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Blind gehört Xavier de Maistre

„Ich habe es lieber weniger wolkig“

Der Harfenist Xavier de Maistre hört und kommentiert CDs seiner Kollegen, ohne dass er erfährt, wer spielt

vonThomas Jakobi,

Mit neun Jahren hat er sich in seine Musiklehrerin verliebt, sagt er, und weil die auch Harfe unterrichtete, hat er eben angefangen, Harfe zu spielen. Ein überaus glücklicher Zufall, denn er führte den 1973 im südfranzösischen Toulon geborenen Xavier de Maistre zu einer beispiel-losen Karriere mit diesem Instrument: Ihm gebührt wohl das Verdienst, die Harfe endgültig als Soloinstrument etabliert zu haben. Ganz neu erfunden hat er dieses Vorhaben zwar nicht, aber kaum jemand hat es so konsequent verfolgt wie er. Dafür hat er 2010 sogar seine Solistenstelle bei den Wiener Philharmonikern aufgegeben – dabei wäre dieser Job für die allermeisten Berufsmusiker wohl das Ziel aller Träume. De Maistre aber wollte sich ganz auf seine glanzvolle Solokarriere und seine nicht weniger erfolgreiche Hochschulklasse an der Hamburger Musikhochschule konzentrieren; und bei beidem hat er sich nicht mit dem schmalen Original-Repertoire für die solistisch eingesetzte Harfe zufrieden gegeben, sondern es immer wieder durch eigene Arrangements bereichert. Auch in unserem „Blind gehört“ kommen Arrangements vor, die nicht original für Harfe komponiert sind, und de Maistre hat da auch meistens eine klare Meinung, was geht und was nicht. Als erstes aber bekam er ein Original-Harfenstück zu Gehör.

Debussy: Danses sacrée et profane

für Harfe und Streicher

Sandrine Chatron (Harfe)

Quatuor Elia

2004 Ambroisie

Das ist die Danse Sacrée von Debussy, natürlich eines der bekanntesten Solostücke für Harfe. Es ist virtuos gespielt, sehr gut, aber ich finde, da ist eine sehr große Diskrepanz zwischen dem Streicher-Ensemble und der Harfe. Die Harfe ist sehr vordergründig, passt im Klang nicht zum Ensemble – sowohl wie sie aufgenommen ist, als auch vom Charakter her, das ist ganz anders gespielt. Diese Danse

Sacrée wirkt viel spannender, wenn sich der Streicherklang und die Harfe besser mischen; hier wirkt es, als wären das zwei verschiedene Ansätze, das Stück zu interpretieren. Die Streicher-Einleitung ist zum Beispiel extrem schlicht, vielleicht sogar ein bisschen flach, und das Ensemble ist auch zu indirekt aufgenommen, finde ich. Aber sobald die Harfe dazukommt, ist es sehr präsent, sehr üppig, sehr voll. Gegen diesen vollen Klang habe ich eigentlich nichts, aber bei dem Stück ist es vielleicht etwas zu romantisch gedacht – die sehr breit gespielten Arpeggien, die Debussy gar nicht so geschrieben hat, unterbrechen etwas die Linie. Da fehlt mir die klare Struktur, die bei Debussy immer wichtig ist. Und gerade bei diesem ersten Tanz, dem heiligen Tanz, hätte man etwas mehr differenzieren können, so dass es manchmal auch feiner, vielleicht ätherischer klingt, nicht immer so robust – damit hätte man auch besser den Gegensatz herausgearbeitet zum zweiten, dem „profanen“ Tanz. Das ist Sandrine Chatron? Ich kenne sie, wir haben gleichzeitig studiert. Sie hat eine sehr gute Technik, wie gesagt, das stimmt alles, dagegen ist nichts einzuwenden – aber ich hätte bei diesem Stück einen etwas anderen Interpretationsansatz gewählt.

Albeniz: Asturias

(arr.: Marielle Nordmann)

Marielle Normann (Harfe)

2001 Lyrinx

Der Anfang hat mir gut gefallen, da versucht die Harfe, sich der Klangfarbe der Gitarre anzunähern, für die das Stück ja im Original geschrieben ist; das ist sehr deutlich, sehr klar artikuliert. Was ich schade finde: Wenn es lauter wird und diese Akkorde sich steigern, wird es auch immer langsamer und schwerfälliger. Das ist natürlich auf der Harfe sehr schwierig zu realisieren mit diesen weiten Akkordsprüngen, aber es darf nicht so statisch werden, da erkennt man keine Linie mehr. Was die lyrische Passage in der Mitte angeht: das ist sauber gespielt, technisch gut, man hört wenig Störgeräusche. Aber ich glaube, dass man mit der Harfe mehr singen, dieses cantabile viel stärker herausbringen kann. Da fehlt mir einfach das Gespür für die Stimmung dieses Stücks… Marielle Nordmann? (Mit vielsagendem Blick) Ja, dann wundert mich das nicht…

Rodrigo: Konzertserenade

Catherine Michel (Harfe)

Orchestre National de l’Opéra de Monte-Carlo

Antonio de Almeide (Leitung)

1974/1994 Penta Tone classics

(Nach einigen Takten) Schön phrasiert, ja, sehr gut. Ich glaube ich weiß auch, wer das ist – Catherine Michel? Ja, ganz klar. Das Stück ist wirklich ungeheuer schwer, es wurde für den berühmten spanischen Virtuosen Nicanor Zabaleta geschrieben, der dann aber eine leichtere Fassung für sich daraus gemacht und einfach ein paar Noten weggelassen hat. Catherine spielt aber die Originalfassung, sie spielt wirklich alles, und zwar im richtigen Tempo – allein das ist schon eine Wahnsinns-Leistung! Ich glaube, das ist die Aufnahme mit dem Monte-Carlo-Orchester, wenn ich mich richtig erinnere… Catherine ist wirklich eine fantastische Harfenistin, und sie hat neben all ihren anderen Verdiensten auch noch viel neues Repertoire erforscht. Sie hat mich sehr inspiriert, ich hatte auch selbst Unterricht bei ihr, und das hat mir wirklich viel bedeutet. Sie hat eine absolut perfekte Technik, sie kann extrem virtuose Läufe spielen, aber eben nicht nur das: Sie kann auch singen auf der Harfe, schön phrasieren, einfach alles. An der Aufnahmetechnik merkt man vielleicht, dass heute die Möglichkeiten besser sind: die Harfe klingt hier sehr direkt, fast brutal, das könnte man heute etwas „schmeichlerischer“ machen im Klang, ohne dass die Deutlichkeit leidet. Aber ich finde es immer noch sehr schön, auch nach über 30 Jahren!

Bach: Goldberg-Variationen BWV 988

(arr. Sylvain Blassel)

Sylvain Blassel (Harfe)

2007 Lontano

(Nach einigen Takten) Das ist Sylvain Blassel? Für uns Harfenisten ist das eine sehr spannende Aufnahme, weil es das erste Mal ist, dass sich einer von uns an die Goldberg-Variationen gewagt hat. Da hat Sylvain wirklich ungeheure Arbeit geleistet, er hat die Klavierfassung fast „wörtlich“ übertragen. Es ist auf einer Alt-Harfe vom Beginn des 20. Jahrhunderts gespielt, die hat einen sehr weichen, trotzdem deutlichen Klang. Beim Thema kann man die Linienführung gut erkennen, er spielt auch die Melodiebögen schön aus. Da passt es sehr gut; aber eben nur beim Thema – danach ist es schwierig, die kontrapunktischen Strukturen zu erkennen. Wenn es in der originalen Klavierfassung in der linken Hand schneller und komplexer wird, ist es in der Übertragung auf die Harfe sozusagen „gegen das Instrument“ geschrieben – da kann man technisch gar nichts machen, man kann zwar versuchen, jeden Ton abzudämpfen, aber trotzdem tut man sich schwer mit der Harfe, da wird vieles einfach zu undeutlich und verschwommen. Also, ich finde es faszinierend und auch sehr gut gemacht, jahrelange Arbeit – Hut ab, das Beste, was man auf der Harfe daraus machen kann. Aber ich würde einfach grundsätzlich die Entscheidung treffen, das gar nicht zu spielen. Ich meine, da muss man sich eben auch bei Bach die richtigen Stücke aussuchen und bedenken, was wirklich funktioniert auf der Harfe, was klanglich in eine sinnvolle Richtung geht.

La Fontaine de la VIlla Medici

aus Bozza: Deux Impressions

Cynthia Mowery (Harfe)

Monika Svoboda (Flöte)

1995 Shamrock Records

Das Stück kenne ich nicht, und Flöte und Harfe ist auch eine Kombination, die ich nicht so mag… Das ist von Eugène Bozza? Fontaine de la Villa Medici, ja, das leuchtet ein, da hört man, dass das etwas mit Wasser zu tun hat. Es ist typisch für die Harfe geschrieben, lauter Arpeggien und Glissandi. Der Klang wirkt für mich ein bisschen überakustisch, mit sehr viel Hall, manchmal verschwindet da alles in einer Klangwolke. Natürlich ist es gut gespielt, schön gleichmäßig, mit guter Technik, aber ich würde mir da manches etwas differenzierter, etwas deutlicher wünschen. Da das Stück in Richtung Impressionismus geht, passt das schon irgendwie, aber ich habe es eben lieber etwas weniger wolkig!

Album Cover für
Notte Veneziana
Werke von Vivaldi, Pescetti, u.a.
Xavier de Maistre (Harfe), l’arte del mondo, Werner Ehrhardt (Leitung)
Sony Classical

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