Startseite » Das Publikum des Jahres » „Manchmal habe ich Angst, dass in zehn Jahren kaum einer mehr klatscht“

Das Publikum des Jahres 2019: Jurymitglied Christiane Karg

„Manchmal habe ich Angst, dass in zehn Jahren kaum einer mehr klatscht“

Die Jury zum Publikum des Jahres 2019 ist prominent besetzt. Den Vorsitz in diesem Jahr übernimmt die Sopranistin Christiane Karg.

vonSusanne Bánhidai,

Was zeichnet für Sie ein besonders gutes Publikum aus?

Christiane Karg: Ein leises, aufmerksames Publikum, das wirklich dabei ist. Wir sehen auf der Bühne in einigen Konzerten jeden Blick auf die Uhr, jedes Gähnen. Man merkt genau, wenn das Publikum konzentriert mit einem durch den Abend geht. Wer da genau sitzt, spielt für mich keine Rolle.

Ist es richtig von „dem“ Publikum zu sprechen oder gibt es Unterschiede?

Karg: Es gibt jedes Mal eine andere Mischung. Dass in einer Matinee oder in den Schulferien weniger jüngere Menschen sitzen als werktags am Abend, ist die Realität. Ich habe als Sängerin auch das Glück, verschiedene „Publikumsarten“ zu erleben. Opernliebhaber unterscheiden sich natürlich sehr von den Konzertgängern, die sich für einen Liederabend entschieden haben.

Inwiefern ist der Erfolg eines Konzerts oder einer Opernvorstellung vom Publikum abhängig?

Karg: Das Publikum muss Lust haben, ins Konzert zu gehen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Die meisten wissen natürlich schon, worauf sie sich einlassen. Es gibt aber immer solche, die ins Konzert oder in die Oper „müssen“ – und ich meine gar nicht mal so sehr Kinder und Jugendliche, die mit der Schule dort sind. Die können sehr aufmerksam sein! Ich denke da an manches Premierenpublikum oder an die eine oder andere Gala mit geladenen Gästen.

Welches Erlebnis mit einem bestimmten Publikum ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Karg: Mit dem Publikum eines Liederabends mache ich die schönsten Erfahrungen. Man singt nicht wie bei einer Opernvorstellung in einen schwarzen Raum hinein, sondern hat die Gesichter direkt vor sich. Da erlebe ich es oft, dass sich ein Paar im Publikum die Hand reicht. Oder einer lehnt den Kopf an die Schulter des Partners. Das sind Momente, in denen ich mich am richtigen Ort fühle und weiß, warum ich diesen Beruf ausübe.

Ärgern Sie sich auch manchmal über das Publikum?

Karg: Ich ärgere mich, wenn das Handy zum fünften Mal klingelt. Aber noch schlimmer ist das Filmen. Man kommt sich dann vor wie im Zoo. Vor jedem Konzert wird angesagt, dass das Fotografieren und Filmen im Saal verboten ist. Wenn das bisweilen sehr dreist ignoriert wird, ist man als Künstlerin manchmal drauf und dran, die Darbietung zu unterbrechen und persönlich darum zu bitten, damit aufzuhören! Das Filmen nervt mich mehr als jedes Papiergeraschel. Manchmal habe ich Angst, dass in zehn Jahren kaum einer mehr klatscht, weil jeder nur den Schlussapplaus aufnehmen möchte.

Worauf wollen Sie als Jurymitglied bei der Bewertung eines Publikums achten?

Karg: Es ist mir wichtig, dass es ein offenes Publikum ist, auch gegenüber unpopulären Programmen. Fast noch wichtiger ist mir aber die Freude. Gerade in Opernvorstellungen ist es toll, wenn viel gelacht wird oder überhaupt Emotionen gezeigt werden.

Was müsste ein Publikum tun, damit Sie bestechlich in ihrer Entscheidung werden?

Karg: (lacht) Nichts. Was mich besonders beeindrucken würde, wäre Treue. Man merkt das bei manchen Opernhäusern, dass sich das Publikum aus Menschen zusammensetzt, die „ihrem“ Haus
eng verbunden sind.

Wenn Sie selbst im Publikum sitzen, genießen Sie dann als Teil des Publikums den Abend oder fühlen Sie sich heimlich als „Externer“?

Karg: Wenn ich ein Konzert oder eine Opernvorstellung aus Eigeninteresse besuche, verhalte ich mich wie eine ganz normale Zuhörerin. Wenn ich in einer Vorstellung sitze, wo ich viele Beteiligte der Produktion kenne, fühle ich mich jedoch als Teil des Ganzen und reagiere auch anders auf das Bühnengeschehen. Genießen kann ich beides.

Termine

Auch interessant

Rezensionen

  • Asya Fateyeva steht mit Hingabe für die Vielseitigkeit ihres Instruments ein.
    Interview Asya Fateyeva

    „Es darf hässlich, es darf provokant sein“

    Asya Fateyeva, Porträtkünstlerin beim Schleswig-Holstein Musik Festival, spricht über den Reiz und die Herausforderungen des für die Klassik so ungewöhnlichen Saxofons.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!