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Opern-Kritik: Staatstheater Kassel – Aida

Auf hoher See

(Kassel, 31.10.2025) Das Staatstheater Kassel eröffnet seine imponierend gelungene Interimsspielstätte mit Verdis „Aida“ – beim regieführenden Intendanten Florian Lutz als Kreuzfahrt.

vonRoberto Becker,

Mit Lust am Kalauer hätte man im neuen Kassler Opernhaus auch mit der Wagner-Oper anfangen können, in der es in einer Auftrittsarie heißt: „Dich, teure Halle, grüß’ ich wieder“. Wagnertradition hat das Staatstheater Kassel, aber weder das teuer, noch das wieder in Elisabeths Auftaktarie für den zweiten „Tannhäuser“-Aufzug würde wirklich stimmen.

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Ein Interim mit allem notwendigen technischen Pipapo

Das wieder wäre falsch, weil das gerade eingeweihte, neue Kassler Opernhaus zwar treffend Interim heißt und auch „nur“ als Zwischen- und Übergangslösung gedacht ist. Mit einer der gängigen Ausweichzeltvarianten hat diese Lösung aber nichts gemein. Es ist eine Zwischenspielstätten-Variante, die alles in den Schatten stellt, was ein Zelt so bieten könnte. Mit allem notwendigen technischen Pipapo, das man so braucht, um Inszenierungen zu stemmen, die verblüffen, das Publikum in Bann ziehen und auch Debatten provozieren. Vor allem, wenn man so raumbühnenaffin ist wie der regieführende Intendant Florian Lutz und sein Hausszenograf Sebastian Hannak.

Szenenbild aus „Aida“
Szenenbild aus „Aida“

Letzte erforderliche Genehmigung für die Inbetriebnahme ein Tag vor der Premiere

Umsonst war dieser wieder abbaubare und weiterverkaufbare Bau zwar auch nicht. Aber alles in allem bleiben die Kosten für die in weniger als zwei Jahren auf ein altes Kasernengelände gesetzte Interimsoper mit deutlich unter 50 Millionen Euro vergleichsweise im Rahmen. Außerdem hielten Politik und Verwaltung, Architekten, Bauleute und das Theater den eigenen, recht sportlichen Zeitplan so punktgenau ein, dass man denken könnte, Kassel läge in einer chinesischen Provinz. Die letzte erforderliche Genehmigung für die Inbetriebnahme gab es einen Tag vor der Premiere. Aber sie kam. Und auch der letzte Stein für den Zugang ins Haus fand auf der Zielgraden seinen Platz.

Auf großer Kreuzfahrt: der neue GMD Ainārs Rubiķis 

Eröffnet wird mit Verdis „Aida“. Und das sieht fast so aus wie eine Kreuzfahrt auf der Aida gleichen Namens. Mit dieser antikriegerisch bombastischen Ägypten-Oper des großen Italieners geht es auf eine metaphorische Kreuzfahrt. Auf einer Karte sieht man die Route von Kassel übers Mittelmeer bis nach Ägypten nachgezeichnet. An den Wänden der klar erkennbaren Halle hat die vierstöckige Gerüstgalerie für die Zuschauer die Anmutung von Reling-Plätzen. Das Orchester ist im Graben postiert, der in diesem Falle durchaus ein trocken gelegter Pool sein könnte. Das Staatsorchester Kassel hat da unter seinem neuen, aus Lettland stammenden GMD Ainārs Rubiķis Position bezogen und lässt sich von dort aus – meist mit Erfolg – auf das Wagnis ein, die Balance zwischen Kammermusikalischem und dem großen Auftrumpfen im noch ungewohnten Haus zu finden.

Die Zuschauer fahren mit

Im Bühnensegment des Hauses gibt es ein paar Reihen mit Liegestühlen für die Passagiere und Plätze an Tischen wie zum Kapitäns-Dinner. Der Hauptteil der Zuschauer fährt hier quasi in der Touristenklasse auf den Tribünen mit. Die sind auf einer Drehbühne postiert, die tatsächlich auch ein paar Mal rotiert. Was für die Zuschauer dort ebenso Effekt macht, wie für die, die das Spektakel von den „besseren“ Plätzen aus sehen. Beim Dreh der Bühne fährt der Blick über die Projektionswände an den Seiten und dann auf einen luxuriösen Salon in der Rückwand, in dem Aida mit ihrem Vater streitet und Radames zum Verrat verführt. Aida gehört hier zum Zimmerservice – im Zusammenhang mit ihr ist in den Übertiteln auch nie von Sklavin, sondern von Dienerin die Rede. 

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Szenenbild aus „Aida“
Szenenbild aus „Aida“

Eine hochpolitische Parabel auf Europa

Was Florian Lutz aus Verdis klischeeträchtiger Oper macht, ist eine hochpolitische Parabel auf ein Europa, das wie seinerzeit in Federico Fellinis Film „Schiff der Träume“, auf seinen eigenen Untergang zusteuert. Und dabei langen der Regisseur, Sebastian Hannak (Bühne), Mechthild Feuerstein (Kostüme) und Konrad Kästner (Video) kräftig zu. Sie treffen dabei den Nerv der Zeit(en) oft mit metaphorischen Volltreffern, manchmal auch knapp daneben.

Alter Egos aus der aktuellen Politik

Radames (imponierend sicher: Gabriele Mangione) wird zum Selenskyi-Alter-Ego. Amonasro zu dem von Putin, der als Anführer seiner mit Mützen der Sowjetarmee ausgestatteten Truppe bei der Siegesfeier eines visionären Europas eher aufkreuzt als vorgeführt wird. Immerhin steht die mit einem Porsche und im Kampf-Dekolletee anrollende und sich beherzt Radames greifende Amneris (Emanuela Pascu) für sich. Für seinen Amonasro-Putin steuert der in jeder Hinsicht markante Filippo Bettoschi einen obligaten Auftritt als Reiter mit nackter Brust im Video bei. Der Priesterin (Daniela Vega) den Habitus einer militant auftretenden Ursula von der Leyen zu verpassen, sitzt. Pikant ist es, wenn aus dem König (Ian Sidden) nicht nur der Kapitän, sondern auch der deutsche Bundespräsident wird, der gar zum Anführer einer europäischen Streitmacht avanciert.

Szenenbild aus „Aida“
Szenenbild aus „Aida“

Metaphorik mit szenischem Esprit

Eine Show für sich ist der Auftritt von Ramfis (mit komödiantischer Verve: Sebastian Pilgrim) als Donald Trump. Die größte Abweichung vom Original war da lediglich die mal nicht viel zu lang gebundene Krawatte. Bei der Verurteilung von Radames wird in Trumps Kabine die berühmt gewordene Szene zwischen ihm und Selenskyi im Oval Office nachgespielt. Diese Metaphorik hat durchweg szenischen Esprit. Beängstigend gelungen sind die Videovisionen eines Europas, in dem die Parlamente brennen, Schamanen (wie im Kapitol) das Rednerpult okkupieren und Höcke, Orban oder Tillschneider die Gesichter der Anführer liefern. Spätestens da haben die Videos die Qualität einer Robert Harris- Verfilmung von dessen „Vaterland“-Dystopie. Das Ganze kulminiert in einer Spaltung der Reisegesellschaft. Links wird die Enteignung von Milliardären gefordert; rechts die Säuberung des Straßenbildes. Das Ganze endet mit einer Schiffskollision als Synonym für den Untergang. Beim Finale geht der Regie freilich etwas die Puste aus. Radames und Aida verlieren sich im Dunkel.

Gefeiert werden sie am Ende alle, vor allem auch die von Marco Zeiser Celesti und Anne-Louise Bourbion einstudierten Chormassen. Bei den Protagonisten erntet die noch junge Ilaria Alida Quilico für ihre Aida besonders viel verdienten Beifall. Der Regisseur hatte die paar Buhs, die es für ihn gab, wahrscheinlich schon einkalkuliert.

Staatstheater Kassel
Verdi: Aida

Ainārs Rubiķis (Leitung), Florian Lutz (Regie), Sebastian Hannak (Bühne), Mechthild Feuerstein (Kostüme), Jürgen Kolb (Licht), Konrad Kästner (Video), Kornelius Paede (Dramaturgie), Marco Zeiser Celesti (Chor), Illaria Alida Quilico, Emanuela Pascu, Gabriele Mangione, Sebastian Pilgrim, Filippo Bettoschi, lan Sidden, Daniela Vega, Staatsorchester Kassel, Opernchor und Extrachor des Staatstheaters Kassel, Statisterie des Staatstheaters Kassel






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