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Bartók: Konzert für Orchester

Sz 116 (UA New York 1944) Ein ruhiger, sanfter Bogen aus gebundenen Quarten und (großen) Sekunden wölbt sich in den tiefen Streichern; über dem letzten, langen Ton entwickelt sich im Pianissimo-Tremolo der hohen Streicher ein dissonantes Klangfeld – ein Cluster; eine flüchtige Flötenfigur löst das Feld auf – oder anders beschrieben: Ein wohltuender kühler Luftzug…

Sz 116 (UA New York 1944)

Ein ruhiger, sanfter Bogen aus gebundenen Quarten und (großen) Sekunden wölbt sich in den tiefen Streichern; über dem letzten, langen Ton entwickelt sich im Pianissimo-Tremolo der hohen Streicher ein dissonantes Klangfeld – ein Cluster; eine flüchtige Flötenfigur löst das Feld auf – oder anders beschrieben: Ein wohltuender kühler Luftzug weht heran und löst ein Frösteln aus, ein Auge blinzelt, eine Hand zuckt …

Das Konzert für Orchester beginnt mit dem mystischen Augenblick im Kriegsjahr 1943, als Serge Koussevitzky, der russische Dirigent des Boston Symphony Orchestra, im New Yorker Doctors Hospital an das Bett des todkranken Béla Bartók tritt und ihm den Auftrag erteilt, ein Requiem für seine verstorbene Frau Natalie Koussevitzky zu schreiben. Bartok fühlt sich zu schwach, aber der Auftraggeber lässt nicht locker und überreicht ihm im Voraus einen Scheck über das halbe Honorar.

Der Tod gewährt Frist, und Bartóks Lebensgeister kehren zurück – erst in der Flöte, dann in den Trompeten und schließlich im ganzen Orchester. Ein wunderbares Requiem entsteht:

Erster Satz Introduktion: leidenschaftlich und zart.

Zweiter Satz Spiel der Paare: heiter und nachdenklich, moderiert von einer „sprechenden“ Trommel.

Dritter Satz Elegie: tiefernst und todtraurig, aus dem mystischen Anfang entwickelt.

Vierter Satz unterbrochenes Zwischenspiel: kindlich spielerisch und bitter ironisch.

Fünfter Satz Finale: perfekt organisiert und zügellos wild.

Das unterbrochene Zwischenspiel beginnt friedlich mit tanzenden Taktwechseln, dann verwandelt sich die Musik in eine böse Operette: der Zweite Weltkrieg. Bartók zitiert (oder ironisiert) hier Schostakowitschs „Leningrader Sinfonie“ (1941), die ihrerseits Lehars „Lustige Witwe“ (1905) zitiert (oder ironisiert) hatte, um die „Idiotie des Krieges auszudrücken“. Ob Lehar mit Danilos Lied „Da geh ich zu Maxim“ in diesem Zusammenhang zitiert (oder ironisiert) werden wollte, ist fraglich …

Nachwirkend und vieldeutig:

–  das einsame Klarinettensolo nach dem lärmenden Blechbläserfugato in der Introduktion,

– die grotesken Klangfarben im clownesken Spiel der Paare – besonders die wie Frösche quakenden Trompeten, während die Harfen die   Wasserringe malen,

– das anrührende, kükenähnliche Piepsen der Piccoloflöte vor dem hiobartig aufheulenden Tutti in der Elegie – alle Kreatur muss leiden …

– die tröstende ungarische Melodie der Bratschen im unterbrochenen Zwischenspiel – man hört Bartoks Schmerz als Emigrant,

– das ordinäre amerikanische Fugatothema im Finale, das schließlich zum Hymnus erhoben wird.

Bartok zeigte lebenslang allem Mittelmaß die Zähne. Mit Bedacht wählte er für sein Requiem den Namen Konzert für Orchester: Die Anforderungen an die Musiker sind hoch, teilweise grenzwertig, aber – alle Orchester lieben das Stück!

(Mathias Husmann)

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