Opern-Kritik: Festspielhaus Baden-Baden – Die Frau ohne Schatten
Frauenbilder
(Baden-Baden, 1.4.2023) Das Festspielhaus Baden-Baden tritt zu seinen Osterfestspielen mit „Die Frau ohne Schatten“ an, bei der Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker für den musikalischen Glanz sorgen und sich Lydia Steier an diesem Opernmärchen der besonderen Art versucht.
© Martin Sigmund

Gelungener Auftakt: „Die Frau ohne Schatten“ bei den Osterfestspielen Baden-Baden
Unter dem machen sie es in Baden-Baden als Rückkehr in die Festspielnormalität nicht: Wenn in Salzburg zeitgleich Romeo Castelluccis Münchner „Tannhäuser“ wieder zum Leben erweckt wird und das Gewandhausorchester über den Abgang der Sächsischen Staatskapelle Dresden hinwegtröstet, kommen die Berliner Philharmoniker und ihr Chef Kirill Petrenko mit nichts Geringerem als der „Frau ohne Schatten“, dem wohl gewaltigsten Strauss-Hoffmannsthal-Werk, in einer Neuinszenierung von Lydia Steier heraus.
Das Fernduell zwischen Salzburg und Baden-Baden
Ein die Konkurrenz herausforderndes Selbstbewusstsein gehört seit der Dekade unter Andreas Mölich-Zebhauser in die Gene des zum Zweieinhalbtausend-Plätzehaus hinterm Bahnhofseingang etablierten Festspielhauses. Besonders zu Ostern. Der seit der Problemsaison 2019/20 amtierende Intendant Benedikt Stampa kann bei seinem Nachpandemie-Restart noch auf den Glanz der Berliner Philharmoniker und ihres opernerfahrenen und -affinen Chefs Kirill Petrenko setzen, die wie ein Besuchermagnet wirken. Ein Effekt, der ab 2026 nur durch die Kreativität einer cleveren Einladungspolitik beibehalten werden kann, denn da werden die Berliner zu Ostern wieder nach Salzburg wechseln.
© Martin Sigmund

Szenenbild aus „Die Frau ohne Schatten“ bei den Osterfestspielen Baden-Baden
Was bleibt, ist der Charme, den Baden-Baden auch nach dem Ende einer traditionell russischen Dominanz hat und die Attraktivität, den ein Auftritt an der Oss für die Stars der Branche nach wie vor bietet. Ob und wie die kulturellen oder andere „Übermächte“ hier wirken und Spuren in der inhaltlichen Ausrichtung und qualitativen Ausstattung hinterlassen werden, wird man sehen.
Kulissenwände werden wie von Geisterhand bewegt
In diesem Jahr waren die sprichwörtlichen Übermächte erst mal nur auf der Bühne im Spiel. Beschworen von der düster geisterhaften Amme. Und rein technisch in Gestalt der riesigen Kulissenwände, die wie von Geisterhand reibungslos effektvoll bewegt wurden. So wandelte sich Paul Zollers Bühne vom Klosterschlafsaal in eine pink-entstellte Babypuppen-Manufaktur, die Barak hier offenbar betreibt und die von diversen Paaren vielleicht als Probelauf für eigenen Nachwuchs frequentiert werden? Dass Baraks Frau hier am Tresen steht und die Nachwuchsfixierung der Kundschaft der kinderlosen Frau gleichsam dauernd vor Augen geführt wird, befeuert immer wieder deren Frust und Unzufriedenheit.
© Martin Sigmund

Szenenbild aus „Die Frau ohne Schatten“ bei den Osterfestspielen Baden-Baden
Wenn diese Wohlstandspaare später im Kloster bei den „gefallenen“ Mädchen auftauchen, geht es nicht mehr um Puppen, sondern um lebendige Babies. In diesem Schlafsaal war eins der Mädchen zu Beginn mit den machtvollen Donnerschlägen im Graben in einem Alptraum erwacht, in dem eine barocke Heiligenfigur als Geisterbote durchs Zimmer stapft. Später gleiten dann ganze Tableaux vivants aus barocken Heiligenfiguren durchs Bild. Das Mädchen ist traumatisiert und erlebt alles wie in Trance. Offensichtlich hat sie eine Schwangerschaft und den Verlust des Kindes erlitten, das ihr entweder von den herrischen Nonnen (eine davon ist die Amme) weggenommen wurde oder verstorben ist.
Frauenfragen und Showeffekte
Das Kaiserpaar sind bei Steier zwei glamouröse Revuestars samt dazugehöriger Treppe. Steier versucht nicht, eine stringente Geschichte zu erzählen, aber sie beleuchtet die zentrale Frage, ob eine Frau erst dann wirklich eine Frau ist, wenn sie (in einer christlich genehmigten Ehe versteht sich) zur Mutter wird, aus einer weiblichen Perspektive, die nicht auf einem selbstbewussten Entschluss beruht. Sie fügt damit den vielen offenen Fragen im Stück den Plot als Ganzes hinzu. Bei all dem, was man sich zum Thema denken kann, gibt es – wie bei Steier nicht anders zu erwarten – jede Menge Showeffekte für den sofortigen Gebrauch.
© Martin Sigmund

Szenenbild aus „Die Frau ohne Schatten“ bei den Osterfestspielen Baden-Baden
Bei der „Frau ohne Schatten“ entfachen die Berliner Philharmoniker einen suggestiven Klangzauber
Es bleibt bei der ziemlich verstiegenen, ins Märchenhafte verschobenen Kultgeschichte um ausbleibende Mutterschaft. Aber sie ist dank Strauss ausgestattet mit hemmungslos auftrumpfender Klangopulenz und vokalem Hochleistungssport für die Protagonisten. Das „Rosenkavalier“-Erfolgsduo Strauss-Hofmannsthal hatte sich eine Art neue „Zauberflöte“ vorgenommen, rausgekommen ist allerdings mehr eine Wundertuba. Diesen suggestiven Klangzauber (für eingefleischte Richard Strauss-Fans) entfesseln Petrenko und seine Musiker. Mit aller Zartheit in den nur von Streichersoli bestrittenen kammermusikalischen Verschnaufpausen ebenso wie im sich auftürmenden Chaos der Massenszenen. Das besondere Kunststück dabei: kein Sänger ging unter, alle wurden getragen und konnten sich entfalten. Das erstklassige Protagonistenensemble wurde von Elza van den Heever mit dem Aufblühen ihrer strahlend sinnlichen Stimme als Kaiserin gekrönt.
© Martin Sigmund

Szenenbild aus „Die Frau ohne Schatten“ bei den Osterfestspielen Baden-Baden
Clay Hilley versuchte da robust mitzuhalten, was ihm aber noch nicht mit durchgängiger Geschmeidigkeit gelang. Wolfgang Koch ist ein so bewährter wie solider Barak, als seine Frau überraschte Miina-Liisa Värelä mit ihrer intensiven Gestaltung der personifizierten Unzufriedenheit. Michaela Schuster steuerte eine darstellerisch und stimmlich überwältigende Amme bei, der man das Paktieren mit den Übermächten ohne weiteres abnahm. Jubel für einen grandiosen Festspielauftakt!
Festspielhaus Baden-Baden
Strauss: Die Frau ohne Schatten
Kirill Petrenko (Leitung), Lydia Steier (Regie), Paul Zoller (Bühne), Katharina Schlipf (Kostüme), Elana Siberski (Licht), Mark Schachtsiek (Dramaturgie), Tabatha McFadyen (Choreographie), Momme Hinrichs (Video), Clay Hilley, Elza van den Heever, Michaela Schuster, Wolfgang Koch, Miina-Liisa Värelä, Vivien Hartert, Peter Hoare, Nathan Berg, Johannes Weisser, Bogdan Baciu, Evan LeRoy Johnson, Agnieszka Adamczak, Kseniia Nikolaieva, Dorottya Lang, Serafina Starke, Gerrit Illenberger, Thomas Mole, Theodore Platt, Shannon Keegan, Flore Van Meerssche, Susanne Kahl, Emmanuelle Rizzo, Philip Eichhorn, Chor des Nationalen Musikforums Breslau, Cantus Juvenum Karlsruhe, Berliner Philharmoniker
Termine
Alexandre Kantorow, Berliner Philharmoniker, Tugan Sokhiev
Liszt: Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur, Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 4 c-Moll op. 43
Alexandre Kantorow, Berliner Philharmoniker, Tugan Sokhiev
Liszt: Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur, Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 4 c-Moll op. 43
Evgeny Kissin, Berliner Philharmoniker, Fabio Luisi
Martines: Sinfonia C-Dur, Mozart: Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur KV 488, Schmidt: Sinfonie Nr. 2 Es-Dur
Evgeny Kissin, Berliner Philharmoniker, Fabio Luisi
Martines: Sinfonia C-Dur, Mozart: Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur KV 488, Schmidt: Sinfonie Nr. 2 Es-Dur
Mahler: Sinfonie Nr. 8 Es-Dur
Rachel Willis-Sørensen, Johanni van Oostrum & Jasmin Delfs (Sopran), Jennifer Johnston & Okka von der Damerau (Alt), Benjamin Bruns (Tenor), Christoph Pohl (Bariton), Georg Zeppenfeld (Bass), Tölzer Knabenchor, Staatschor Latvija, Bayerischer Staatsopernchor, Bayerisches Staatsorchester, Kirill Petrenko (Leitung)
Evgeny Kissin, Berliner Philharmoniker, Fabio Luisi
Martines: Sinfonia C-Dur, Mozart: Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur KV 488, Schmidt: Sinfonie Nr. 2 Es-Dur
Mahler: Sinfonie Nr. 8 Es-Dur
Rachel Willis-Sørensen, Johanni van Oostrum & Jasmin Delfs (Sopran), Jennifer Johnston & Okka von der Damerau (Alt), Benjamin Bruns (Tenor), Christoph Pohl (Bariton), Georg Zeppenfeld (Bass), Tölzer Knabenchor, Staatschor Latvija, Bayerischer Staatsopernchor, Bayerisches Staatsorchester, Kirill Petrenko (Leitung)
Mahler: Sinfonie Nr. 8 Es-Dur
Rachel Willis-Sørensen, Johanni van Oostrum & Jasmin Delfs (Sopran), Jennifer Johnston & Okka von der Damerau (Alt), Benjamin Bruns (Tenor), Christoph Pohl (Bariton), Georg Zeppenfeld (Bass), Tölzer Knabenchor, Staatschor Latvija, Bayerischer Staatsopernchor, Bayerisches Staatsorchester, Kirill Petrenko (Leitung)
Berliner Philharmoniker, Zubin Mehta
Blacher: Fanfare zur Eröffnung der Philharmonie, Djordjević: Neues Werk (UA), Mahler Sinfonie Nr. 5
Berliner Philharmoniker, Zubin Mehta
Blacher: Fanfare zur Eröffnung der Philharmonie, Djordjević: Neues Werk (UA), Mahler Sinfonie Nr. 5
Rezensionen
Rezension Kirill Petrenko – Schostakowitsch: Sinfonien Nr. 8–10
Präzise, brillant, ausdifferenziert
Diese Einspielung der mittleren Sinfonien Schostakowitschs mit den Berliner Philharmonikern unter Kirill Petrenko setzt neue Maßstäbe. weiter
Rezension Kirill Petrenko – Mahler: Sinfonie Nr. 7
Meilenstein
Kirill Petrenko und das Bayerische Staatsorchester bringen Mahlers Siebte mit bronzener Schönheit und einem unverwechselbar rhapsodischen wie transparenten Musizierverständnis zum Leuchten. weiter
Rezension Rudolf Buchbinder – Beethoven
Kein Originalitätspreis
Rudolf Buchbinder kennt natürlich seinen Beethoven aus dem Effeff, aber da kann man auch gleich auf seinen Zyklus mit den Wiener Philharmonikern zurückgreifen. weiter