spielplan des Meininger Staatstheaters: „Die Feen“
Fehlte als einzige Wagner-Oper bisher noch auf dem Spielplan des Meininger Staatstheaters: „Die Feen“

Raketen-Besetzungen für tückische Hauptpartien

Auch die beiden Primadonnen können sich hören und sehen lassen. Lena Kutzner fräst sich mit ihrem jugendlich glanzvollen wie konditionierten Leuchtraketen-Sopran durch den Part der Fee Ada, der Wagner ein ähnliches Projektionspaket männlicher Erwartungshaltungen an „das Weib“ schnürte wie später bei Kundry. Neu im Ensemble ist Emma McNairy und meisterte sofort die Partie des „soldier girl“ Lora. Mit dieser Partie war Wagner zur Komposition der „Feen“ 1834 bei der Entwicklung des Fachs des hochdramatisch sportiven Konditionskoloratursoprans Verdi und anderen Kompositionskollegen um ein Jahrzehnt voraus.

Beide Frauen nahm Frank Schönwald mit heutigen Kostümen aus Yona Kims Panorama über die Flucht des Vormärz in die poetische Romantik heraus. Damit zeigt sich auch, wo und wie Wagners Ringen um die Projektionsfolien eines „Weibs der Zukunft“ begann. David Danholt kämpft und siegt fulminant als König Arindal, der die Fee Ada liebt und an ihr leidet. Wagners jugendlicher Sadismus forderte vom ersten Tenor noch mehr als Bellini und Meyerbeer. Aber Danholt nimmt sowohl die Austrittsarie wie die strapaziösen Attacken gegen Ende souverän, konditioniert und vor allem angstfrei.

Szenenbild aus „Die Feen” am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Die Feen” am Staatstheater Meiningen

Wagners Romantik ist kein Ponyhof

Yona Kim und der Bühnenbildner Jan Freese, indem dieser zum Beispiel eine Hirschkuh aus Gold ins Zentrum der Bühne setzte, bedienen sich mit einem schon enzyklopädischen Zeichenvorrat aus der Romantik-Schatzkammer. Alle Figuren haben seelische und körperliche Wunden. Schrammen, blau geschlagene Augen und Blutspuren zeugen davon, dass jenseits aller Poesie der Mensch dem Menschen ein Wolf bleibt und auch das Leben um 1830 kein Ponyhof war. Arindal, der Künstler am Klavier, verschlingert sich immer mehr in ihm zu Alpträumen werdenden Sehnsuchtsvisionen.

Am gesündesten agiert noch der Intrigant Harald (Mikko Järviluoto). Die Figur des Gunther wurde zu einem Teil Shin Taniguchi zugeschlagen, der als Loras Geliebter Morald so eindrucksvoll war wie als Fliegender Holländer. Selcuk Hakan Tıraşoğlu ähnelt als Elfenkönig einem ziemlich ramponierten bayerischen Schlösserkönig. Die Feen Tamta Tarielashvili (Farzana) und Deniz Yetim (Zemina), von denen Wagner Protagonistinnenformat auch in der zweiten Reihe einfordert, sind Biedermeier-Wesen und zugleich bipolare Drahtzieherinnen mit exzellenten medizinischen Kenntnissen.

Szenenbild aus „Die Feen” am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Die Feen” am Staatstheater Meiningen

Der Abend bringt Struktur in die Oper, in der Wagner sehr frei Carlo Gozzis dramatisches Märchen „Die Frau als Schlange“ transformierte. Eine solche Fabel- und Bilderfülle gibt es zu seiner Zeit sonst nur noch im postbarocken Wiener Vorstadttheater von Emanuel Schikaneder bis Ferdinand Raimund oder in den Londoner Riesenshows, für die Weber seinen „Oberon“ komponierte. Das schlägt sich in der Musik nieder.

Erfolgreich gegen den Wagner-Tsunami

Kein leichter Job für den neuen Generalmusikdirektor Killian Farrell bei seiner ersten Einstudierung vor Ort. Die Meininger Hofkapelle lässt sich auf das Abenteuer zwischen hybriden Aufschwüngen sowie Wagners andererseits sehr abgehackten Einfallsreihungen ein, indem sie auf einen Teil der zu ihrem Profil gehörenden Weich- und Weihe-Klangkultur verzichtet. Die gut gemeinten Striche erweisen sich an einigen Stellen als unerwartete Extremherausforderung. Durch diese rutschen Wagners Krawall-Exzesse enger zusammen, gewähren also noch weniger Piano-Inseln als das ungekürzte Original. Farrell zeigt, dass ihm das Bühnengeschehen wichtig ist und hilft den drei Hauptpartien bei der Meisterung von Wagners schon sadistischen Herausforderungen.

Szenenbild aus „Die Feen” am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Die Feen” am Staatstheater Meiningen

Am Ende fast ohrenbetäubender Beifall. Satten Anteil am Erfolg haben Chor und Extrachor. Roman David Rothenaicher setzt in seiner Einstudierung der Massen weniger auf Lautstärke als auf bewusste Diktion und musikalische Präsenz. Das Staatstheater Meiningen beginnt die neue Spielzeit also mit deftiger Kost und setzt sie in ein Arrangement auf Gourmet-Niveau. Das wird nicht nur Wagner-Schwärme anlocken.

Staatstheater Meiningen
Wagner: Die Feen

Killian Farrell (Leitung), Yona Kim (Regie), Jan Freese (Bühne), Frank Schönwald (Kostüme), Roman David Rothenaicher (Chor), Julia Terwald (Dramaturgie), Lena Kutzner, David Danholt, Emma McNairy, Shin Taniguchi, Johannes Schwarz, Sara-Maria Saalmann, Tamta Tarielashvili, Deniz Yetim, Selcuk Hakan Tıraşoğlu, Mikko Järviluoto, Raphael Hering, Hans Gebhardt, Chor des Staatstheaters Meiningen, Extrachor des Staatstheaters Meiningen, Meininger Hofkapelle

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