Interview Yuja Wang

„Die Kultur ist längst globalisiert“

Die Pianistin Yuja Wang über Schubladen, Chopin und eine fremde Heimat

Wohl keine andere Musikerin hat in den letzten Jahren einen solch kometenhaften Aufstieg erlebt wie die chinesische Pianistin Yuja Wang, die im Februar 2012 erst 25 Jahre alt wird. Doch bislang ist sie auf dem Teppich geblieben, im Gespräch zeigt sie sich sehr unkompliziert und fröhlich.

Yuja, es gibt das Klischee, chinesische Musiker seien sehr virtuos, aber man merke eben doch, sie kämen aus einer anderen Kultur.

Ich mag dieses Schubladendenken nicht. Es gibt so viele chinesische Talente, und alle sind wir völlig unterschiedlich. Aber wir werden immer in einen Topf geworfen. Über mich heißt es oft: Das ist Lang Lang in einem Kleid. Wir sind beide Chinesen und hatten dieselben Lehrer – in Peking und am Curtis Institute –, aber wir sind ganz unterschiedlich.

Verbinden Sie die Musik von Liszt, Chopin, Prokofjew mit Europa?

Nein, ich bin mit westlicher Musik aufgewachsen. Das erste Werk, das ich gehört habe, war Schwanensee auf einer Probe meiner Mutter, sie ist Ballett-Tänzerin. Mein Vater spielt Percussion, klassisch, Jazz, und früher hat er in einer Pop-Band gespielt. Ich habe so gut wie nie chinesische Musik gehört, ich mag sie nicht. Gerade war ich zwei Wochen in China, da werde ich gefeiert wie ein Popstar, wenn ich ein Konzert gebe. Eltern bringen ihre Kinder mit ins Konzert, während hier fast nur alte Leute im Saal sitzen. Die Menschen in China sind sehr interessiert an klassischer Musik. Als ich jetzt da war, habe ich in den Clubs nachts viele Amerikaner getroffen, die fließend Chinesisch sprechen. Die Kultur ist inzwischen so globalisiert.

Wenn Sie ein Werk erarbeiten, wie wichtig ist Ihnen das kulturelle Umfeld des Stückes und des Komponisten?

Mein ganzes Leben hat sich nur um Musik gedreht. Als ich jung war und von meinem Lehrer angeleitet wurde, habe ich mich wenig um solche Fragen gekümmert, ich habe einfach gespielt, was man mir gesagt hat. Heute ist alles globalisiert. Wie nehmen wir Kultur zu uns? Wir gehen ins Konzert, gucken youtube und lesen. Das ist überall auf der Welt gleich, da gibt es keinen Unterschied.

Musik ist für Sie nicht gebunden an bestimmte Orte? Paris und Chopin, Schubert und Wien…

Salzburg und Mozart, doch, schon. Paris ist so schön. Ich war zum ersten Mal in Paris, als ich sieben war, und habe seitdem unglaublich viel im Fernsehen über Paris und aus Paris gesehen, das habe ich alles irgendwo im Kopf, und von den Komponisten habe ich auch eine Vorstellung – die vielleicht mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Ich habe ihre Briefe gelesen, aber Biografien lese ich nicht. Nur die Originalquellen. (lacht) Ich gehe von der Musik aus, von den Noten. Die Persönlichkeiten waren zum Teil ganz anders als ihre Musik. Mir kommt es manchmal vor, als wenn die Musik nichts mit ihrer Person zu tun hätte. Aber wenn ich zwischendurch genug habe von der Musik, lese ich was über sie. (lacht) Es gibt eben verschiedene Ansätze.

Was ist Ihre Beziehung zu China heute?

Ich bin mit 14 weggezogen und war erst vor zwei Jahren zum ersten Mal wieder da. Ich spiele einige Konzerte in China, nicht viele. Es fühlt sich nicht an, als würde ich nach Hause kommen, sondern als würde ich ein anderes Land besuchen. China wandelt sich so schnell. Mein Zuhause ist New York.

Sie sind ja schon sehr früh in den Westen gekommen.

Es gab einen Kulturaustausch mit Australien, und ich habe einige Wettbewerbe in Deutschland, Spanien und Frankreich gespielt. Aber das war nicht oft, ungefähr zweimal im Jahr. Jetzt ist es so, dass ich zweimal im Jahr zu Hause bin. (lacht) Ich mochte es sehr, zu reisen – jetzt nicht mehr.

Wie sind Sie überhaupt zum Klavier gekommen?

Meine Mutter spielt Klavier, wir hatten eines zu Hause, und so habe ich mit sechs angefangen zu spielen. Notenlesen hatte sie mir schon vorher beigebracht. Mit sieben kam ich auf die Musikschule, mit neun aufs Konservatorium. Aber das war kein großer Unterschied, ich hatte denselben Lehrer, bis ich 14 war.

Warum sind Sie dann in die USA gezogen?

Ich habe in drei Sommern eine Sommerschule in Kanada besucht, dann sollte ich, mit 14, ein Jahr bleiben, Englisch lernen, etwas von der Kultur mitbekommen. Aber dann habe ich ein Vorspiel am Curtis Institute gewonnen und bin mit 15 nach Philadelphia gegangen. Meine Eltern wollten nachkommen, aber das war 2002, kurz nach „nine-eleven“, da bekamen sie kein Visum. Und so begann ich, allein zu leben.

Das war hart, oder?

Für sie mehr als für mich. Ich fand es klasse ohne Eltern. Offiziell musste ich natürlich in einer Gastfamilie wohnen, aber ich hatte meine eigene Wohnung, wo ich üben konnte – das war großartig. Mit 21 habe ich meinen Abschluss gemacht – und seitdem wohne ich in New York.

Sie spielen mit Orchester vor allem Virtuosenwerke – weil Ihnen das am meisten Spaß macht?

Ich bin jung, ich habe viel russische Musik gelernt am Curtis Institute, und die Orchester spielen das gern. Prokofjew 3 ist purer Rock ‘n‘ Roll – das macht einfach Spaß. Aber eigentlich interessiert mich mehr, was die Leute von mir noch nicht kennen: Berg, Ligeti – alles andere haben die Leute oft genug gehört. Aber meine Karriere ist noch nicht so weit, dass ich das selbst in der Hand hätte. Was ich heute spiele, ist vor drei Jahren festgelegt worden. In der Zukunft habe ich mehr Einflussmöglichkeiten.

In drei Jahren spielen Sie Berg und Ligeti?

Wenn ich kann, ja! Aber nicht viele Dirigenten wollen Ligeti machen.

Und wie sieht es aus mit den alten Meistern, Bach, Mozart, Beethoven, Schubert?

Ich spiele Schubert und Beethoven, und es gibt vieles, was ich privat, aber nicht im Konzert spiele.

Und Chopin ist Ihr Lieblingskomponist?

Ja. Ich liebe ihn. Ich denke fast, ich kenne ihn. Ich habe als erstes Mozart gespielt und dann Chopin. Ich halte ihn für ein Genie, alles, was er geschrieben hat, ist großartig. Was ich an ihm mag, kann ich gar nicht genau sagen. Irgendetwas macht Klick, das passt einfach – wie bei Brahms auch.

Wie schaffen Sie es, hundert Konzerte im Jahr zu geben?

Das habe ich mir nicht ausgesucht, und es ist auch viel zu viel. Ich liebe es, Klavier zu spielen, aber das Reisen ist furchtbar ermüdend. Nächstes Jahr will ich auf 50, 60 Konzert runtergehen. Aber es ist komisch: Ich freue mich total auf nächste Woche, da habe ich ein paar Tage frei in New York. Ich gehe ins Spa, gehe im Central Park spazieren, gehe in einen Jazz-Club. Aber ich weiß genau: Nach ein paar Tagen denke ich, ich muss wieder los, es wird langweilig. Und das ist ja auch gut, dann freue ich mich wieder auf die nächsten Konzerte. Ich muss es schaffen, dass es besser ausbalanciert ist. Im Moment kommen immer noch neue tolle Dinge.

Ist das das Leben, von dem Sie geträumt haben?

Nein, ich wollte immer nur Klavier spielen, nicht diesen ganzen Stress haben.

Ist Musik Ihr Leben?

Das war so. Jetzt ist sie ein Teil meines Lebens. Ich fühle, ich muss noch andere Dinge tun – um mein Musikleben aufzufrischen, um mich inspirieren zu lassen, sonst trocknet man aus.

Sind Sie froh darüber, dass Ihre Eltern Sie zur Musik gebracht haben?

Das habe ich selbst gemacht. Sie mussten mir nie sagen: Übe! Vor allem bin ich meiner Lehrerin in China sehr dankbar. Aber generell bin ich sehr glücklich, wie alles gelaufen ist. Ich weiß, ich klage viel über das Reisen, aber generell ist es schon schön. Ich könnte gar nicht mehr lange an einem Ort bleiben.

CD-Tipp

Termine

Mittwoch, 19.06.2024 20:00 Uhr Philharmonie Berlin

Yuja Wang

Werke von Beethoven, D. Scarlatti & Schostakowitsch

Samstag, 22.06.2024 20:15 Uhr Waldbühne Berlin

Yuja Wang, Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko

Mussorgski/Rimski-Korsakow: Johannisnacht auf dem Kahlen Berge, Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 1 Des-Dur op. 10, Ravel: Pavane pour infante défunte, Suite Nr. 2 aus „Daphnis et Chloé“ & Boléro

Rezensionen

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