Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Kommando Beethoven

OPERN-KRITIK: THEATER BONN – FIDELIO

Kommando Beethoven

(Bonn, 1.1.2020) Spektakulärer politischer Startschuss für das Beethovenjahr mit Volker Löschs Sicht auf die einzige Oper des Jubilars.

vonRoberto Becker,

Für „Die Entführung aus dem Serail“ steht der Name Mozart. Das aktuelle Jubeljahr seines Geniekollegen Ludwig van Beethoven beginnt nun mit einer metaphorischen Entführung ins Serail. Eigentlich aber in die gut gefüllten Gefängnisse der Türkei von heute: standesgemäß in Bonn und mit der einzigen Oper des Jubilars „Fidelio“. Das zeitverhaftete Libretto von Joseph Sonnleitner und Georg Friedrich Treischke fordert Regisseure schon lange geradezu heraus, Hand anzulegen. Und die von der Parteinahme für die Bedrängten dieser Welt durchdrungene und in ihrem Freiheitspathos lodernde Musik ermutigt dazu, sich nicht nur mit dem gerade noch davon gekommenen Florestan, sondern mit allen zu unrecht Eingekerkerten zu solidarisieren. Ob wie damals in Spanien oder wie heute in der Türkei.

Die sonst fürs Festlich-Feierliche reservierte Befreiungsoper macht einen geographisch-politischen Ausflug an den Bosporus.

Bei dem noch jedesmal mit seinen Bürgerchören überkommene Stoffe aktualisierenden Regisseur Völker Lösch wird die so gern fürs Festlich-Feierliche reservierte Befreiungsoper zu einem geographisch-politischen Ausflug an den Bosporus. „Kommando Beethoven“ steht auf dem großen Bildschirm zu Beginn hinter dem anfangs hochgefahrenen Beethoven Orchester Bonn. Rechts auf der Bühne (Carola Reuther) steht ein Tisch, an dem ein hinzuerfundener Regisseur bzw. Spielleiter (Matthias Kelle) Zeitzeugen um sich versammelt hat. Die wissen alle, wovon sie reden und gleichen ihre Erlebnisse mit den mehr oder weniger dazu passenden Nummern aus der Oper ab.

Szenenbild aus „Fidelio“: Marie Heeschen (Marzelline), Martina Welschenbach (Leonore), Karl-Heinz Lehner (Rocco), Matthias Kelle (Regisseur), Zeitzeugen
Szenenbild aus „Fidelio“: Marie Heeschen (Marzelline), Martina Welschenbach (Leonore), Karl-Heinz Lehner (Rocco), Matthias Kelle (Regisseur), Zeitzeugen

Hakan Akay, Goethe-Medaillen-Preisträger Doğan Akhanlı, Süleyman Demirtaş, Agît Keser und Dîlan Yazıcıoğlu berichten von ihren bedrückenden Erfahrungen in den Gefängnissen der Türkei und vom Schicksal ihrer nächsten Verwandten. Das ist beklemmend. Dass dabei aus der kurdischen Perspektive gleich die Türkei als solche, und nicht nur Erdoğan oder die Militärs, die sich 1980 an die Macht geputscht hatten, infrage gestellt wird, mag der politischen Chancenlosigkeit geschuldet sein, zu der die Sehnsucht der Kurden nach einem eigenen Staat gehört. Aber um differenzierte Geschichtsbetrachtung geht es hier nicht. Lösch erzwingt Hinschauen und Hinhören. Wer in Bonn in die Premiere geht, der weiß, was ihn erwartet.

Postkarten im Foyer: Aufforderung zum Mitmachen

Der Regisseur hat in der ehemaligen Bundeshauptstadt im Schauspiel schon mit „Waffenschweine“, „Nathan der Weise“, „Bonnopoly“ und „House of Horror“ gezeigt, wo seiner Meinung nach der Interpretationshammer hängt. Sein „Kommando Beethoven“ ist auf der Bühne des Opernhauses Bonn diesmal so plakativ, dass am Ende tatsächliche Plakate hochgehalten werden. Mit Forderungen an den Machthaber in der Türkei, alle politischen Gefangenen freizulassen. Und mit dem Aufruf zu konkreten Solidaritätsaktionen an das  Publikum. Postkarten mit den entsprechenden Adressen deutscher Politiker gibt es im Foyer des Theaters gleich vorgedruckt.

Szenenbild aus „Fidelio“
Szenenbild aus „Fidelio“

Videos erzählen von der dunklen Seite der Türkei und dem monarchistischen Gehabe ihres amtierenden Präsidenten

Stilistisch ist der ganze Abend mehr ein zweigeteiltes Projekt. Rechts am Tisch moderiert der „Regisseur“ die authentischen Erlebnisberichte der Zeitzeugen – die für sich stehen und wirken – und die davon abgeleitete Befragung der Figuren im Stück. Die geht oft direkt an die Protagonisten, die damit ebenfalls aus ihren Rollen treten und sie von außen reflektieren. Vor dem Green Screen werden die musikalischen Nummern des Stück jeweils für sich genommen nachgestellt. Eine autonome eigene Erzählung hätte bei der ständigen Rückkopplung zu den ausführlichen gesprochenen Passagen und den überreichlich eingespielten Videos (vornehmlich von der dunklen Seite der Türkei, aber auch vom monarchistischen Gehabe des amtierenden Präsidenten) kaum eine Chance.

Leonore schwebt auch wie ein Weihnachtsengel durch Mauern

Dank Green Screen rennen Marzelline (wunderbar klar und leicht: Marie Heeschen) und ihr Jaquino (Kieran Carrel) in ihrer ersten Szene noch ganz harmlos mit Einkaufstüten bepackt durch ein Kaufhaus. Zu Roccos „Gold-Arie“ (kraftvoll eloquent: Karl-Heinz Lehner) fliegen sie auf einem Euro-Schein durch die Gegend. Auch Leonore hat so eine Gelegenheit. Sie singt nicht nur einen Engel der Verheißung (Martina Welschenbach beherrscht ihre Partie durchweg überzeugend), sondern schwebt auch wie ein Weihnachtsengel durch Mauern. Was man wohl einfach deshalb gemacht hat, weil es nun einmal ging. Ein wenig unfreiwillig komisch wirkt Florestan (Thomas Mohr mit aller heldentenoralen Wagnererfahrung) in der Kiste, dem das Gesicht in den Videoaufnahmen teilweise weggeschminkt wird.

Szenenbild aus „Fidelio“: Kieran Carrel (Jaquino) und Marie Heeschen (Marzelline)
Szenenbild aus „Fidelio“: Kieran Carrel (Jaquino) und Marie Heeschen (Marzelline)

Seine Karikatur dürfte den humorlosen Erdoğan auf die Palme bringen

Dieses Spiel mit der Unsichtbarkeit muss auch der von Marco Medved einstudierte Chor über sich ergehen lassen. Was rein technisch nicht immer so ganz funktioniert und eigentlich verzichtbar wäre. Die Anlage der Interpretation weist natürlich Don Pizarro (mit fulminanter Wucht: Mark Morouse) den Erdoğan-Wiedergänger zu – mit Präsidenten-Karikaturen am Regietisch, die den Karikierten in seiner notorischen Humorlosigkeit auf die Palme bringen dürften. Und einem Auftritt als fliegender und schwertschwingender Sultan vor dem Green Screen. Dass der – am Ende aus der Masse erschossen – am Boden liegt, gehört zu den Klippen einer so direkten Parallelisierung. Bei der durch das Freiheitssignal angekündigten Ankunft des Ministers (Martin Tzonev) zieht sich die Regie so aus der Affäre, dass sie dem Willkürregime auch die Freilassung von realen Gefangenen als Willkür (in dem Falle positive) diagnostiziert. Der politische Teil dieser Inszenierung muss wohl ihren Praxistest erst noch bestehen. Zumal, wenn man an das Verhalten der Türken bei den diversen Abstimmungen in Nordrhein-Westfalen denkt.

Szenenbild aus „Fidelio“
Szenenbild aus „Fidelio“

Und die Musik…

Die Musik hatte es nicht leicht an diesem Abend – auch wenn er mit hochgefahrenem Orchester begann. Aber Dirk Kaftan bewährte sich als ein beherzter, engagierter, aber nicht ins Pathos abgleitender Anwalt Beethovens, um den es ja an diesem Abend – so ganz nebenbei – auch gehen sollte. Das hervorragende Protagonisten-Ensemble wurde einhellig bejubelt. Bei der Regie war das nicht ganz so. Die Stimmung im Premierenpublikum war aber mit den Zeitzeugen.

Theater Bonn
Beethoven: Fidelio

Dirk Kaftan (Leitung), Volker Lösch (Regie), Carola Reuther (Bühne),  Alissa Kolbusch (Kostüme), Karl-Heinz Lehner, Tobias Schabel, Martin Tzonev, Mark Morouse, Thomas Mohr, Martina Welschenbach, Marie Heeschen, Kieran Carrel, Beethoven Orchester Bonn

Auch interessant

Rezensionen

  • Tag 12
    Der Klingende Adventskalender: 12. Dezember 2024

    Tag 12

    Heute können Sie dank unseres Klingenden Adventskalenders wieder einen tollen Preis gewinnen. Können Sie unser Musikrätsel lösen? Probieren Sie es am besten gleich aus!

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!