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Das Publikum des Jahres 2017

Die Geschichte der Claqueure

Anlässlich des concerti-Wettbewerbs „Das Publikum des Jahres 2017“ lassen wir amüsante und skandalträchtige Publikumsereignisse noch einmal aufleben – wie zum Beispiel die Geschichte der Claqueure

vonJohann Buddecke,

Künstler brauchen Publikum. Ganz gleich ob Schauspieler oder Musiker – auf dem Weg zum heißersehnten Erfolg führt keine Abkürzung an den Zuschauern vorbei. Kaum verwunderlich also, dass viele Kunstschaffende die Reaktion des Auditoriums gerade an Premierenabenden fürchten. Schließlich sind nicht selten einzelne Auftritte für den weiteren Karriereverlauf eines Künstlers entscheidend oder gar neuartige Regiekonzepte von der Publikumsreaktion in ihrem Fortbestand abhängig. Kurz gesagt, wer oder was das Publikum nicht zu überzeugen weiß – fällt gnadenlos durch. Die Idee eines gewieften Franzosen sollte da Abhilfe schaffen.

Es war ein gewisser Monsieur Sauton der im Jahr 1820 in Paris erstmals den Traum eines jeden Künstlers von einem ihm zu Füßen liegenden Publikum für ein ertragreiches, jedoch nicht ganz aufrichtiges Geschäftsmodell zu nutzen wusste. Seine Idee war es, gegen eine entsprechend üppiges Honorar, eine „Assurance de succès dramatigue“ – eine Art Versicherung zur „Sicherstellung des dramaturgischen Erfolgs“ – anzubieten. Die Umsetzung erfolgte durch manipulative Animation zum Applaudieren, für dessen Bewerkstelligung Sauton ein mehrschichtiges System entwickelte.

Die Geburtsstunde der Claqueure

Um einen Premierenabend oder eine Theateraufführung garantiert zu einem krönenden Erfolg für Mitwirkende, Dramaturgen und Regisseure werden zu lassen, engagierte Sauton mehrere Personen, die am Tag der Veranstaltung verschiedene Aufgaben übernehmen mussten. Während diese „Chavaliers de lustre“ genannten Personen abends im Saal positioniert wurden, stand eine als „Chauffeur“ bezeichnete Person bereits tagsüber vor Ankündigungsplakaten und lobte die bevorstehende Darbietung.

Die daran anschließende Aufgabe übernahmen die „Chatouilleure“, die sich im Foyer positiv über das Abendprogramm äußern sollten. Im Saal selbst wurden wiederum verschiedene Personen positioniert, die, um während der Veranstaltung nicht in den Verdacht zu geraten, aus Gefälligkeit zu applaudieren, nur in bestimmten Situationen zum Einsatz kamen. So sollten die „Rieure“ in witzigen Passagen mit ihrem Gelächter das nichtsahnende Publikum anstecken, die „Pleureure“ an entsprechenden Stellen stark schluchzen und die „Tapageure“ voller Inbrunst applaudieren. Sogar für das Fordern nach Zugaben hatte Sauton sogenannte „Bisseure“ angeheuert.

Klatschende Hände
Klatschende Hände © Evan Amos/Wikimedia Commons

„Erfolgsmodell“ mit Ablaufdatum?

Der Erfolg von Monsieur Sautons windigem Geschäftsmodell sprach sich schnell herum, ebbte jedoch bis Mitte des Folgejahrhunderts wieder etwas ab. Dennoch berichtete man noch bis in die 1930er und 1940er Jahre von den mittlerweile Claqueure genannten und von Heinrich Heine als „Mietenthusiasten“ bezeichneten Personen an der Wiener Staatsoper und an der Metropolitan Opera. Besonders hinterlistig waren gar als „Auspfeifer“ engagierte Personen, die im Konkurrenzkampf zwischen berühmten Operndiven zur Zeit des Karrierezenits von Maria Callas zum Einsatz kamen.

Doch nicht nur Musiker, auch zahlreiche Komponisten waren erfreut über Sautons Applausgarantie. So sind von Franz Liszt horrende Geldsummen überliefert, die der Komponist für einen erfolgreichen Abend zu investieren bereit war. Hector Berlioz kommentierte ironisch: „Das Publikum hat keine Ahnung von gutem Applaus. Die Claqueure sind wahre Fachleute geworden!“ Ob und wieweit das Prinzip auch heute noch zum Einsatz kommt bleibt, wahrscheinlich aus gutem Grund im Dunkeln – was den nächsten Premierenbesuch jedoch zur Detektivarbeit werden lässt.

Stimmen Sie hier für „Das Publikum des Jahres 2017“ ab. Folgen Sie unserem Wettbewerb auch auf Facebook und Twitter – suchen Sie einfach nach dem Hashtag #publikumdesjahres. Die Suche nach dem Publikum des Jahres wird begleitet von unseren Partnern Niehoffs Vaihinger Fruchtsäfte, Thalia Buchhandlungen und GeloRevoice®.

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