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Porträt Huelgas Ensemble

Gelebte Beständigkeit

Vor über fünfzig Jahren gründete Paul Van Nevel das Huelgas Ensemble, das die Alte-Musik-Szene nachhaltig prägte. Noch immer leitet der Belgier das Ensemble.

vonSabine Näher,

Das extreme Streben nach Perfektion, die ständige Suche nach neuem Repertoire. Niemals Routine! Stets den musikwissenschaftlichen Kontext im Hintergrund, aber immer mit persönlichen Interpretationen, die das Herz des Publikums suchen.“ Mit diesen Worten beschreibt Silke Jacobsen, Musikerin, Musikwissenschaftlerin und Mitglied im Huelgas Ensemble, was dieses ihrer Ansicht nach charakterisiert und auszeichnet. Jacobsen studierte Blockflöte an der Hochschule für Musik und Theater Hannover sowie Musikwissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen.

Mit ihrem Ensemble „Flûte Harmonique“ wurde sie 1993 Preisträgerin beim „Concours Musica Antiqua“ in Brügge. Ab 1994 erforschte sie mit einem Post-Doktoranden-Programm des Landes Niedersachsen die Musik vor 1600 und die Möglichkeiten der Umsetzung musikwissenschaftlicher Erkenntnisse in die musikalische Praxis. Und nach Engagements bei diversen Alte-Musik-Ensembles wie der Capella Agostino Steffani oder dem Freiburger Barockorchester fand sie 2008 ihre musikalische Heimat beim Huelgas Ensemble.

Ein Zisterzienserkloster wird zum Namensgeber

Dieses hatte Paul Van Nevel, damals Student an der Schola Cantorum in Basel, 1970 gegründet und nach einem spanischen Zisterzienserkloster benannt. Dort befindet sich eine der bedeutendsten Handschriften mit mehrstimmiger Musik des Mittelalters, der Codex Las Huelgas. Anfänglich beschäftigte sich das Ensemble mit Alter wie Neuer Musik, doch die Chormusik des späten Mittelalters und der Renaissance rückte zunehmend in den Fokus. Mittlerweile zählt das Huelgas Ensemble zu den renommiertesten Interpreten der Musik vor 1600. Der 1946 im belgischen Hasselt geborene Paul Van Nevel ist in einer musikliebenden Familie aufgewachsen, die ihn ermunterte, mehrere Instrumente zu erlernen und möglichst viel zu singen.

Sein Musikstudium begann er am Maastrichter Konservatorium, ehe er an die Schola Cantorum Basiliensis wechselte, die – für diese Zeit noch ungewöhnlich – ihre Studierenden an die Alte Musik und ihre Aufführungspraktiken heranführte. Mit einem Empfehlungsschreiben durfte der 24-jährige Musikwissenschaftler für zwei Wochen im Zisterzienserkloster Santa María la Real de Las Huelgas weilen, um die hier archivierten jahrhundertealten Partituren zu studieren. Daraus erwuchs eine Liebe zur flämischen Polyfonie des 15. und 16. Jahrhunderts, die Van Nevel mit seinem Ensemble ausleben und damit zahlreichen Komponisten dieser Zeit wie Johannes Ciconia, Nicolas Gombert, Cipriano de Rore oder Josquin Desprez eine Renaissance bescheren konnte.

Spontane Inspiration in den Konzerten

„Paul Van Nevel setzt auf eine sehr präzise Vorbereitung, das heißt: Forschung nach Repertoire, das Erstellen unzähliger Transkriptionen, die Verfolgung der neuesten musikwissenschaftlichen Publikationen und die Kreation immer wieder neuer Programme“, beschreibt Silke Jacobsen, die mittlerweile auch die Managerin des Huelgas Ensembles ist, die Arbeitsweise des Dirigenten. „Darauf folgt eine detaillierte Vorbereitung der Proben, und in diesen gibt er sehr effiziente Anleitungen für die Musikerinnen und Musiker. In den Konzerten erleben wir dann eine große ‚spontane‘ Inspiration.“ Diese Arbeitsatmosphäre findet Jacobsen sehr anregend: „Bei Huelgas herrscht in den Proben vor allem eines: totale Konzentration. Nach den Proben und Konzerten gibt es viel Herzlichkeit, Geselligkeit und große Kollegialität.“ Eine musikwissenschaftliche Ausbildung wird nicht vorausgesetzt: „Huelgas braucht auf dem Podium Musiker, keine Wissenschaftler – die brauchen wir im Hintergrund. Aber alle müssen natürlich viel Erfahrung mit der Aufführung von Polyfonie haben.“

Neue Mitglieder zu finden, die diesen Herausforderungen genügen, erfordere relativ viel Aufwand, erklärt Jacobsen. „Huelgas veranstaltet seit vielen Jahren regelmäßig Auditionen, um auf internationaler Ebene neue junge Talente zu finden.“ Dass ihr Ensemble mittlerweile kein Alleinstellungsmerkmal mehr aufweist, sieht sie positiv: „Ja, es gibt viel Nachwuchs und auch Konkurrenz. Aber das ist ein Grund zur Freude: Wir alle verteidigen die Polyfonie!“ Obwohl die Dominanz der Institutionen, die sich auf die Musik der Klassik und Romantik spezialisiert haben, allmählich abnehme, sei die Alte Musik aber noch immer nicht gleichberechtigt: „Die öffentlichen Subventionen sind vor allem in Deutschland immer noch extrem ungleich verteilt. Die breite Welt des Publikums steht durchaus bereit, die finanziellen Mittel noch nicht.“

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