Per aspera ad astra – durch das Raue zu den Sternen: Mit den Worten des römischen Philosophen Seneca beschreibt Anna Geniushene ihren Weg in die internationale Klavierwelt. Spätestens seit dem Gewinn der Silbermedaille beim Van-Cliburn-Wettbewerb 2022 im texanischen Fort Worth hinter dem damals erst 18-jährigen Überflieger Yunchan Lim ist die Russin kein Geheimtipp mehr. In Zürich etwa sprang sie für Daniel Barenboim ein. Derzeit wird die 34-Jährige – wie vor ihr schon Lise de la Salle und Lang Lang – im „Bowers Program“ der Kammermusikgesellschaft des New Yorker Lincoln Center gefördert. Im Sommer 2025 debütiert sie unter anderem in der Elbphilharmonie, bei den Klavier-Festspielen Ruhr und den Sommerlichen Musiktagen Hitzacker.
Als Kleinkind war Geniushene von den Improvisationen ihres Großvaters im Wohnzimmer so fasziniert, dass auch sie das Klavier kennenlernen wollte. Dieser hatte sich einst sogar für ein künstlerisches Studium am renommierten Gnessin-Konservatorium beworben, scheiterte jedoch an einem Verwaltungsfehler. Anna Geniushene jedenfalls überredete mit fünf Jahren ihre Mutter zur Anmeldung an der Musikschule in Moskau, zwei Jahre später trat sie erstmals öffentlich in Berlin auf. Eine Karriere als Berufskünstlerin war indes nicht vorgezeichnet.

Durchsetzungsfähig
Die Aufnahmeprüfung am staatlichen Chopin-College bestand sie als Jugendliche mit der niedrigsten Punktzahl – und doch waren Ehrgeiz und der Glaube an sich selbst geweckt. Es folgten diverse erfolgreiche Wettbewerbsteilnahmen in Russland, Litauen und Italien, 2015 schloss sie ihr Studium am prestigeträchtigen Tschaikowsky-Konservatorium ab, drei Jahre später erlangte sie den Master bei Christopher Elton in London. Im selben Jahr empfahl sie sich international mit dem Einzug ins Finale der Leeds-Competition.
„Als Konzertpianisten haben wir unser Leben einem Wunder gewidmet. Auf der Bühne zu stehen und in den Dialog mit der Musik und mir selbst zu treten, hat etwas Spirituelles“, sagt Geniushene. Programmatisch will sich die mittlerweile in Berlin lebende Pianistin nicht festlegen. Auf ihrem Debütalbum vereinte sie mit Sergej Prokofjews achter Klaviersonate und dem ersten Band der „Études-Tableaux“ von Sergej Rachmaninow zwei Schwergewichte des spätromantisch-modernen Repertoires, mit „Berceuse“ unternahm sie wiederum einen neugierig machenden Streifzug durch die sanften Seiten der Literatur, förderte etwa Preziosen von Federico Mompou und Mieczysław Weinberg zutage.
Eine große Liebe gilt ebenso der Kammermusik, zuletzt dokumentiert durch eine gemeinsame Einspielung mit ihrem Ehemann, dem litauischen Pianisten Lukas Geniušas, den sie seit gemeinsamen Studientagen kennt. Aus dieser Zeit rührt auch ein noch nicht realisierter künstlerischer Traum: Einmal Maurice Ravels Trio im Konzert spielen.