Wer das eben erschienene, von Alain Claude Sulzer herausgegebene Buch „Haydn!“ aufschlägt, darf nicht erwarten, hier die neuesten wissenschaftliche Erkenntnisse über Werk oder Vita des Komponisten vorzufinden. Der Untertitel „Eine literarische Sinfonie“ deutet es an: Es geht um eine künstlerische Annäherung, und zwar auf literarischen Pfaden. Schriftstellerinnen und Schriftsteller (und der musikalisch wie literarisch bemerkenswerte Künstler Alfred Brendel) haben Texte zusammengetragen, die sich mit Joseph Haydn auf die unterschiedlichste, immer aber sehr persönliche Weise befassen. Darunter sind Stimmen, die freimütig einräumen, mit klassischer Musik gar nichts am Hut zu haben. Sie finden einen anderen Weg, sich dem immer ein wenig im Schatten der nachkommenden Genies Mozart und Beethoven stehenden Komponisten zu nähern, etwa seine ausgiebig gepflegte Korrespondenz.
Der vermutlich verblüffendste Text stammt von Elke Heidenreich. Sie gibt sich zunächst als Liebhaberin seiner Musik zu erkennen, geht mit dem Menschen bzw. Mann Joseph Haydn dann aber gnadenlos ins Gericht, indem sie sein in ihren Augen schäbiges Verhalten seiner offenbar ungeliebten Ehefrau gegenüber darlegt. Wer das gelesen hat, gewinnt zwangsläufig einen anderen Blick auf den allzu gerne harmlos als „Papa Haydn“ Bezeichneten. Der Wertschätzung seiner Musik muss das keinen Abbruch tun.

Haydn! Eine literarische Sinfonie
Alain Claude Sulzer (Hg.)
Die Andere Bibliothek, 324 Seiten
26 Euro