OPERN-KRITIK: TEATRO ALLA SCALA - TOSCA

Kino ohne Kamera

(Mailand, 7.12.2019) Anna Netrebko triumphiert zur Saisoneröffnung der Scala in der Titelrolle von Puccinis Verismo-Schocker „Tosca“, aber die vernachlässigte Personenregie enttäuscht.

© Brescia/Amisano – Teatro alla Scala

Szenenbild „Tosca“

Szenenbild „Tosca“

Den großen Menschenandrang zur Eröffnung der Stagione am 7. Dezember, dem Tag des Stadtheiligen Sant’Ambrogio, ist man gewohnt. Diesmal aber stauten sich die Massen noch dichter in der Mailänder Innenstadt, in der Einkaufspassage Vittorio Emmanuele konnte man kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen, so dass bis zum berühmtesten italienischen Opernhaus schwer ein Durchkommen war. Sich dann durch die versammelte Prominenz, darunter der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella, und Fernsehteams in der Scala durchzuwühlen, erforderte soviel Geschick, dass man schließlich froh war, wenn man seinen Sitzplatz endlich erreicht hatte.

La Netrebko: goldener Wohllaut, stimmliche Größe

Opernstar Anna Netrebko, die schon bei ihrem Rolledebüt als Tosca im vergangenen Jahr an der New Yorker Met groß gefeiert wurde, hatte sicherlich ihren Anteil an dem großen Rummel. Und um gleich die Frage zu beantworten, wie ihr denn die berühmte Arie „Vissi d’arte“ gelang, auf die alles gebannt wartete: Sie sang sie mit derselben vollblütigen Schönheit wie zuletzt das „Mamma morta“ in „Andrea Chènier“, beglückte mit goldenem Wohllaut und stimmlicher Größe.

Von Vergleichen mit der Callas sollte man allerdings absehen

Was die seelische Durchdringung der Partie, das Ausdrucksspektrum und die szenische Darstellung anlangt, gelangen der Russin allerdings schon überzeugendere Rollenporträts, kamen doch die großen Emotionen ihrer Figur nicht so richtig zu ihrem Recht, nicht die feurige Leidenschaft, nicht die unbegründete Eifersucht und am wenigsten ihr Hass auf ihren Peiniger Scarpia. Von Vergleichen mit Maria Callas, mit der Netrebko mehrfach in einem Atemzug genannt wurde, sollte man jedenfalls bei dieser Partie tunlichst absehen. Schon bei ihren ersten „Mario“-Rufen hinter der Bühne baute die Griechin, deren Auftritten immer eine spontane Unberechenbarkeit nachgesagt wurde, eine ungleich größere Spannung auf. Und welch tiefe Verachtung für den römischen Tyrannen sprach bei ihr aus dem „Quanto – il prezzo“ sowie den Exklamationen „Assassino“ oder „Muori“. Bei Anna Netrebko tönt das alles etwas nebensächlicher wie auch das „Non posso piu“ – „Ich kann nicht mehr“, was bei ihr mehr eine Behautpung bleibt.

© Brescia/Amisano – Teatro alla Scala

Szenenbild „Tosca“

Szenenbild „Tosca“

Kaum Feinschliff in der psychologischen Zeichnung der drei Hauptfiguren

Gewiss ist das auch das Ergebnis einer vernachlässigten Personenregie. Zwar gilt es Davide Livermore hoch anzurechnen, dass er im Gegensatz zu zahlreichen anderen Regisseuren in seiner Inszenierung ohne Eingriffe in das Libretto auskommt, sich also nicht anmaßt, die Handlung neu zu erfinden. Aber an der Psychologie der Figuren hat er mit sämtlichen Protagonisten doch zu wenig gearbeitet. So gewinnt auch der Cavaradossi von Francesco Meli, der sämtlche Duette und seine berühmte Arie „E lucevan le stelle“ mit herrlichem Belcanto meistert, weder als Liebender noch als mutiger Rebell im Schreckensregime und als Gefolterter Kontur. Das ist in seinem Fall besonders schade, denn stimmlich besitzt der Italiener und Muti-Zögling, der erst im Sommer unter Muti im Verdi-Requiem in Salzburg triumphierte und mit Anna Netrebko auf Augenhöhe musiziert, großes Potenzial.

Dieser Scarpia ist ein äußerst kultivierter Fiesling

Am empfindlichsten aber trifft die fehlende Rollengestaltung den Scarpia von Luca Salsi. Der singt seinen Part ebenfalls äußerst kultiviert, wirkt aber doch in seinem Auftreten viel zu harmlos. Den furchteinflößenden Fiesling, vor dem angeblich ganz Rom zitterte, wie Tosca ihn beschreibt, nachdem sie ihn in ihrer Not erdolcht hat, nimmt man ihm nicht ab. Vielmehr erscheint es reiflich unmotiviert, wenn er plötzlich die Diva auf den Boden zwingt und sich auf sie stürzt, als wolle er sie vergewaltigen, nachdem zuvor kein wirkliches Begehren spürbar wurde.

© Brescia/Amisano – Teatro alla Scala

Szenenbild „Tosca“

Szenenbild „Tosca“

Viel zu großer Aufwand mit unnötigen Kulissenwechseln

Livermore und seine Ausstatter setzen ihren Fokus vielmehr auf aufwendige Dekorationen, Kulissenwechsel und symbolkräftige Bilder. Toscas vornehmes blaues Seidenkleid (Kostüme: Gianluca Falaschi) ist im unteren Teil schon blutgetränkt, bevor sie dem Tyrannen den Dolch mehrfach in die Brust rammt. Die im Libretto vorgegebenen römischen Schauplätze, die Kirche St. Andrea‘ della Valle, den Palazzo Farnese und die Engelsburg, hat Giò Forma naturalistisch mit prächtigen, opulenten Dekorationen und Kulissen nachgebaut. Nur betreibt er im ersten Akt viel zu großen Aufwand mit unnötigen Kulissenwechseln bei jedem Auf- und Abtritt. Eine sagenhafte logistische Herausforderung für die Bühnenarbeiter! Da fahren Säulen, Baldachine und Statuen vom Schnürboden auf die Bühne herab und wieder nach oben, kommen Hubpodien zum Einsatz, die einen unterirdischen Keller unterhalb der Kirche als Versteck sichtbar machen, fährt das Gerüst des Malers mal auf der Drehbühne in den Vordergrund und entfernt sich dann wieder vor den Augen der Betrachter.

© Brescia/Amisano – Teatro alla Scala

Szenenbild „Tosca“

Szenenbild „Tosca“

All das würzt das Regieteam noch mit einem Schuss digitale Magie, wenn sich Cavaradossis Zeichnung der Madonna, die Tosca in ihrer Eifersucht so argwöhnisch beäugt, nach und nach wie von allein bunt färbt. Eine riesige goldene Monstranz setzt den eindrucksvollen finalen Blickfang im ersten Akt der Kirchenlandschaft.
Ein bisschen wirkt das alles wie Kino ohne Kamera, und selbst für einen so erfahrenen Dirigenten wie Riccardo Chailly fällt es offenbar gar nicht so leicht, angesichts der komplizierten Szenenfolgen den Überblick zu behalten. Jedenfalls gibt er einmal einen Einsatz vor einem solchen Kulissenwechsel zu früh und muss prompt noch einmal ansetzen. Einen Beinbruch bedeutet das nicht, aber es tut der Produktion gut, dass ab dem zweiten Akt mehr Ruhe auf der Bühne einkehrt.

Stürmischer Beifall für den Musikchef des berühmtesten Opernhauses der Welt

Ansonsten lotet Chailly die Partitur in all ihren Ausprägungen von dramatischer Schwere, Leidenschaftlichkeit und lyrischem Feinsinn mit dem Orchestra del Teatro alla Scala nuanciert aus. Dafür erntete er vor jedem Aktbeginn stürmischen Beifall. So gesehen wunderte es nur etwas, dass er am Ende nicht wie die Sänger einzeln vor den Vorhang trat, als die Mailänder Anna Netrbeko, Francesco Meli und Luca Salsi mit einem Regen von Glitterkonfetti, bunten Papierschnitzeln und Blumensträußen frenetisch feierten. Ihn hatten sich die Sängerstars bei allen Einwänden auch verdient.

Teatro alla Scala
Puccini: Tosca

Riccardo Chailly (Leitung), Davide Livermore (Regie), Giò Forma (Bühne), Gianluca Falaschi (Kostüme), Antonio Castro (Licht), D-WOK (Video), Anna Netrebko, Francesco Meli, Luca Salsi, Carlo Cigni, Alfonso Antoniozzi, Carlo Bosi, Coro und Orchestra del Teatro alla Scala

Termine

Samstag, 23.03.2024 18:00 Uhr Großes Festspielhaus Salzburg

Ponchielli: La Gioconda (Premiere)

Osterfestspiele Salzburg
Mittwoch, 27.03.2024 18:00 Uhr Großes Festspielhaus Salzburg

Ponchielli: La Gioconda

Osterfestspiele Salzburg
Montag, 01.04.2024 18:00 Uhr Großes Festspielhaus Salzburg

Ponchielli: La Gioconda

Osterfestspiele Salzburg
Samstag, 04.05.2024 19:30 Uhr Hessisches Staatstheater

Puccini: Turandot

Internationale Maifestspiele Wiesbaden
Mittwoch, 08.05.2024 19:30 Uhr Hessisches Staatstheater

Puccini: Turandot

Internationale Maifestspiele Wiesbaden

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