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Buch-Rezension Glenn Gould oder das innere Klavier

Der Anbetungswürdige

In seiner Biografie über Glenn Gould geht es Clément nicht so sehr um das Nachzeichnen von Lebensdaten, sondern um eine Erklärung des Menschen hinter dem Musiker

vonNicole Korzonnek,

2017 wäre Glenn Gould 85 Jahre alt geworden – und sein Todestag jährte sich zum 35. Mal. In Anbetracht dessen ist es erstaunlich, dass der Buchmarkt nicht mit unzähligen Biografien überschwemmt wurde, wie es bei legendären Musikern durchaus üblich ist. Andererseits hätte es das auch gar nicht gebraucht, denn mit „Glenn Gould oder das innere Klavier“ hat der Franzose Jean-Yves Clément, der schon mit seinen Büchern über Chopin und Skrjabin zu brillieren wusste, eine ganz besondere Liebeserklärung in Biografieform herausgebracht, die dank ihrer hohen Emotionalität, zu der sich profundes Musikwissen gesellt, eine ganz besonders zauberhafte Würdigung von Goulds Schaffen ist.

Der Mensch hinter dem Ausnahmekünstler

Statt sich an den blanken Lebensdaten Glenn Goulds entlang zu hangeln, macht Clément den Menschen hinter dem Ausnahmekünstler sichtbar, indem er dessen Sichtweisen auf die Musik nicht nur herausarbeitet, sondern zudem auch noch nachvollziehbar erklärt. Dass sich Gould mit einem Konzert am 10. April 1964 im Alter von nur 31 Jahren aus dem offiziellen Konzertleben zurückzog, sorgte seinerzeit für Aufsehen – und Unverständnis. Dabei war es laut Clément nur eine logische Weiterentwicklung von Goulds Bestreben, die klassische Musik dank des Mediums Radio und der Möglichkeit, Studioaufnahmen zu produzieren, auf ein neues Rezeptionslevel zu heben.

Gould hatte die Absicht, den ausführenden Künstler uneingeschränkt mit dem Status des Schöpfers auszustatten. Und das ging nur in der isolierten Atmosphäre eines Studios – und eben nicht im Konzertsaal. Wobei Glenn Gould nie ein großer Freund öffentlicher Konzerte war, da die Reaktionen des Publikums ihn bei seinem Spiel zu sehr beeinflussten, was ihn dann auch zu folgendem Ausspruch veranlasste: „Ich hasse das Publikum. Nicht den einzelnen Menschen, aber die Masse. Es ist eine böse Macht.“

Liebeserklärung an Glenn Gould

Solche Zitate verwendet Clément als Fixstern, um die Logik in Goulds Schaffensentwicklung aufzuzeigen. Ihm geht es um Gould als Menschen an sich. Also nicht nur um den Pianisten, sondern auch um den Lehrer, den Querkopf, den Hypochonder, den Dirigenten, den Komponisten, den Musikwissenschaftler, den Schriftsteller Glenn Gould, der auf knapp 200 Seiten besser herausgearbeitet wird als in so manch ausführlicher Biografie.

Das ist nicht zuletzt Cléments Verehrung gegenüber Gould zu verdanken, die zwar manches Mal ein wenig zu jubilierend und parteiisch ist, die aber dank der hochemotionalen Argumentationskette dann eben jenen Menschen Gould, für den die Einsamkeit nicht Bestandteil seiner Arbeit, sondern die Voraussetzung für sie war und der statt Geld Konkurrenz als Wurzel allen Übels betrachtete (und dementsprechend erschüttert wäre, hätte er noch miterlebt, dass ausgerechnet ein Klavierwettbewerb nach ihm benannt worden ist), sehr plastisch und vor allem liebevoll zum Vorschein bringt. Damit beweist er, dass Liebeserklärung und Biografie sich nicht ausschließen. Im Gegenteil. In diesem Fall bedingen sie sich sogar.

Glenn Gould oder das innere Klavier
Jean-Yves Clément
181 Seiten
Verlag Freies Geistesleben/Oktaven

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